Union Berlin spielt auch in der kommenden Saison international. Am letzten Spieltag hoffen sie auf ein „Upgrade" in den zweitwichtigsten europäischen Wettbewerb.
Union Berlin im Europapokal – zum zweiten Mal in Folge! Urs Fischer konnte es nicht fassen. „Das ist der Wahnsinn", sagte der Trainer sichtlich bewegt vom grandiosen Saisonverlauf: „Was haben wir da oben eigentlich verloren?" Den Fans fiel es im Sonderzug zurück aus Freiburg ins 800 Kilometer entfernte Berlin deutlich leichter, das Erreichte zu realisieren. Es wurde gesungen, getrunken, gelacht, und alle hofften zu der Zeit noch auf Champions-League-Duelle gegen Real Madrid oder den FC Liverpool. Doch die Chance auf einen Start in der Königsklasse war am nächsten Tag dahin, Platz vier ist durch den Sieg von RB Leipzig gegen den FC Augsburg praktisch nicht mehr möglich.
Das sollte die Freude der Unioner aber nicht trüben, sie haben schon jetzt Großes erreicht und können die Saison sogar noch veredeln: Mit einem Sieg am letzten Spieltag zu Hause gegen den VfL Bochum würden sich die Eisernen für die Europa League qualifizieren. Bei einem Unentschieden oder einer Niederlage könnte der 1. FC Köln (beim VfB Stuttgart) noch vorbeiziehen, dann würden die Berliner wie schon in dieser Saison in der Conference League starten. „Jetzt ist alles möglich", sagte Sheraldo Becker. Der Angreifer, der seit Wochen in bärenstarker Verfassung ist, will gegen Bochum den Sprung in den zweitwichtigsten europäischen Wettbewerb perfekt machen: „Jetzt kommt wieder ein wichtiges Spiel für uns, das wollen wir ganz sicher gewinnen."
Conference League möglich
Auch Grischa Prömel glaubt nicht, dass das Team jetzt nachlässt, auch wenn das Europa-Ticket schon gebucht ist. „Wir gehen die letzte Woche noch mal voll fokussiert an. Es gibt zu Hause gegen Bochum noch einiges zu tun", sagte der Mittelfeldspieler. Dass Spieler und Fans den 4:1-Auswärtssieg beim SC Freiburg wie ein perfektes Saisonfinale gefeiert hatten, sei kein Fingerzeig für nachlassende Konzentration, versicherte Prömel: „Bei uns wird jeder Sieg gefeiert, das ist keine Selbstverständlichkeit für Union Berlin." Damit die Spieler mit der nötigen Frische zurück in den Trainingsbetrieb kamen, gönnte Fischer ihnen zwei freie Tage. „Das kommt immer gut an bei der Mannschaft", sagte Prömel lächelnd.
Er selbst wird sich mit großer Sicherheit besonders reinhängen. Das Spiel gegen Bochum ist Prömels Abschiedsvorstellung, er verlässt den Club nach fünf Jahren und 140 Spielen Richtung Ex-Club TSG Hoffenheim. Es ist kein Geheimnis, dass der 27-Jährige dies nur mit einem weinenden Auge tut, seine Verbundenheit zu Union ist echt – und die vielen emotionalen Momente in dieser Saison dürften Prömel den Abschied zusätzlich erschweren. „Es ist unfassbar, was wir als Verein hier auf die Beine stellen", sagte er: „Das zweite Jahr, dass Union international vertreten ist. Es ist unglaublich, zeigt aber auch, wie gut in dem Verein gearbeitet wird."
Wenn er dann nach dem Schlusspfiff am Samstagnachmittag gegen 17:20 auf seine Ehrenrunde in der Alten Försterei geht, dürften Tränen fließen. Schon bei der Verkündung seines ablösefreien Wechsels hatte Prömel betont, dass es ihm „sehr fehlen" werde, „morgens auf den Parkplatz an der Alten Försterei zu fahren und die ersten Mitarbeiter zu treffen, die dich mit einem Lächeln im Gesicht begrüßen". Unabhängig vom Spielausgang wird Prömel als ein Gewinner gehen, der große Fußstapfen hinterlässt: Er stieg mit Union auf, avancierte zum Derbyhelden und führte den Club zweimal in den Europacup. Dass er Union keine Ablöse beschert, werden sie ihm in Köpenick daher auch verzeihen, zumal er 2017 ebenfalls zum Nulltarif vom Karlsruher SC gekommen war.
Einen Ersatz für Prömel zu finden, wird eine der zentralen Transfer-Aufgaben des Sommers werden. Auch deshalb wäre es wichtig, dass sich der Club für die Europa League qualifiziert, denn die Preis-, Start- und TV-Gelder sind dort deutlich höher als in der Conference League. Dort würden sich die Einnahme auf „plus minus null" belaufen, wie Sportchef Oliver Ruhnert aus der Erfahrung dieser Saison weiß. Zum Vergleich: Eintracht Frankfurt hat durch den Finaleinzug in der Europa League bereits rund 17 Millionen Euro kassiert, die Summe kann sich im Falle eines Endspiel-Triumphes sogar noch verdoppeln – inklusive eines Startrechts in der Champions-League-Saison 2022/23!
Union kann es sich also nicht erlauben, schon jetzt in den Urlaubsmodus zu schalten. „Nein", warnte Fischer, „es steht noch ein Spiel an." Und in dieses Spiel wird er seine Mannschaft vermutlich mit der Forderung schicken: Macht es genauso wie in den ersten 45 Minuten gegen Freiburg! „Wir waren sehr engagiert", meinte Prömel, und Becker war einmal mehr vom Zusammenhalt im Team begeistert: „Jeder hat in diesem Spiel gekämpft und hundert Prozent gegeben. Wenn man das macht, dann kann man gegen jeden gewinnen."
3:0-Führung schon zur Halbzeit
Eine Woche zuvor gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten SpVgg Greuther Fürth war das noch etwas anders gewesen. Beim enttäuschenden 1:1 hatten die Unioner zwei wichtige Punkte verspielt, die am Ende womöglich sogar die Königsklasse kosteten. Fischer wollte dem aber nicht hinterhertrauern, „ich bin glücklich und stolz." Im Fußball gehe es „so schnell", da könne man sich nicht zu lange mit der Vergangenheit beschäftigen. Vor einer Woche hätte man noch schlecht gespielt, „und heute schaffen wir etwas fast Unmögliches, nämlich in Freiburg mit 4:1 zu gewinnen".
Entscheidend dafür war der Wille der Spieler, eine Reaktion zeigen zu wollen. „Die Mannschaft war nach dem letzten Spiel sehr selbstkritisch, das wollten wir heute von Beginn weg besser machen", meinte der Trainer: „Das ist uns sehr gut geglückt." Prömel bestätigte, dass sich die Spieler „viel vorgenommen" hätten, „wir wussten, dass wir anders auftreten mussten." Nach der 3:0-Halbzeitführung sei allen klar gewesen, dass es im zweiten Durchgang „auf Mentalität und Bereitschaft ankommt", so Prömel: „Aber dafür ist Union Berlin immer gut."
Die Eisernen überstanden die große Drangperiode der dann dominanten Freiburger, „da hatten wir auch etwas Dusel", gab Fischer zu. Dass es am Ende zu einigen hitzigen Szenen zwischen beiden Lagern kam, wollte niemand überbewerten. „Das gehört dazu, es stand ja auch viel auf dem Spiel für beide Mannschaften", sagte Fischer: „Entscheidend ist, dass man sich danach wieder die Hand gibt." Auch Prömel meinte, dass solche Aggressionen „für ein Bundesligaspiel auf Augenhöhe" zu einem so wichtigen Zeitpunkt der Saison „dazugehören" würden.
Am letzten Spieltag könnte man die Freiburger sogar noch einholen und den fünften Platz in der Endabrechnung belegen. „Das ist schon außergewöhnlich", meinte nicht nur Kapitän Christopher Trimmel, „ich glaube, wir realisieren das alles erst nach der Saison." Dass Union schon jetzt vier Punkte mehr geholt hat als in der Vorsaison ist ein kleines Wunder. Nicht wenige Experten hatten prophezeit, dass die ungewohnte Dreifachbelastung mit Liga, Pokal und Europacup den Club in den Abstiegsstrudel ziehen werde. Doch das Gegenteil ist der Fall. „Umso stolzer ist man jetzt", sagte Trimmel. Union Berlin feiert sein „Europa 2.0", wie Torhüter Andreas Luthe es beschrieb. Und alle hoffen, dass es am letzten Spieltag ein Upgrade in die Europa League gibt.