Austritte, Rücktritte, Wählerschwund: Die Linkspartei ist im Dauerkrisenmodus. Das hat tiefer liegende Ursachen als Streitigkeiten über Sexismus oder die Haltung der Partei gegenüber dem Kreml.
Und noch eine, die der Partei um Janine Wissler den Rücken kehrt. Mit dem Austritt von Helin Evrim Sommer Anfang Mai hat die Linkspartei erneut ein bekanntes Mitglied verloren. Als Hauptgrund hatte die langjährige Bundes- und Landtagsabgeordnete die Haltung gegenüber Russland angegeben. Trotz der Expansionspolitik des Putin-Regimes werde Russland bei den Linken weiter verklärt. Damit steht die 51-Jährige in einer Reihe von Rück- und Austritten in den vergangenen Monaten. Angefangen hat es zu Jahresbeginn mit dem Austritt von Christa Luft, die die Parteiführung der Linken als zu angepasst kritisiert hatte. In der Linken gäbe es keine Debattenkultur und keine Mitgliederpflege, monierte sie in ihrer Austrittserklärung. Simone Barrientos, die bis 2021 für die Bayern-Linke im Bundestag gesessen hatte, trat im März aus. Ihr Kritikpunkt war, ähnlich dem von Helin Evrim Sommer, die Haltung der Linken zum Ukraine-Krieg. Marjana Schott, Vize-Vorsitzende der Linken in Hessen, trat im April aus. Im selben Monat war auch die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow zurückgetreten.
Zwei linke Fraktionen in Saarbrücken
Prominentestes Austrittsbeispiel ist allerdings Oskar Lafontaine, einer der Mitbegründer der Linken. Der hatte kurz vor der Landtagswahl im Saarland seinen Austritt erklärt. Nicht wirklich überraschend nach der lang anhaltenden Auseinandersetzung mit Landesparteichef und Bundestagsabgeordneten Thomas Lutze, von dessen Wiederwahl Lafontaine öffentlich abgeraten hatte. Was wiederum dazu führte, dass gegen Lafontaine ein Parteiausschlussverfahren angestrengt wurde. Hintergrund der Dauerauseinandersetzung im Saarland war kein inhaltlicher Richtungsstreit, sondern Vorwürfe zu manipulierten Wahlen und Listenaufstellungen. Inhaltliche Oppositionsarbeit fand zwar noch in der Landtagsfraktion statt, aber die Partei war als politisch-inhaltliche Kraft nicht mehr wahrnehmbar. Am Ende gab es im saarländischen Landtag gleich zwei Linke-Fraktionen, die eine angeführt von der aus der Fraktion ausgeschlossenen Barbara Spaniol, die andere von Lafontaine.
Das Kartenhaus der Linken wackelt heftig. Einige sind der Meinung, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es ganz in sich zusammenfällt. Aus dem Mitgliederschwund macht die Partei, die einst aus WASG und PDS zur Linkspartei fusionierte, indes keinen Hehl. Dabei versucht sie gleichzeitig die Austrittswelle abzubremsen. Gibt man die Stichwörter „Austritt" und „Linke" bei Google ein, kommt man bei den häufigsten Suchergebnissen schnell zu einem Online-Beitrag der Partei selbst. Unter der Überschrift „Austritt aus der Linken?" will man scheidende Mitglieder dazu bewegen, ihre „Entscheidung noch einmal zu überdenken".
Auch aufseiten der Wähler bröckelt der Rückhalt. Und das nicht erst seit Monaten, sondern seit Jahren. Noch bei der Bundestagswahl 2009 erreichte die Linke mit den Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zwölf Prozent. 2021 hatte sie gerade einmal 4,9 Prozent. Damit scheiterte die Partei zwar an der Fünf-Prozent-Hürde, profitierte aber von der Sonderregelung, dass bei einer Mindestzahl von drei Direktmandaten Fraktionsstatus erreicht wird.
Während die einen die Haltung der Linken zur Nato oder zu Moskau zum Anlass nehmen, um sich von der Partei abzuwenden, fühlen sich andere von dem Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen abgestoßen. Anlässe für die Austritte gibt es viele. Die Ursachen indes liegen tiefer. Und sie reichen länger zurück als etwa nur bis zu Putins Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist schon seit Längerem nicht klar, wofür die Partei inhaltlich mittlerweile steht: Steht man für Klimaschutz oder Geschlechtergerechtigkeit? Oder will man sich verstärkt wieder auf linke Kernthemen konzentrieren und sich für soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung einsetzen? Auch die Haltung, die die Partei während der vergangenen zwei Jahre in puncto Corona-Politik an den Tag gelegt hat, ergibt ein eher verschwommenes als klares Bild: Dementsprechend kritisieren die einen, dass Die Linke insbesondere in ihrer Rolle als Oppositionspartei keine oder nur ungenügend Position gegen die massiven Grundrechtseinschränkungen bezogen hat. Und andere wie etwa Helin Evrim Sommer monieren wiederum, dass die Partei „auch um rechtslastige Stimmen, wie die von den Querdenkern" buhle.
Ausgerechnet beim Kernthema soziale Ungleichheit schwächeln die Linken jetzt im Roten Rathaus: Vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus war die Partei als Koalitionspartner von Rot-Rot-Grün die einzige, die sich für die Umsetzung der Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen hat. In dem Volksentscheid im Herbst hatten immerhin knapp 60 Prozent der Berliner dafür gestimmt. Jetzt droht das Plebiszit in den Mühlen der Bürokratie peu à peu zermahlen zu werden. Und das in einer Stadt, die ein Riesenproblem mit steigenden Mieten bei gleichzeitig sinkenden Reallöhnen hat.
Auch östlich der Elbe Wähler verloren
Dabei hat die Partei in der Hauptstadt als Regierungspartner mit 14,1 Prozent der Stimmen noch eine einigermaßen gefestigte Position. Zumindest jetzt noch. Noch erzielt Die Linke in fast allen neuen Bundesländern Wahlergebnisse in zweistelliger Höhe. Bei der Landtagswahl in Thüringen im Jahr 2019 wurde die Linkspartei mit 31 Prozent sogar stärkste Kraft. Im Kontrast dazu krebst Die Linke in den alten Bundesländern im einstelligen Bereich herum. Einzige Ausnahme: Bremen. Dort erzielte die Partei zuletzt 11,3 Prozent.
Bei den drei Landtagswahlen in diesem Jahr, alle in West-Ländern, setzte sich der Abstieg fort. Im Saarland verlor die Partei ohne den alten Vormann Oskar Lafontaine zehn Prozent, stürzte ab auf gerade noch 2,6 Prozent. Parallel zu der Entwicklung auf Landesebene zerfällt auch die kommunale Basis, reihenweise haben Mandatsträger die Partei verlassen. Die Partei ist dabei, sich abzumelden. In Schleswig-Holstein reichte es für 3,8 Prozent, in Nordrhein-Westfalen schließlich 2,1 Prozent (Zweitstimmen).
Typische Ost-West-Kluft? Nicht ganz. Denn auch östlich der Elbe hat der Zuspruch für die Linken in den vergangenen Jahren nachgelassen. Durch das Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD) wurde aus dem halbwegs festen Sattel, in dem die Linken im Osten saßen, stellenweise ein Schleudersitz. So musste die Partei in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern gleich ein doppeltes Debakel erleben, als die AfD sie 2016 ad hoc als zweit- oder drittstärkste Kraft verdrängte. Auch bei den Landtagswahlen 2019 in Brandenburg und in Sachsen erlitt Die Linke ähnlich hohe Einbußen.
Auf dem kommenden Parteitag Ende Juni will man den Parteivorstand neu wählen. Wichtige politisch-inhaltliche Klärungen stünden an, heißt es in einer Pressemeldung. Top-Themen sind der sozial-ökologischen Umbau sowie die Außen- und Friedenspolitik in Hinblick auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Vielleicht findet sich doch noch der Kitt, mit dessen Hilfe die zerbrochenen Scherben wieder zusammengeklebt werden können. In dem Webseitenappell an die Mitglieder, ihren Parteiaustritt nochmals zu überdenken, heißt es im letzten Satz: „Wir finden eine Lösung". Wie auch immer diese Lösung aussehen mag: Die nächsten Monate werden es zeigen. Vielleicht auch schon die nächsten Wochen.