Die Pandemie scheint derzeit Pause zu machen. In der Politik laufen die Diskussionen um Vorbereitungen für den Herbst. Es wird neue angepasste Impfstoffe geben und womöglich Änderungen beim Infektionsschutzgesetz.
Es war etwas ruhig geworden um das Thema Impfen ins Sachen Corona, nachdem Vorschläge zu einer Impfpflicht im Bundestag ziemlich kläglich im Parteienstreit gescheitert waren. Die zeitweise fast schon obligatorischen Demos und „Spaziergänge" haben sichtlich Zustimmung verloren. Und wo sie noch stattfinden, versuchen Veranstalter, den Ukraine-Krieg gleich noch mit zum Thema zu machen, nach dem Motto: gegen einrichtungsbezogene Impflicht – gegen Waffenlieferungen. Die innere Logik erschließt sich nicht zwingend, außer vielleicht, dass offenbar ein eher harter Kern auch flexibel ist in der Frage, wogegen demonstriert werden soll.
Gleichzeitig hat mit den ersten hochsommerlichen Mai-Tagen eine Diskussion Fahrt aufgenommen, die den Herbst im Blick hat. Denn nach den Erfahrungen der Vergangenheit will keiner noch mal so halbherzig vorbereitet mehr oder minder abwarten, was sich möglicherweise an nächster Pandemiewelle entwickeln könnte.
Eine zweite Booster-Impfung für ältere und gefährdetere Gruppen gehört zu einer der empfohlenen Maßnahmen. Immer mehr internationale Studien belegen, dass dadurch der Schutz vor schweren Verläufen noch mal deutlich gesteigert werden kann. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat bereits mehrfach dafür geworben, eine generelle Empfehlung seitens der Stiko (Ständige Impfkommission) gibt es aber noch nicht. Genau die würde sich der Minister aber wünschen.
Zweites Boostern erhöht Schutz
Für Menschen über 70 ist die in der Regel insgesamt vierte Impfung bereits empfohlen, aber noch nicht für die U-70-Gruppe. Dazu, argumentiert die Impfkommission, würde sie gern noch Ergebnisse weiterer Studien abwarten. Die Stiko ist bekannt dafür, dass sie bei ihren Empfehlungen versucht, auf einer möglichst sicheren Seite zu sein, deshalb nicht vorschnell entscheidet. Das hat ihr zwar in der Vergangenheit immer mal wieder den Vorwurf der Zögerlichkeit eingebracht, was sie aber nicht von ihrem grundlegenden Kurs abbringen konnte.
Für weitere Impfungen im Herbst hat das Bundeskabinett bereits über 800 Millionen Euro eingeplant. Das unterstreicht die Ernsthaftigkeit, mit der sich Lauterbach auf neue Entwicklungen vorbereiten will. Bis dahin könnten auch zwei neue Impfstoffe zur Verfügung stehen, die im Grunde vor allem Anpassungen an neue Varianten des Virus sind. Zum einen ein Impfstoff von Biontech, der auf die Omikron-Variante abgestellt ist, zum anderen eine Entwicklung von Moderna, die auch die frühe Wuhan-Variante betrifft. Die wurde zwar von Omikron ziemlich zurückgedrängt, ist aber weiterhin vorhanden.
Studien aus den USA bei Krankenhauspatienten (von Pfizer finanziert), zeigen, dass die erste Booster-Impfung offenbar einen Schutz von 85 Prozent gegen schwere Verläufe (und damit Krankenhauseinweisungen) bringt. Der lässt aber nach etwa drei Monaten erkennbar nach und wurde mit etwa 55 Prozent angegeben. Dem möglichen Einwand, dass hier ein Pharmakonzern Studien im eigenen Interesse finanziert haben könnte, lässt sich mit dem Hinweis auf eine Reihe andere Untersuchungen in anderen Ländern begegnen, die im Kern zu denselben Ergebnissen kommen.
Damit geht die Diskussion nicht mehr um die grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer zweiten Booster-Impfung, sondern allenfalls darum, für wen sie denn sinnvollerweise empfohlen werden sollte. Die EU-Arzneimittelbehörde setzt bei älteren Menschen ab 80 an, die Stiko, wie gesagt, bei 70, Minister Lauterbach hielte 60 für sinnvoll.
Länder fordern Masterplan
Aktuell haben 49,6 Millionen Menschen in Deutschland eine erste Booster-Impfung (knapp 60 Prozent), aber erst 4,8 Millionen (5,8 Prozent) eine zweite (RKI-Impf-Dashboard, Stand 20. Mai). Der Anteil der Menschen, die sich noch gar nicht haben impfen lassen, ist praktisch fast unverändert bei knapp 18 Prozent (nicht eingerechnet die rund vier Millionen Kinder, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist).
Neben dem beständigen Drängen von Minister Lauterbach machen sich inzwischen aber offensichtlich auch andere Sorgen um die Entwicklung zum Herbst. Die Gesundheitsminister der Länder haben Karl Lauterbach aufgefordert, einen „Masterplan" für den Herbst aufzustellen. Und vor allem wollen die Länder erneut Änderungen am derzeit geltenden Infektionsschutzgesetz, um Instrumente für den Herbst an der Hand zu haben, darunter die bekannten Maßnahmen wie Maskenpflicht und Nachweise. Lauterbachs Reaktion auf diese Forderung: Natürlich bräuchten die Länder mehr Möglichkeiten, als es die derzeitige Gesetzeslage hergibt.
Dass das alles an die leidvollen Diskussionen der Vergangenheit, den Dauerstreit um Maßnahmen, Zuständigkeiten und die Umsetzung erinnert, liegt auf der Hand.
Es wird für Lauterbach in diesem Bereich die erste echte Bewährungsprobe, ob es unter seiner Führung gelingt, für den dritten Pandemie-Herbst gut aufgestellt zu sein. Lauterbach war im Dezember vergangenen Jahres ins Amt gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits die Omikron-Variante das Geschehen beherrscht und offenbart, wie unzulänglich man darauf vorbereitet war. Erinnert sei nur an Impfzentren, die erst geschlossen wurden, um kurz danach in Hektik wieder betriebsbereit gemacht zu werden.
Mit einer allgemeinen Impfpflicht oder zumindest einer ab 60 Jahren konnte sich Lauterbach im April offensichtlich nicht gegen den Koalitionspartner FDP durchsetzen. Jetzt geht es darum, aus der Vergangenheit zu lernen und mit einem mit den Ländern abgestimmten Konzept in den Herbst zu gehen. Das bleibt eine Herausforderung für einen Bundesgesundheitsminister im föderalen System. Bayern hat jedenfalls schon einen eigenen Fünf-Punkte-Plan gegen eine mögliche neue Pandemie-Welle im Herbst vorgelegt. Neben bekannten Maßnahmen setzt der dortige Gesundheitsminister auf den Ausbau eines Monitorings als Corona-Frühwarnsystem. Mag sein, dass Bayern damit auch deshalb vergleichsweise früh dran ist, weil sich dort schon ziemlich viele Blicke auf die Wahl im kommenden Jahr richten. Aber schon die Gesundheitsministerkonferenz hat klargemacht, dass jetzt die Grundlagen geschaffen werden müssen.