Der Kanzler redet Klartext in seiner Fernsehansprache und bestätigt die Haltung Deutschlands im Ukraine-Krieg. Die Auswirkungen hierzulande werden für Diskussionen sorgen.
Die Berater von Bundeskanzler Scholz (SPD) sahen keinen anderen Weg mehr, um ihren Chef aus der kommunikativen Defensive zu bekommen: Den großen Auftritt mit einer Fernsehansprache bei ARD und ZDF. Dort erklärte Scholz seine Strategie in Sachen Ukraine-Krieg und den daraus resultierenden Krisenerscheinungen auch hier in Deutschland.
Tenor: Russland darf den Krieg nicht gewinnen, die Ukraine darf ihn nicht verlieren. Inhaltlich hat das der Kanzler in den Wochen seit Kriegsbeginn immer wieder gesagt. Zuletzt auch in einer Fernsehtalkshow. Trotzdem schien die Kommunikationsoffensive geboten.
Dass Scholz nicht der begnadetste Rhetoriker ist, ist aus seiner langen Politkarriere hinlänglich bekannt. Je deutlicher aber die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine werden, desto höher wird der Erklärungsbedarf. Das trifft zum einen die Frage der grundsätzlichen Haltung und der Ziele in diesem Krieg. Der Kanzler hat für seine außergewöhnliche Fernsehansprache das historische Datum 8. Mai gewählt, den 77. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs: „Nie wieder Krieg. Nie wieder Völkermord. Nie wieder Gewaltherrschaft", und deshalb dürfe Russland diesen Krieg auch nicht gewinnen.
„Nie wieder Gewaltherrschaft"
Was nun aber heißt, dass Russland den Krieg nicht gewinnen darf, ist schwer auszumachen. In renommierten Thinktanks werden unterschiedliche Szenarien diskutiert, die aber alle Theorie bleiben, je länger sich dieser Krieg hinzieht.
Anlass für reichlich Interpretation bot einen Tag nach der Kanzlerrede zudem die Rede des russischen Präsidenten Putin zum „Tag des Sieges", in der er den Überfall auf die Ukraine praktisch als Präventivschlag gegen einen befürchteten Nato-Angriff darstellte. Zuvor hatte Putin andere Begründungen geliefert.
Gleichzeitig haben die G7 ihre Sanktionen verhängt, die EU bereitet ein Ölembargo vor. All das deutet kaum auf ein baldiges Ende des Konfliktes hin. Das wiederum heißt auch, dass die bereits jetzt massiv spürbaren Folgen längerfristig wirken und sich vermutlich noch verschärfen. Die massiven Preissteigerungen drohen nach Ansicht von Sozialverbänden und Gewerkschaften zu einem echten sozialen Problem zu werden.
Der Kanzler ist sich mit seinem Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner offenbar einig: Der Staat kann nicht für alle Mehrbelastungen der Bürger durch die Preissteigerungen aufkommen, zum Beispiel mit einer Aussetzung der Mehrwertsteuer auf die Grundnahrungsmittel.
Damit droht Deutschland nun eine Preisspirale bisher ungekannten Ausmaßes, die Gewerkschaften werden in den kommenden Wochen massive Nachbesserungen beim Lohn fordern. Bereits am Tag der Arbeit, am ersten Mai, hat der mittlerweile ausgeschiedene DGB-Chef Reiner Hoffmann vor dem Brandenburger Tor in Berlin die sozialpolitische Latte hochgelegt. Hoffmann forderte die Vertreter der DGB-Organisationen auf, bei den anstehenden Tarifverhandlungen nicht zurückhaltend zu sein. „Die erheblichen Kostensteigerungen bei Energie und Grundnahrungsmitteln müssen ausgeglichen werden", so Hoffmann gegenüber FORUM. Die Metaller präsentierten keine Woche später gleich ihre Ansprüche und gingen mit der Lohnforderung von 8,2 Prozent in die Tarifverhandlungen. Ex-DGB-Chef Hoffmann konnte diesbezüglich befreit aufspielen, nachdem das Statistische Bundesamt für den vergangenen April hoch offiziell eine Inflationsrate von sagenhaften 7,4 Prozent verkündet hatte. Wobei diese Zahl mit Vorsicht zu genießen ist, denn gerade bei Energie und Lebensmitteln sind die Preise in den letzten Monaten teilweise geradezu explodiert. Auch wenn die Statistiker immer gern von der „gefühlten Inflation" sprechen, der Bürger hat spätestens an der Kasse begriffen, dass sein 250-Gramm-Butterpäckchen bis zu einem Euro teurer geworden ist. Für Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sind dies „Wohlstandverluste", auf die wir uns einstellen müssen, und Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigt schon mal vorsorglich an, dass es bei der Energieversorgung mit Öl und Gas in den kommenden Monaten „rumpelig" werden wird. Was für die Verbraucher nichts anderes heißt als: Teurer – und zwar eben nicht nur bei der Energie.
„Wohlstandsverluste" stehen bevor
Es ist eine Pressemitteilung des Bundesverbandes Milchindustrie, die es in normalen Zeiten nicht in die Schlagzeilen geschafft hätte, doch nach der Zeitenwende birgt sie sozialpolitischen Sprengstoff. Bei den Grundnahrungsmitteln steht nun die nächste Preisrunde an, Milch und Käse werden in den kommenden Wochen erheblich teurer. Schon wieder? Werden sich viele Verbraucher fragen. Doch der Geschäftsführer der Milchproduzenten, Björn Börgermann, macht da reinen Tisch. „Bei Milchprodukten mit längeren Kontraktlaufzeiten sind die Preissteigerungen im Laden teils noch nicht wirklich angekommen, das wird erst in den kommenden Wochen geschehen", so Börgermann. Eine Steigerung der Verkaufspreise in den Geschäften von bis zu 20 Prozent, also einem Fünftel des derzeitigen Preises, ist nicht auszuschließen, so der Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes.
Der Bauernverband legt da gleich mal nach und kündigt an, die Lebensmittelpreise werden in den kommenden Wochen noch weiter steigen. Die Begründung von Bauernpräsident Joachim Ruckwied ist dabei mehr als nachvollziehbar. Die erneuten Preissteigerungen hängen demnach nicht nur mit den derzeit deutlichen erhöhten Preisen für Energie, sondern auch für Futtermittel oder Dünger zusammen, so Ruckwied. Auch diese Preissteigerungen bei den bäuerlichen Produzenten werden sich im Ladenpreis darstellen. Die hohe Inflationsrate und damit der deutliche Kaufkraftverlust treibt bei den Menschen, die noch Geld in Form von Sparvermögen haben, zu Reaktionen.
Die Bürger dieses Landes sind ganz offensichtlich nicht die tumbe, ahnungslose Gruppierung von Steuerzahlern, die das alles über sich ergehen lassen. Wer derzeit versucht, seine Euro in Hartmetall umzutauschen, steht in der Schlange vor den einschlägigen Münz- und Goldverkaufsstellen und geht allerdings meist leer aus. Wer Gold, Silber oder Platin in Barren, also physisch für zu Hause, kaufen will, hatte in den letzten Wochen nicht viel Erfolg. „Derzeit nicht verfügbar", steht auf den digitalen Anzeigetafeln der Händler. Auffällig, vor allem Gold in Kleinstmengen, also in Ein-, 2,5-, Fünf-, oder Zehn-Gramm Stückelung sind praktisch nicht mehr erhältlich. Kein Wunder, gelten die Goldbarren-Kleinstmengen, eingeschweißt im Kunstsoff-Scheckkartenformat von Heraeus oder Degussa, längst als Zahlungsmittel. Immerhin hat sich der Preis für Kleinstbarren bei Gold, Silber oder Platin in den letzten drei Jahren je nach Stückelung fast verdreifacht, während die Edelmetall-Preise auf dem Weltmarkt lediglich Schwankungen von um bis zu 30 Prozent verzeichnen.
Gerade der Sturm auf Gold und Silber in kleinen Mengen scheint eine alte Weisheit aus den Folgen des Dreißigjährigen-, Ersten und Zweiten Weltkrieg bei den Deutschen zu verstetigen: Ein Gramm Gold ist gleichwertig mit einem Laib Brot. Wer noch Geld auf der hohen Kante hat, versucht dieses krisensicher umzutauschen, auch wenn die Preise für Gold-, Silber-, oder Platinbarren absurd hoch sind.
Doch derzeit stehen die Menschen nicht nur bei den Edelmetallhändlern an. Sondern auch die Tafeln melden einen andauernden Ansturm auf Mehl, Nudeln, Öl, Obst oder Brot, dem sie nicht mehr wirklich gewachsen sind. Auch bei den Tafeln gilt deshalb immer öfter: „Derzeit nicht verfügbar".