Als Silvia Taibner-Böddeker eines Morgens ein geschwollenes Auge hat, ahnt sie noch nicht, welcher Leidensweg ihr bevorsteht.
Ich will endlich wieder mein Gesicht zurück. Wieder normal aussehen, keine Doppelbilder sehen, keinen Augendruck empfinden und kein Kopfweh mehr haben."
Diese Wünsche formuliert Silvia Taibner-Böddeker nach ihrem rund zweijährigen Höllentrip, der sie in viele Arztpraxen und Kliniken, zu unterschiedlichen Therapien und Operationen geführt hat und der nun Ende des Sommers hoffentlich einem guten Ende entgegengeht.
Angefangen hat alles im Januar 2020. An einem kühlen Wintermorgen stand die 49-Jährige im Bad vor dem Spiegel und stellte fest, dass ihr rechtes Auge angeschwollen war.
„Ich dachte, am besten warte ich ein, zwei Tage ab und schaue, wie sich mein Auge entwickelt, bevor ich zum Arzt renne. Doch in den nächsten Tagen schwoll auch mein linkes Auge an. Ich bekam so einen stierenden Blick und ein starkes Druckgefühl in den Augen. Mein Hausarzt riet mir, nachts den Kopf hochzulagern und mir Beutel mit Grünem Tee auf die Augen zu legen." Das half dann aber leider nichts, es wurde immer schlimmer. Also ging Silvia Taibner-Böddeker zum Augenarzt. „Dort bekam ich den gleichen Rat: ‚Es wird schon wieder gut werden.‘ In den nächsten Tagen bin ich zwischen Haus-, Haut- und Augenarzt gependelt und habe unterschiedliche Blut- und Allergietests über mich ergehen lassen. Bei einem dieser Tests wurden Schimmelpilze in meinem Blut festgestellt. Da ich kurz davor über längere Zeit einen Wasserschaden in der Wohnung hatte, schien dies eine plausible Erklärung für meine zugeschwollenen Augen zu sein. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, das geht alles bald weg."
Im April 2020 dann der Schock. Das rechte Auge stand eines Morgens still. „Ich spürte einen enormen Druck im Auge. Es fühlte sich an, als sei ein Fremdkörper im Augapfel, als wollte mir jemand von Innen das Auge nach außen drücken. Daraufhin bin ich in die Augenklinik, die Ärzte dort ließen mich nicht mehr nach Hause." Die Diagnose: Morbus Basedow und eine dadurch entstandene endokrine Orbitopathie.
Irgendwann konnte sie nicht mehr arbeiten
„Mir wurde sofort eine Infusion mit 250 mg Kortison angehängt, die fünf Tage lang fortgeführt wurde. Danach ging die Therapie ambulant weiter. Sechs Wochen lang bekam ich je 500 mg Kortison, weitere sechs Wochen lang je 250 mg Kortisonpro Woche." Die Augen besserten sich danach merklich. Und Silvia Taibner-Böddeker hoffte, dass nun alles gut wird. Doch bereits wenige Tage nach Absetzen des Kortisons kamen die Schmerzen in den Augen zurück. „Um meine Augenmuskel zu entlasten, wurde mir Botox in den Augenmuskel gespritzt, damit er erschlafft und sich wieder senken sollte", erzählt sie weiter. „Doch auch diese Behandlung hatte nicht die gewünschte Wirkung. Zu diesem Zeitpunkt fing ich an, Doppelbilder zu sehen. Um weiter arbeiten zu können, habe ich mir Zewa-Tücher zwischen Brille und ein Auge gesteckt, damit die Doppelbilder verschwinden und ich mit dem anderen Auge sehen konnte. In der Klinik wurde meine Brille dann mit einer Prismenfolie beklebt, damit gingen die Doppelbilder zurück, aber nicht der Augendruck. Das Hervorstechen meiner Augen blieb auch bestehen."
2018 hatte der Hausarzt bei Silvia Taibner-Böddeker noch eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt und ihr Tabletten dagegen verschrieben. Diese bekam sie auch weiterhin. Das war aber für das Augenleiden nicht gut, erinnert sie sich. „Denn mittlerweile war meine Schilddrüse durch die Tabletten in eine Überfunktion gerutscht. In der Augenklinik wurde dies erkannt, und ich musste die Tabletten sofort absetzen. Danach entwickelte sich meine Schilddrüse in den Normwert zurück, kurze Zeit später jedoch wieder in eine Überfunktion."
Ab März 2021 konnte Silvia Taibner-Böddeker nicht mehr arbeiten. Lesen oder Autofahren ging nur noch begrenzte Zeit und auch nur mit der Prismenfolienbrille.
In einer Klinik in Saarbrücken wurde schließlich festgestellt, dass ihre Schilddrüse so sehr mit dem umliegenden Gewebe verwachsen war, dass sie samt Nebenschilddrüsen in einer dreistündigen Operation entfernt werden musste. Die Nebenschilddrüsen konnten jedoch erfolgreich reimplantiert werden. „Daraufhin musste ich zweimal wöchentlich zur Nachkontrolle für den Kalzium- und Vitamin-D-Wert, später einmal wöchentlich."
Die Augen wurden allerdings auch trotz dieser Behandlung nicht besser. Der Arzt, der die Schilddrüse entfernt hatte, empfahl Silvia Taibner-Böddeker, eine Orbita-Klinik aufzusuchen. Diese Kliniken sind spezialisiert auf hochspezialisierte Diagnostik und Therapie für die seltenen und komplexen Erkrankungen der Augenhöhle. Hier trifft Silvia Taibner-Böddeker zum ersten Mal auf Menschen, die so aussehen wie sie. „Wegen meiner hervorstehen, stierenden Augen hatte ich mich in den vergangenen zwei Jahren zusehends zurückgezogen, habe mich geschämt, rauszugehen und andere Menschen zu treffen. In dieser Zeit waren meine Familie, Freunde und vor allem meine Kinder immer für mich da, wofür ich unendlich dankbar bin."
„Musste einige traumatische Erfahrungen verkraften"
In der Orbita-Klinik in Frankfurt am Main wurde unter der leitenden Ärztin Prof. Dr. med. Susanne Pitz neben einer weiteren Kortisontherapie und Augenbestrahlung auch nach den Ursachen geforscht. Denn Stress ist bei dieser Erkrankung eine der häufigsten Ursachen. „Und den hatte ich in den zurückliegenden Jahren zuhauf", sagt Silvia Taibner-Böddeker. „Seit 2012 musste ich einige traumatische Erfahrungen verkraften. Krebserkrankung in jungen Jahren, Frühgeburt meiner Tochter, den Tod meiner Eltern, um die ich mich auch lange Zeit gekümmert hatte, Bandscheibenvorfall, Burn-out, partnerschaftliche Probleme. Meine drei Kinder habe ich praktisch alleine großgezogen. Das alles bleibt nicht in den Kleidern hängen."
Neben einer psychotherapeutischen Unterstützung versucht Silvia Taibner-Böddeker, Stress zu reduzieren. Mithilfe von Yoga, Meditation, einer disziplinierten Ernährung, regelmäßigen Spaziergängen und Gesprächen mit einer Therapeutin, mit ihrer Familie und ihren Freunden steht sie die nächsten Wochen durch. „Nun sehe ich ein Ende meines Höllentrips in greifbarer Nähe. Meine erste Operation am rechten Auge habe ich nun hinter mir. In vier Wochen kommt mein linkes Auge dran. Danach hoffe ich, mein früheres Gesicht wieder zu bekommen."
Rückblickend auf ihre lange Leidenszeit empfiehlt Silvia Taibner-Böddeker, sich bei Schilddrüsenproblemen alle zwei, drei Jahre einem Facharzt für Endokrinologie vorzustellen. „Man kann sich viele Folge-Erkrankungen ersparen, wenn die Schilddrüse mitspielt und sie richtig eingestellt wird bei Problemen. Wichtig finde ich auch, sich immer eine Zweitmeinung einzuholen und sich aktiv an der eigenen Gesundung zu beteiligen. Meine eigenen Recherchen waren zwar anstrengend, haben mir aber auch geholfen, meine Erkrankung besser zu verstehen. Grundsätzlich hätte ich mir gewünscht, ich wäre schneller an die richtigen Spezialisten empfohlen worden.
Im Juni werde ich 50 Jahre alt. Ich hoffe, dass ich dann meinen Alltag wieder zurückerobert habe, wieder arbeiten, unbeschwert Menschen begegnen, lesen, Sport treiben und ein normales Leben führen kann, ohne angestarrt zu werden, vom eigenen Spiegelbild und von anderen Menschen."