Nach der Ukraine-Invasion stehen Nato, G7 und EU fest zusammen
Man mag über Russlands Präsidenten Wladimir Putin denken, was man will: Ein Stratege ist er nicht. Die langfristigen Konsequenzen des Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar sind für sein Land kontraproduktiv. Nicht nur, dass sich Putin bei seinem ursprünglichen Ziel, die Ukraine in einer Express-Offensive zu überrollen, verrechnet hat. Statt einen Blitzkrieg-Sieg einzufahren, hat er seiner Armee einen Erschöpfungskrieg aufgebürdet. Nach Schätzungen des britischen Geheimdienstes haben die Russen bereits ein Drittel ihrer Bodentruppen in der Ukraine verloren.
Auch mit Blick auf die Nato hat der Kremlchef das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. Mitte Dezember hatte die russische Regierung den USA und dem westlichen Bündnis die Pistole auf die Brust gesetzt: Die Allianz sollte unter dem nebulösen Banner der „gemeinsamen Sicherheit" ihre eigene Schrumpfung unterschreiben. Moskaus Generalforderung bestand darin, dass die Nato alle Soldaten und jegliche militärische Infrastruktur, die nach 1997 in Ost- und Mitteleuropa stationiert wurden, abzieht.
Nicht nur, dass Putin mit seiner Knall-auf-Fall-Politik im Westen auf Granit biss. Die Invasion in die Ukraine ließ in Nordeuropa die Alarmglocken schrillen. Finnland und Schweden, die sich jahrzehntelang zur Neutralität bekannten, suchen nun den Schutz der kollektiven Beistandsgarantie des Bündnisses.
„Unser Sicherheitsumfeld hat sich grundlegend verändert", betonte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin. „Das einzige Land, das die europäische Sicherheit bedroht und jetzt offen einen Angriffskrieg führt, ist Russland." Es ist ein historischer Meilenstein für die politische Führung in Helsinki, deren als „Finnlandisierung" etikettierte Blockfreiheit legendär war. „Wir verlassen eine Ära, um in eine neue einzutreten", pflichtete die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson bei.
Ausgerechnet Putin hat die Nato reanimiert und ihr eine seit dem Fall der Mauer nicht mehr dagewesene Geschlossenheit verschafft. Immer wieder waren nach Ende des Kalten Krieges Zweifel an ihrer Existenzberechtigung laut geworden. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte dem Bündnis wegen mangelnder Absprachen der USA und der Türkei im Syrienkrieg den „Hirntod" bescheinigt. Passé!
Doch die Logik des russischen Staatschefs ist hohl. Die Nato bedroht weder Russland noch Mitglieder der früheren Sowjetunion. Sie ist ein reines Verteidigungsbündnis. Bis zur Annexion der Krim durch Moskau 2014 spielten Truppen der Allianz in Mittel- und Osteuropa überhaupt keine Rolle. Erst seitdem wurden kleinere rotierende Einheiten dort stationiert – eher als symbolisches Zeichen der Abschreckung. Der Einmarsch in die Ukraine war ein Weckruf für die Nato. Er setzte eine Aufrüstung und die zusätzliche Stationierung von Soldaten auch an der Grenze zu Russland in Gang.
Sollte Putin gedacht haben, er könne das Bündnis einschüchtern und spalten, so hat er sich grandios verkalkuliert. Hätte er Interesse an wirklicher Entspannung gehabt, er hätte alles ganz einfach erreichen können: durch ein verbindliches Abkommen zur Abrüstung und militärischen Entflechtung in Ost und West. Milliarden Euro für die Modernisierung der russischen Wirtschaft und Gesellschaft auszugeben wäre eine viel bessere Investition gewesen, als die Ukraine mit einem kostspieligen Raketen- und Bombenhagel zu überziehen.
So aber hat der Kremlchef den Westen zusammengeschweißt. Nicht nur steht die Nato – selbst wenn sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan durch zeitweise Blockade des Bündnis-Beitritts von Finnland und Schweden Zugeständnisse erzocken will. Auch haben die westlichen G7-Industrieländer von Kanada bis Japan eine einheitliche Front gebildet und Sanktionen gegen Russland verhängt.
Sogar die notorisch zerstrittene EU hat sich auf eine Serie von wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Moskau geeinigt. Allerdings packt Ungarn hier nur mit Samthandschuhen an. Premier Viktor Orbán will sich dem Ölimport-Embargo der Gemeinschaft nur anschließen, wenn er mit einem satten zweistelligen Milliardenbetrag entschädigt wird. Darauf baut Putin: Nehmen öko-egoistische Instinkte überhand, schwächt sich die EU. Glücklicherweise gab es in dieser Hinsicht bisher kaum Ausfälle.