Schon in den 1960er-Jahren wandte sich die TV-Serie „Star Trek" gegen Rassismus und Intoleranz. Der neueste Ableger „Picard" knüpft an das Erbe an.
Wir befinden uns im Jahr 2024. Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) und seine Crew sind in die Vergangenheit gereist, um die Zeitlinie zu korrigieren. Doch schon die Ankunft in Los Angeles verläuft anders als geplant: Beim ersten Erkundungsgang wird Rios (Santiago Cabrera) von der US-Einwanderungspolizei ICE verhaftet. Von da an geht es Schlag auf Schlag: Rios landet ohne Anklage in Abschiebehaft, ein Anwalt wird ihm verwehrt. Als er sich beschwert, verpasst ihm ein ICE-Beamter einen Elektroschock: „Nicht weinen, Juan! Ich hab ’nen schönen Platz im Bus für dich." Die Szene wirkt überzeichnet, kommt der Realität aber sehr nahe: Besonders unter der Trump-Regierung regierte die Behörde zunehmend brutal. Aber auch heute noch werden immer wieder US-Bürger verhaftet, weil sie „südamerikanisch" aussehen, so wie Rios.
Schon ist die zweite Staffel von „Star Trek: Picard" mittendrin in den Kontroversen der Gegenwart. Racial Profiling, Rassismus, Einwanderungspolitik: Dass eine Science-Fiction-Serie so deutlich das Hier und Jetzt kritisiert, mag überraschen – aber nur auf den ersten Blick. Star Trek war schon immer progressiv. Als die TV-Serie 1966 das erste Mal im Fernsehen läuft, erleben Zuschauerinnen eine Zukunft ohne Krieg, Armut oder Rassismus. Die Mannschaft des Raumschiffs Enterprise besteht aus Angehörigen aller Nationalitäten, am Steuer sitzt der Russe Chekov (Walter Koenig), ein Novum auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Auch Rassentrennung existiert im Weltall nicht, anders als in den Vereinigten Staaten der 1960er-Jahre. Als sich Captain Kirk (William Shatner) und die Schwarze Kommunikationsoffizierin Uhura (Nichelle Nichols) in einer Episode küssen, hagelt es Proteste.
Schwules Paar und Transperson gehören zur Mannschaft
Doch Gene Roddenberry, der visionäre Star-Trek-Erfinder, bleibt seiner Philosophie treu. Brutalität und Intoleranz gibt es auch in der Zukunft noch, dann aber auf anderen Planeten, bei den Klingonen und Romulanern. Die Menschheit hingegen hat ihre Lektion gelernt. Sogar der Kapitalismus ist überwunden: Es gibt kein Geld.
Auch alle folgenden Star-Trek-Serien und -filme haben diese integrative Grundhaltung übernommen. In „Deep Space Nine" (1993 bis 1999) führte mit Avery Brooks erstmals ein Afroamerikaner das Kommando über eine Raumstation. In „Voyager" (1995 bis 2001) saß mit Kate Mulgrew eine Frau auf dem Kapitänssessel. In der jüngsten Serie „Discovery", die parallel zu „Picard" produziert wird, gehören ein schwules Paar und eine Transperson zur Mannschaft. Auch Menschen mit Behinderungen sind regelmäßig zu sehen.
Der neueste Ableger „Picard" sticht insofern heraus, als dass Gesellschaftskritik hier nicht subtil formuliert wird, sondern geradeheraus. So wundert sich Rios über all die Absurditäten, die zum US-amerikanischen Alltag gehören. „Die zwingen euch, Treue zu schwören?", fragt er, als neben seiner Zelle die amerikanische Fahne samt „pledge of allegiance" hängt.
Eine Ärztin, die zu Unrecht in Haft sitzt, erzählt, warum sie eine Klinik für Migrantinnen aufgemacht hat: weil ihre Nachbarn solche Angst vor den Behörden hatten, dass sie sich nicht ins reguläre Krankenhaus trauten – und schließlich starben.
Schon das ist starker Tobak, doch da läuft sich die Handlung gerade erst warm. Während Rios im Knast sitzt, trifft Picard auf Barkeeperin Guinan (Ito Aghayere), die ihm beim Reparieren der Zeitlinie helfen soll. Guinan ist eine Außerirdische, die als Mensch getarnt auf der Erde lebt. Doch nun reist sie ab, weil sie jede Hoffnung verloren hat.
„Diese Welt ist ein wahres Pulverfass", erklärt Guinan. „Die vernichten gerade ihren eigenen Planeten. (…) Fakten sind nicht einmal mehr Fakten. Einige wenige hätten die Ressourcen, um für den Rest alle Probleme zu lösen. Aber sie machen es nicht, weil ihre größte Sorge ist, dann selbst weniger zu haben."
Um ihre Worte zu untermauern, führt sie Picard durch das Viertel, in dem ihre Kneipe liegt: Die Wände sind übersäht von Graffiti, Obdachlose stehen für Lebensmittelspenden an. „Die Menschheit wird sich ändern", insistiert Picard. „Haben Sie Geduld mit uns!"
Doch Guinan lässt sich nicht besänftigen. Sie redet von Hass, Umweltzerstörung und Desinformationen. Das aktuelle Jahrhundert habe „die Kapuze gegen den Anzug getauscht", eine Anspielung auf den rassistischen Ku-Klux-Klan, der Lynchmorde auf Schwarze verübte. Aktuelle Politiker – so lässt sich ihre Aussage interpretieren – sehen anders aus, sind aber nicht besser.
Science-Fiction als Spiegel der Gegenwart
So düster, so explizit, so kritisch hat man Star Trek selten erlebt. Aber Science-Fiction spiegelt eben immer auch die Gegenwart wider, in diesem Fall ein Land, das vier Jahre lang von Donald Trump regiert wurde. Ein Land, das 2021 einem gewaltsamen Putsch nur knapp entkommen ist. Ein Land und ein Planet, geprägt von Klima-Katastrophe, Populismus und Krieg.
Schon die erste „Picard"-Staffel (erschienen 2020) beginnt mit solch düsteren Tönen. Picard, ein bekannter Raumschiff-Kapitän und ewiger Philanthrop, hat sich desillusioniert auf sein Weingut zurückgezogen. Der Heimatplanet der Romulaner ist zerstört, aber die Föderation (und damit die Menschheit) kümmert sich lieber um sich selbst, als den Betroffenen zu helfen. Deutlicher kann man die Kritik an westlicher Flüchtlingspolitik wohl nicht formulieren.
Und doch schimmert er immer wieder durch, der Glaube, dass die Menschheit es am Ende irgendwie trotzdem schafft. „Die dunkelsten Momente der Geschichte sind manchmal der Wendepunkt, der zu Veränderungen führt", beteuert Picard, als er mit Guinan diskutiert. Star-Trek-Erfinder Gene Roddenberry hätte es nicht besser formulieren können.
Ob Guinan oder Picard wohl am Ende recht behalten werden? Die restlichen Folgen – und auch die bereits angekündigte dritte Staffel – werden es bald zeigen.