Biohacking könnte schon bald unseren Körper durch die Verwendung neuester biologischer Forschungsergebnisse und modernster Technologien grundlegend verändern. Die ersten Cyborgs träumen schon von einem biblischen Alter.
Eiskaltes tägliches Duschen zur Optimierung des Schlafes, für eine höhere Fettverbrennung oder als effektives Hilfsmittel gegen Entzündungen. Diesem einfachen, alltagstauglichen Einsteigertipp in das weite Feld des Biohackings, das weltweit auf den Spuren des amerikanischen Lifestyle-Gurus Dave Asprey immer mehr Jünger findet, kann zur Veranschaulichung des extrem breiten Spektrums möglicher Anwendungen ein Eintauchen in eine sogenannte Cyrochamber gegenübergestellt werden. Dabei handelt es sich um einen mit flüssigem, auf Minus 180 Grad abgekühlten Stickstoff gefüllten Tank. Das kurze Schockfrosten soll den Stoffwechsel anregen, die Bildung von braunem Fettgewebe bei gleichzeitigem Abbau von weißem Fettgewebe fördern, Mikroentzündungen reduzieren sowie allgemein die Stressreaktion des Körpers verbessern. Der morgendliche Kaffee wird durch einen von Dave Asprey erfundenen „Bulletproof Coffee“ im Rahmen intermittierendem Fastens und einer ketogenen, also kohlehydratarmen, dafür fettreichen Ernährung, ersetzt. Der „Bulletproof“ ist daher eine Mixtur von Koffein aus Bio-Kaffeebohnen mit fetthaltigen Stoffen aus Butter sowie Kokosöl und weist damit eine deutliche Verwandtschaft zum althergebrachten Buttertee tibetischer Mönche auf. Am Abend wird zum Schutz der Augen und der Melatoninproduktion vor Blaulicht selbstverständlich eine Blue-Blocker-Brille angezogen. Tagsüber zählt eine Infrarotherapie zu den Must-haves, was nicht nur ganz allgemein Hautbild und Durchblutung zugutekomt, sondern unsere Zellen zur schnelleren Erneuerung anregen soll.
Diese Beispiele werden zur Einführung in die diffuse, bislang noch ziemlich unklar definierte Materie des Biohackings immer wieder aufgeführt. Das weist Berührungspunkte zu Wellness, Lifestyle, Ernährungsleitfäden oder Alternativ- beziehungsweise Volksmedizin auf und legt dabei auch ein ganz besonderes Augenmerk auf wissenschaftliche Forschung und modernste Technik. Dave Asprey versteht unter Biohacking „die Kunst und Wissenschaft, deine inneren und äußeren Umstände zu manipulieren, um Kontrolle über deine Biologie zu gewinnen.“ Und daraus letztlich auch ein Jugendelexier zu schöpfen, denn schließlich träumt Asprey davon, 180 Jahre alt zu werden „und dabei wie 27 auszusehen“. Wer das alles vorschnell als reine Spinnerei abtun möchte, sollte immerhin bedenken, dass rund um das Silicon Valley, dem Biohacking-Epizentrum, auch noch andere Prominente wie Twitter-Gründer Jack Dorsey oder Raymond Kurzweil, der Leiter der Google-Technik-Abteilung, auf eine biologische Selbstoptimierung zum Erreichen eines biblischen Alters setzen. Dabei pflegt Kurzweil seinem Ziel mit dem Schlucken von täglich rund 150 Pillen und gelegentlichen intravenösen Nährstoff-Injektionen nachzuhelfen. Und fraglos dürfte er damit die neuesten Entwicklungen auf den Gebieten des Zell-Boosterings oder der Epigenetik genauestens verfolgen.
Promis wollen ein biblisches Alter erzielen
„Biohacker wollen mit diagnostischen Methoden herausfinden“, so Max Gotzler, einer der führenden hiesigen Vertreter der Szene, „wie ihr Körper funktioniert, um ihn dann zu optimieren. Sie sind die Daniel Düsentriebs des menschlichen Körpers.“ Biohacker verfolgen den gleichen Ansatz wie Computerhacker. Um ein System hacken zu können, muss man es zunächst einmal grundlegend verstehen. Erst danach kann es gezielt verändert werden. Im Kern verbindet Biohacking die neuesten Erkenntnisse der Biologie und über den menschlichen Körper mit der Philosophie des Hackings. „Biohacking ist die Do-it-yourself-Biologie“, so Fabian Foelsch, einer der bekanntesten deutschen Biohacker, „eine biotechnische, gesellschaftliche Bewegung, in der sich Individuen und Organisationen die Errungenschaften der Biologie und Umweltwissenschaften zu eigenen Zwecken zunutze machen.“
Vermutlich basierend auf diesem Versuch einer Definition wird häufig eine Gleichsetzung von Biohacking und der Do-it-yourself-Biologie (DIYbio) postuliert. Tatsächlich handelt es sich bei der ursprünglich von Cambridge in Massachusetts ausgehenden BIYbio-Bewegung nur um ein Extrem oder einen Auswuchs des Biohackings. Getragen vor allem von Hobby-Biologen oder Wissenschaftlern abseits der klassischen Institutionen, die in Garagen oder Bastel-Laboren teils heikle (Selbst-)Experimente bis hin zu Genmanipulationen betreiben – Stichwort: Genom-Editing. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte diesbezüglich sogar von einem „Siegeszug der Erbgut-Hacker“ gesprochen und eine „Demokratisierung der Biotechnologie“ nicht ausschließen wollen.
Die BIYbio-Bewegung soll hier nicht weiter verfolgt werden, allerdings sollte zumindest noch angemerkt werden, dass sich eine ganze Reihe von Mitgliedern, „Grinder“ genannt, zur Optimierung und Kontrolle der Körperfunktionen technische Geräte oder Chips haben implantieren lassen und sich damit auf den Weg hin zu sogenannten Cyborgs gemacht haben. Andere haben sich chemische Cocktails in die Augen geträufelt, um dadurch Nachtsicht zu erzeugen. Natürlich trägt auch Dave Asprey ein Implantat im Oberarm und verweist immer wieder darauf, dass er dank seines speziellen, auch in eigenen Studios für viel Geld angebotenen Biotracking-Programms nicht nur in körperlicher Bestform sei, sondern inzwischen auch mit erfrischenden fünf Stunden Schlaf auskommen könne, seinen IQ-Wert um 20 Punkte habe steigern können und locker 4.000 Kalorien zu sich nehmen könne, ohne dabei zuzunehmen. Täglich 150 Sorten an Nahrungsergänzungsmitteln sind bei ihm Standard, auch vor Selbstversuchen mit Hormon-Injektionen schreckt er nicht zurück.
Gemeinhin werden beim Biohacking drei wesentliche Optimierungsbereiche genannt: Foodhacking (mit der Königsdisziplin der ketogenen Ernährung, dazu intermittierendes Fasten und Supplementierung wichtiger Mikronährstoffe), Bodyhacking (wobei es vor allem um das Vermehren der Mitochondrien, der kleinen Energiekraftwerke der Zellen, geht, beispielsweise mithilfe der Kältetherapie, aber auch um die Schlaf-Optimierung unter dem Stichwort Sleephacking oder um Fitness-Workouts) und Mindhacking (vor allem Meditationsübungen). Generell gibt es keine Dogmen, weil jeder ganz individuell genau abgestimmt auf seine persönlichen Bedürfnisse oder Ziele eine Auswahl aus den jeweiligen Bereichen auswählen kann. Allerdings spielt für viele Biohacker der Anti-Aging-Effekt (bis hin zu Transfusionen von aufbereitetem Jungblut) eine große Rolle, bei anderen wiederum mehr die Steigerung der mentalen Leistungsfähigkeit und Fitness oder auch nur die Schlafoptimierung. In den gängigen Mode- und Frauenmagazinen von „Vogue“ bis „Glamour“ wurde natürlich vornehmlich versucht, das Biohacking als neuen Beauty-Trend zu etablieren.
Demnach verzichten Biohacker ganz bewusst auf Zucker und möglichst weitgehend auf Kohlehydrathaltiges. „Biohacker hören ganz sensibel auf ihren Körper“, so „Harper’s Bazaar“, „welches Essen der Körper gut verträgt und welches nicht. Danach wird der Speiseplan ausgerichtet. Inklusive spezieller Nahrungsergänzungsmittel.“ Auch das Anlernen gewisser Schlafrituale gehöre zum Biohacking dazu, wobei vorbereitend am Abend möglichst die Finger von elektronischen Geräten gelassen werden sollte. Und morgens ist die Thermogenese in Gestalt einer eiskalten Dusche Pflicht. Tagsüber ist Frischluft- und Sonnenlichttanken angesagt. Vermutlich werden echte Biohacker über diese Tipps nur milde lächeln. Und zumindest zusätzlich das Schlucken von Hyaluronsäure-Drinks oder Proteinshakes vor dem Zubettgehen empfehlen. Die „Vogue“ rät immerhin neben der kalten Thermogenese zu intermittierendem Fasten, kohlenhydratarmer Low Carb, zur Infrarottherapie und der abendlichen Blaulicht-Protektionsbrille. Ziemlich überraschend dass niemand auf den wichtigen Mindhacking-Punkt der Profis hinweist, nämlich das tiefe Meditieren, womit Biohacker ihr Bewusstsein und ihre Konzentrationsfähigkeit steigern möchten.
In Zukunft soll es 3D-Hautdrucker geben
Daneben gibt es im Biohacking in Sachen Beauty aber auch weitaus Spektakuläreres. In Asien beispielsweise die sogenannte Liquid Skin, eine hautfarbene, auf das Gesicht aufzuklebende Silikonmaske, mit der die Nase verschlankt, das Kinn konturiert und die Wangenknochen angehoben werden können. Oder andere spezielle Gesichtsmasken, die wie Massagen nicht nur die Lymphknoten stimulieren, sondern auch das Ausscheiden von Flüssigkeit oder Giftstoffen beschleunigen sollen. Eine kosmetische Akkupunktur ist ebenso zu erwähnen wie innovative Mikrostrom-Gesichtsbehandlungen. Oder molekulare Anwendungen, bei denen intravenös Anti-Aging-Wirkstoffe oder Antioxidantien zugeführt werden. Die Kältetherapie kann auch mittels sogenannter Kryptokapseln durchgeführt werden, Ozonsaunen nicht zu vergessen. Doch womöglich ist das alles erst der Anfang. Weil Schönheitsexperten schon davon ausgehen, dass künftig jeder seinen persönlichen 3D-Hautdrucker verwenden kann, mit dem die Haut gescannt und danach eine maßgeschneiderte Schicht aus Hautpflegeprodukten und Pigmenten erzeugt werden kann. Zudem könnte der Schlaf anstatt der jetzt schon von Biohackern zur Überwachung von Körpertemperatur und Blutvolumenpuls verwendeten sogenannten Oura-Ringe mit an den Betten angebrachter Monitoren getrackt und überwacht werden. Neue Erdungsmatten sollen zusätzlich dabei helfen, während der Ruhephasen Entzündungen zu verringern. Innovative Bettwäsche aus Biotextilien, sogenannte Pro-Sleep-Shortcuts, die mit Hautpflegeprodukten imprägniert sind, könnte die Haut auch während des Schlafs pflegen.
Dass Biohacking inzwischen auch von Teilen der seriösen Wissenschaft ernst genommen wird, beweist derzeit ein Forschungsprojekt namens „Precision Age“ der Universität Zürich. Ziel ist es, ein individuell zugeschnittenes Präventionsprogramm zu entwickeln, mit dessen Hilfe schon in kürzester Zeit die Geschwindigkeit des biologischen Alterns verlangsamt werden kann. Laut den Erkenntnissen der Schweizer Forscher wird die Länge unseres Lebens nur zu 30 Prozent von unserer Genetik bestimmt. 70 Prozent hängen von der Epigenetik ab, also von Faktoren unseres Lebensstils. Und diese Lebensstilfaktoren lassen sich natürlich beeinflussen. Vor allem sind sogenannte seneszente Zellen, die bei der normalen Zellreproduktion fehlerhafterweise trotz Beschädigung nicht ausgeschieden werden und als eine Art von Zombie-Zellen im Körper verbleiben, in den Blickpunkt der Altersforschung gerückt. Diese Zellen können sich anhäufen und dadurch die Alterung beschleunigende Zellgifte entstehen lassen oder zusätzliche Zellschäden verursachen. Als Wunderwaffe gegen die Seneszenz hofft die Wissenschaft auf einen Farbstoff namens Fisetin, der beispielsweise in manchen Obst- und Gemüsesorten enthalten ist (beispielsweise in Erdbeeren) und in ersten Studienversuchen unter dem Fachbegriff Senolytika schon vielversprechende Ergebnisse liefern konnte.