Alba Berlin hat seine Topform vom Ende der Hauptrunde in den Start der Play-offs gerettet. Das Team ist Titelfavorit Nummer eins – auch, weil es für die Gegner ganz schwer auszurechnen ist.
Als Alba Berlin von Trainer-Ikone Aito Garcia Reneses einen Korb für eine weitere Saison bekam, war auch Marco Baldi etwas mulmig zumute. Die Entscheidung des 75 Jahre alten Spaniers kam in der Coronapandemie nicht überraschend, man war darauf durch den vom Co zum Chef aufgestiegenen Israel González vorbereitet. Und trotzdem: So ein erzwungener Wechsel auf der wichtigen Position des Cheftrainers kann einen kompletten Club in Turbulenzen bringen. „Da gab es viele, die gesagt haben: Wenn Aito weg ist, wird Alba in die Realität zurückkommen", sagte Geschäftsführer Baldi.
Und dieser Gedanke sei ja auch „im Bereich des Möglichen" gewesen. Doch die Realität ist weiter rosig: Alba ist die Mannschaft der Stunde in der Basketball-Bundesliga (BBL) und in den Play-offs der Titelkandidat Nummer eins. „Ich bin selbst überrascht", meinte Baldi: „Wir hätten es nicht besser machen können."
Das findet auch die Konkurrenz. „Alba ist Favorit", sagte sogar Manager Marko Pesic von Dauerrivale Bayern München. Die ersten beiden Viertelfinalspiele der Berliner gaben ihm recht: Alba ließ Ex-Meister Brose Bamberg in Spiel eins (114:89) und zwei (97:85) keine Chance, mit einem Sieg im dritten Duell am vergangenen Donnerstag konnte der Titelverteidiger die Best-of-five-Serie bereits für sich entscheiden. In Spiel eins glänzten die Berliner mit einem Offensivfeuerwerk und erzielten die höchste Punktzahl ihrer Playoff-Geschichte.
Defensiv müsse man aber „eine Schippe drauflegen", wie Center Oscar da Silva forderte. Das tat das Team in Spiel zwei, „es war sehr physisch, die Bonner haben alles versucht", sagte Nationalspieler Johannes Thiemann. Doch Alba hielt erfolgreich dagegen. „Wir sind happy, dass wir so ein hartes Spiel gewonnen haben", meinte Thiemann. Und das sogar, obwohl man neben den verletzten Ben Lammers und Marcus Eriksson auch noch auf Luke Sikma verzichten musste, der zu Hause krank das Bett hütete.
Im Moment scheint Alba nichts aus dem Konzept bringen zu können. Der Sieg in Spiel zwei in der Viertelfinalserie gegen Bamberg war bereits der 13. in Folge, Alba hat nach dem Aus in der Euroleague eine Schippe draufgelegt. Von der kräftezehrenden Doppelbelastung befreit, drehen Sikma und Co auf, Alba spielt begeisternden Basketball mit hoher Intensität und fast blindem Verständnis füreinander. „Ich bin sehr zufrieden, wie wir gerade spielen", sagte Sikma. Aber natürlich gebe es auch Dinge, „an denen wir noch arbeiten müssen. Wir sind Perfektionisten!"
Geduld und intensive Arbeit
Der Erfolg hat nicht den einen Namen, die Verantwortung ist auch nicht auf nur wenige Schultern verteilt. „Wir lassen den Ball laufen, und es hängt nicht alles an einem Spieler", erklärte Sikma. Man sei eine „sehr uneigennützige Gruppe", in der sich jeden Tag „jemand anderes in den Vordergrund spielen" könne. Das machte es für den Gegner so schwierig, Alba auszurechnen. Das Team ist der Star, jeder der starken Individualisten wie Sikma, Thiemann, Maodo Lo, Jaleen Smith oder Oscar da Silva stellt sein Ego hinter den Teamerfolg zurück. Trainer Israel Gonzalez rotiert viel, er gönnt seinen Stars während des Spiels auch mal längere Pausen und verhilft Youngstern wie Elias Jose Rapieque, Rikus Schulte und Nils Machowski, Sohn des ehemaligen Nationalspielers Sebastian Machowski, zu ihren Debüts. „Es ist auch mal schön, den Jungs beim Spielen zuzuschauen, und die Erholung tut gut", sagte der US-Amerikaner Smith: „Wir wollen eine Meisterschaft gewinnen, und Israel predigt uns immer wieder, dass wir auf das große Ganze schauen sollen." Nur wenn dies alle verinnerlicht haben, ist der Coach zufrieden. „Wir spielen als Team und bewegen den Ball gut. Niemand denkt nur an sich. Das ist wichtig, wenn man eine gute Mannschaft sein will", sagte Gonzalez.
Diese Philosophie hat er von seinem Mentor Reneses übernommen, den er vor der Saison beerbt hatte. Von den Grundideen und den Abläufen her sei nach dem Trainerwechsel „viel gleich geblieben", wie Nationalspieler Lo der „Berliner Morgenpost" sagte, „Israel hat viel unter Aito gelernt, fügt seine eigenen Impulse hinzu. Das hat gut funktioniert." Genau das hatten sich die Verantwortlichen erhofft, als sie Gonzalez im vergangenen Sommer vom Co zum Chef beförderten. „Man hat gesehen, was Geduld und intensive Arbeit des Trainerteams bewirken können", sagte Baldi: „Da liegt der Kern drin, dass jeder einen Schritt macht." Dann sind die Berliner in der BBL nur ganz schwer zu schlagen, für Bambergs Cheftrainer Oren Amiel sind sie sogar „eines der besten Defense-Teams Europas".
So ein Lob hören die Bosse gerne, denn nicht wenige Experten hatten vor der Saison einen Einbruch prognostiziert. Nicht nur Reneses musste ersetzt werden, auch im Spielerkader war der Qualitätsverlust durch die Abgänge von Peyton Siva, Simone Fontecchio, Jayson Granger, Niels Giffey groß. „Dennoch sind wir besser als im Jahr zuvor", meinte Sportdirektor Himar Ojeda. Das habe sich auch auf internationalem Parkett gezeigt: „Wir haben in der Euroleague 14 Spiele gewonnen, Fenerbahce und Roter Stern je zweimal besiegt, Makkabi und Mailand geschlagen, Panathinaikos und Olympiakos. Das ist fantastisch."
In der Liga wäre angesichts der aktuellen Topform alles andere als ein Finaleinzug eine Überraschung. Und dort rechnen fast alle wieder mit Bayern München als Finalgegner – auch Gonzalez. „Bayern ist eines der besten Teams Deutschlands", sagte Albas Trainer: „Ich hoffe, dass wir auch in den Play-offs auf sie treffen werden." Und das ist erst in der Endspiel-Serie möglich. Zum Vorrundenabschluss hatten sich die beiden besten deutschen Teams eine Art Generalprobe geliefert, bei der Alba mit 83:78 die Oberhand behalten hatte. „Das Spiel in München war eine gute Vorbereitung", sagte Point Guard Smith: „Die Bayern sind in Europa das Team, das mit der meisten Physis spielt. Damit sind wir ziemlich gut zurechtgekommen."
De facto ging es bei dem Duell um nichts außer ums Prestige, die Abschlussplatzierungen beider Teams standen ebenso fest wie ihre Viertelfinal-Gegner und -Termine. Und doch schenkten sich beide Erzrivalen auf dem Parkett nichts, es wurde um jeden Punkt, um jeden Rebound hart gekämpft. „Gegen Alba will man nicht verlieren", sagte Bayerns Leon Radosevic. Vor allem nicht, wenn es tatsächlich in einer Finalserie um den Titel geht. Zweimal in Folge mussten die Münchner den Berlinern zuletzt im direkten Duell zur Meisterschaft gratulieren, ein schmachvolles „Triple" wollen die Bayern unbedingt vermeiden. Diese Motivation sei bei den Münchnern „gigantisch", meinte Baldi, „die werden alles in die Waagschale werfen, und wir wissen, das ist viel. Sie wollen der Rolle gerecht werden, die sie für sich beanspruchen."
Doch die Nummer eins ist zurzeit nicht Bayern München, sondern Alba Berlin. Dies unterstreicht auch der Gewinn der Hauptrunde, was Alba seit 2009 nicht mehr gelungen war. Doch mit dem Start der Play-offs sei die Saison neu gestartet, betonte Sikma, „das ist eine komplett andere Angelegenheit". Alba geht mit Demut, aber auch mit großem Selbstvertrauen in die heiße Saisonphase. „Und unser Job ist noch lange nicht erledigt", kündigte Sikma an.