Die Angst geht um: Stromausfälle, Gasengpässe im kommenden Winter. Die Mammutaufgabe der neuen Bundesregierung umfasst nicht nur die Versorgungssicherheit nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Schon wegen der Energiewende ist sie Thema.
Ein kurzer Druck auf den Schalter und das Licht geht an. Die Heizung mal kurz auf fünf gedreht, damit es rasch warm wird. Abends noch schnell volltanken, bevor es morgen in den Urlaub geht. Energie ist eine Selbstverständlichkeit. Woher sie kommt allerdings nicht.
Nicht mehr, könnte man auch schreiben, denn nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, erreichen die Sprit- und Energiepreise ein neues Allzeithoch. Treiber der Preise ist die Befürchtung, dass es zu Engpässen kommen könnte – eine Emotion, die Spekulationen zum Beispiel an den Strombörsen treibt.
Debatten um die Versorgungssicherheit gab es jedoch schon zuvor, getrieben durch den deutschen Atomausstieg im Zuge der Zerstörung der japanischen Atomanlage Fukushima durch einen Tsunami. Stichwort: Energiewende. Die Erneuerbaren sollten stark ausgebaut werden, während alle Atommeiler aus Sicherheitsgründen und die fossilen Energieträger Kohle und Öl wegen hohem CO2-Ausstoß zurückgefahren werden. Heute wird deutscher Strom anteilsmäßig vor allem aus Windkraft und Braunkohle hergestellt (Stand 2021, siehe Grafik). Mit dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke entfällt deren Anteil von vormals knapp 13 Prozent an der Stromversorgung ab 2023, 2038 sollen die letzten Braunkohle-Kraftwerke vom Netz gehen. Bis dahin müssen der Anteil der Erneuerbaren und der Netzausbau gesteigert werden. Rein wirtschaftlich macht dies Sinn: Die Gestehungskosten für erneuerbare Energien, sprich die Kosten für Bau und Betrieb einer Anlage, werden im Vergleich zu Kosten fossiler und der Atomenergie immer geringer. Sie liegen im Mittel bei Solar- und Windenergie zwischen drei bis acht Cent pro Kilowattstunde, Kohlestrom kostet etwa elf Cent, während eine Kilowattstunde Atomstrom nach Greenpeace-Studien von 2017 bis zu 15 Cent kostet. Die Kosten für die Endlagerung des Atommülls sind darin nicht eingerechnet.
Die zentrale Frage aber lautet: Wenn die Sonne nicht durchgehend scheint, der Wind nicht durchgehend weht und auch das Speichern dieser Energie derzeit noch ein Problem darstellt: Ist die Stromversorgung in Deutschland trotzdem sicher?
Energieversorgung mit geopolitischer Dimension
Ja, meint die Bundesnetzagentur. Einer ihrer wichtigsten Indikatoren hierfür: die Gas- und Stromausfälle. Im August 2021 erschien ihr vorerst aktuellster Bericht zur Versorgungssicherheit in Deutschland mit Bezug auf das vorangegangene Jahr. Ausfälle müssen Gas- und Stromversorger verpflichtend an die Bundesnetzagentur melden, die in einem sogenannten „SAIDI", dem System Average Interruption Duration Index (durchschnittlicher System-Unterbrechungsdauer-Index), erfasst werden. „Die durchschnittliche Unterbrechungsdauer je angeschlossenem Letztverbraucher sank im Vergleich zum Vorjahreswert um 1,47 Minuten auf 10,73 Minuten. Dies ist die bisher geringste Ausfallzeit seit der ersten Veröffentlichung durch die Bundesnetzagentur im Jahr 2006", lautete das Fazit. Damals lag die Ausfallzeit bei knapp 22 Minuten im Bundesdurchschnitt.
Wie können wir aber sicher sein, auch künftig kaum Ausfallzeiten befürchten zu müssen? Etwa durch den Ausbau der Stromnetze, ein Grund der steigenden Netzentgelte in diesem Jahr, über Landesgrenzen hinweg. Denn für die Versorgungssicherheit im Inland spielt auch der EU-Markt eine entscheidende Rolle – sowohl Gas als auch Strom überschreiten in dem gemeinsamen Markt beständig Landesgrenzen. Dies veröffentlicht beispielsweise das französische Unternehmen Electricity Map auf seiner Webseite. Es listet tagesaktuell auf, wieviel Strom welche Landesgrenze passierte. Auf diese Weise stellen die EU-Mitgliedsstaaten ihre Versorgung gegenseitig sicher. Stromtrassen innerdeutschlands sollen den Strom aus windreicheren Gegenden in windärmere transportieren – smart sollen sie sein, um rasch reagieren zu können und um die immer zahlreicheren dezentralen Stromerzeuger untereinander zu vernetzen. Dazu gehören die Biogasanlagen landwirtschaftlicher Betriebe ebenso wie das heimische Solardach mit Produktionsüberschuss.
Eine entscheidende Rolle spielen auch moderne Speichertechnologien. Bei den sogenannten Dunkelflauten sollte Energie, die in windreicher oder sonnenreicher Zeit „zu viel" produziert wurde, gespeichert werden können. Rein topografisch kann Deutschland mit Ländern wie Norwegen oder den Alpen-Anrainerstaaten nicht mithalten, wenn es darum geht, Wasser-Pumpspeicherkraftwerke für diese Zwecke zu bauen. Stattdessen verfolgt das Land andere Strategien: Power-to-Gas könnte eine davon sein. Hier wird mittels Windkraft Wasserstoff und in einem zweiten Schritt daraus Gas hergestellt, das im bereits vorhandenen Versorgungsnetz gespeichert werden könnte, bis es gebraucht wird. Zahlreiche Standorte in Deutschland arbeiten bereits mit dieser Methode, die Effizienz aber ist noch ein technisches Problem.
Die andere Möglichkeit: Gaskraftwerke vorhalten, die einspringen, wenn der Wind eingeschlafen ist oder die Sonne untergeht. Hier konkurrieren diese Kraftwerke jedoch mit der Heizgasversorgung von Industrie und Haushalten, weil sie – noch als Brückentechnologie – die gleiche Energieform zur Stromerzeugung benötigen. Um diese Versorgung zu gewährleisten, sind nun Flüssiggas-Terminals im Gespräch und im Bau. Im Eiltempo sollen mehrere an der Nordseeküste entstehen, das schwimmende Terminal in Wilhelmshaven soll bereits im Dezember fertig sein. Die Stadt, die mit Abstand die höchste Arbeitslosenquote Niedersachsens aufweist, könnte aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen, wenn sie zur Drehscheibe für Deutschlands Flüssiggastransport werden soll, wie von der Politik vorgesehen.
Derzeit bilden oft noch Braunkohlemeiler das Rückgrat der deutschen Stromversorgung. Die Grundlastkraftwerke sollen in Zukunft mithilfe von Erdgas Strom erzeugen. Dieses kam bislang vor allem aus Russland. Die Lage jetzt ist eine andere als vor dem Ukraine-Krieg. Nachdem Deutschland feststellen musste, in welch prekäre Lage sich das Land durch die Abhängigkeit von Russland manövriert hatte, erhält Energie-Versorgungssicherheit erneut eine spürbare geopolitische Dimension. Schon zu Zeiten der Sowjetunion importierte Deutschland russisches Gas. „Wandel durch Handel" in der Energieversorgung begann 1980 unter Kanzler Helmut Schmidt, der trotz des Widerstandes der US-Regierung ein erstes Pipeline-Projekt durchdrückte. Nun rücken andere Lieferanten vor: Nachbarstaaten wie die Niederlande, Flüssiggaslieferanten wie die USA oder das Golfemirat Katar.
Insgesamt kann also die Versorgung mit Strom und Gas nicht mit einer einzigen Strategie gesichert werden. Vieles muss ineinandergreifen, um die Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen – auch heute schon.