Hollywoodstar Amanda Seyfried spricht mit uns über ihre TV-Serie „The Dropout", ihre Verwandlung als Schauspielerin, wie sie ihre Ängste in den Griff bekommt und über ihre ganz persönliche sexuelle Revolution.
Miss Seyfried, sie spielen die Hauptfigur in „The Dropout". Elizabeth Holmes ist anfangs eine sehr liebenswerte Frau. Im Laufe der Zeit wird sie ein echtes Biest und verstrickt sich immer mehr in einen Betrugsskandal. Welche Seite ihres Charakters hat Ihnen mehr Spaß gemacht darzustellen?
Ich bin immer sehr dankbar, wenn sich die Person, die ich spiele, im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Diese Veränderungen im Charakter überzeugend darzustellen ist für mich das ultimative Ziel. Wenn mir das gelingt, bin ich happy. Und jede Figur, die ich spiele, versuche ich mir zunächst so sympathisch wie möglich zu machen. Ich versetze mich so gut ich kann in sie hinein und bin immer auf ihrer Seite. Und ich verteidige sie sogar, ganz egal, was sie macht. Denn das gehört ja zu ihrem Charakter. Bei Elizabeth Holmes habe ich mich also sehr darauf konzentriert, sie so menschlich wie möglich darzustellen. Und Dinge in ihrem Wesen zu finden, die auch mir persönlich wichtig sind und die ich schätze.
Welche Dinge sind das zum Beispiel?
Ihr Durchhaltevermögen. Ihr Vermögen, ihre Träume auch in die Tat umzusetzen. Ihre Ambitionen. Ihre Power. Nicht klein beizugeben und sich von Männern, die das Sagen haben, nicht abwürgen zu lassen. Da fühlte ich mich ihr über weite Strecken sehr nahe. Dann kam ich natürlich an den Punkt, wo ich ihren Niedergang spielen musste. Und ihre sehr fragwürdigen und unethischen Entscheidungen, die sie traf, ebenso überzeugend und mit Nachdruck darzustellen. Da habe ich mich oft innerlich sehr zwiespältig gefühlt. Vor allem als ihre unfassbaren Betrügereien und Lügen sichtbar wurden. Das war schon eine krasse Transformation. Es war ein bisschen so, wie wenn man den Film „Titanic" ansieht und sich im Stillen wünscht, dass das Schiff nicht untergeht.
Im Jahr 2014 gründete Elizabeth Holmes ihre Start-up-Firma, die angeblich mit Blut-Schnelltests über 240 Krankheiten im Schnellverfahren diagnostiziert, und generierte im Laufe der Jahre über neun Milliarden Dollar Umsatz. Sie standen bei „The Dropout" genau zur der Zeit vor der Kamera, als die echte Elisabeth Holmes wegen Betrugs angeklagt wurde und vor Gericht stand. Inwiefern hat das Ihr Spiel beeinflusst?
Es gab Tage, da habe ich beim Frühstück auf mein Handy geschaut und da waren 700 Text-Nachrichten, die während der Gerichtsverhandlung veröffentlicht wurden. Zusammen mit den Produzenten und Regisseuren haben wir diese Informationsflut immer nach neuen Fakten abgecheckt, die wir eventuell in unser Skript einarbeiten konnten. Aber das waren keine großen Änderungen. Unsere Drehbücher waren schon von Anfang an ziemlich wasserdicht. Es war sehr befriedigend, festzustellen, dass wir auf dem richtigen Weg waren.
Elizabeth Holmes wurde für schuldig befunden und erwartet im Herbst ihr Urteil. Hat sie Ihrer Meinung nach diesen gigantischen Betrug von Anfang an vorsätzlich begangen?
Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, sie ist mit guten Absichten gestartet und dann immer tiefer in etwas hineingeschlittert … Wo genau sie vom richtigen Weg abgekommen ist, weiß ich bis heute nicht. Dafür gibt es sicherlich auch keine einfache Erklärung. Aber das ist ja gerade das Faszinierende an ihr: Wir wissen immer noch nicht, wer sie wirklich ist! Unsere Serie, auf die ich sehr stolz bin, ist ja nur unsere Version der ganzen Geschichte. Doch ich bin überzeugt davon, dass es sich genauso zugetragen haben könnte.
Im Film gibt es den berühmten Spruch des „Star Wars"-Gurus Yoda, „Do or Do not. There’s no trying", der das Lebensmotto für Elisabeth Holmes war. Spricht Sie das auch an? Und haben Sie ein Mantra, nachdem Sie Ihr Leben ausrichten?
Ehrlich gesagt habe ich schon ewig keinen „Star Wars"-Film mehr angesehen. Vielleicht war ich als Kind für die ersten beiden im Kino. Aber weder die Filme noch das Yoda-Motto spielen in meinem Leben eine Rolle. Das ist definitiv nicht mein Ding. Und was mein persönliches Mantra betrifft … das wechselt wöchentlich. Mein Mantra heute lautet: „Sei so wahrhaftig und authentisch, wie du nur sein kannst." Ich will immer daran denken, was wirklich ist. Ich habe sehr viele Ängste, die auf meiner eigenen Imagination beruhen, und die mich daran hindern das Hier und Jetzt zu genießen.
Heißt das, Sie bilden sich Dinge ein, die Sie dann ängstigen?
Ich habe eine überbordende Fantasie und kann mir alles Mögliche vorstellen. Vor allem auch Schlimmes. Meistens weiß ich zwar schon, dass das alles Einbildung ist – aber das hilft mir oft nicht wirklich weiter. Aber ich arbeite daran. Deshalb gibt mir die Realität, also das, was ist, Sicherheit. Es ist auch kein Geheimnis, dass ich täglich ein Antidepressivum nehme. Und das schon seit ich 19 bin. Ich bin sehr niedrig eingestellt. Für mich ist das okay, da es mir hilft, meine Ängste unter Kontrolle zu halten. Ich finde sowieso, dass es höchste Zeit ist, dass Menschen mit psychischen Krankheiten genauso ernst genommen werden wie Menschen mit körperlichen Krankheiten und nicht stigmatisiert werden.
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass Ihnen Hollywood schon früh das „Nette-Mädchen-Image" verpasst hat.
(Lacht) Ich bin eben eine gute Schauspielerin! Aber im Ernst: Wie man mich früher vermarktet hat, das konnte ich ja kaum beeinflussen. Das ist jedoch nur ein Aspekt meiner Persönlichkeit. Ich habe auch sehr viel dunklere, abenteuerliche, ja verruchte Seiten. Die konnte ich dann später auch in Filmen wie „Chloe" oder „Lovelace" zeigen. Der Film, in dem ich den Pornostar Linda Lovelace spiele, die Anfang der 70er-Jahre mit dem Skandalfilm „Deep Throat" bekannt und berüchtigt wurde, war für mich wohl so eine Art Manifestation meiner ganz persönlichen sexuellen Revolution. Ich wurde nämlich sehr konservativ erzogen und unter dem Eindruck, Sex sei etwas Schmutziges. Das hat sich allerdings längst erledigt. Aber vielleicht ist dieser Drang, mich von meinen Eltern, von Hollywood, von der ganzen Welt zu emanzipieren mit ein Grund, warum ich – zumindest beruflich – immer öfter meine „Sicherheitszone" verlassen will. Und das ist mir einmal mehr mit der Rolle der Elizabeth Holmes gelungen.
Holmes war viele Jahre lang ein Vorbild für junge Frauen, die sich in einer von Männern dominierten Berufswelt durchzusetzen hatten. Glauben Sie, dass sie durch ihre kriminellen Handlungen die Frauenbewegung sehr zurückgeworfen hat?
Hoffentlich nicht. Man kann sich doch nicht eine einzige Person herauspicken und ihr Verhalten auf alle anderen beziehen. Wir Menschen sind doch alle einzigartig! Natürlich hat ein solch gigantischer Betrug – zumal hier in den USA – hohe Wellen geschlagen und es für die ein oder andere Frau vielleicht sogar schwieriger gemacht, ihre Karriere fortzusetzen. Vor allem in der Biotech-Welt scheinen Wissenschaftlerinnen jetzt großem Misstrauen seitens der Männer ausgesetzt zu sein.
Haben Sie von solchen Zurückweisungen gehört?
Leider ja, aber wir sollten nicht vergessen, dass Elizabeth Holmes eine außergewöhnlich intelligente und charismatische Frau war, die in ihrem Beruf extrem gut und erfolgreich war. Sonst hätte sie es ja nicht bis an die Spitze geschafft. Und die Power gehabt, ein paar Männer, die sie kleinhalten wollten, aus dem Weg zu räumen. Man hat ihr in Fachkreisen sehr aufmerksam zugehört und war anfangs sehr begeistert davon, dass sie diese revolutionären Ideen hatte und sie augenscheinlich auch in die Tat umsetzen konnte. Verstehen Sie mich aber nicht falsch: Jeder sollte für seine schlechten Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden!
„Dopesick" letztes Jahr, „The Dropout" dieses Jahr – glauben Sie, dass in der Zeit der Pandemie solche Geschichten, die äußerst menschenverachtende Missbräuche im US-Gesundheitssystem offenlegen, besondere Beachtung beim Publikum gefunden haben?
Ich glaube, die meisten Zuschauer waren einfach fasziniert vom Aufstieg und Untergang dieser Personen. Das ist ja ein klassisches Dramen-Thema. Man sollte nie vergessen, dass an diesem Desaster viele Menschen beteiligt waren. Denn diese Leute hätten niemals so gigantischen Erfolg gehabt, wenn nicht auch andere mitgemacht hätten, die hofften, für sich selbst viel Profit herausschlagen zu können. Die Gier nach Geld hat alles andere übertrumpft. Sie alle wollten doch daran glauben, koste es, was es wolle. Das liegt wohl in der menschlichen Natur.
Ist Amerika tatsächlich so korrupt? Oder naiv? Je nach Sichtweise …
Da steht mir kein Urteil zu. Immerhin gab und gibt es ja noch ein paar Aufrechte, die diese Dinge aufdecken. Doch was uns Zuschauer betrifft … wir fühlen uns dadurch doch alle mehr oder weniger betrogen. Und dann ist es doch eine ganz besondere Befriedigung für uns, die Betrüger endlich untergehen zu sehen.
Das ist der klassische Dramen-Stoff – nicht nur in Hollywood. Aufstieg und Fall …
… und dann zu sehen, wie der Gefallene wieder aufersteht.
Oder auch nicht?
(Lacht) Wir werden sehen …