Das Foto eines weinenden nackten kleinen Mädchens ging 1972 um die Welt. Es wurde zum Symbol der Grausamkeit des Vietnamkriegs. Doch wie geht es dem Mädchen von damals 50 Jahre später? Seit vielen Jahren setzt sich Kim Phúc für Versöhnung ein – all ihrer Qualen zum Trotz.
Es ist ein Foto, das wohl niemand, der es gesehen hat, wieder vergessen kann: Ein schreiendes neunjähriges Mädchen rennt nackt, mit ausgebreiteten Armen und schmerzverzerrtem Gesicht entlang einer Straße in Vietnam direkt auf die Linse einer Kamera zu. Phan Thi Kim Phúcs Körper ist verbrannt von Napalm. Die klebrige Flüssigkeit, ein garstiges Gemisch aus Benzin, Ölen und Säuren, hat fast 50 Prozent ihrer Haut zerstört.
Als das Foto aus dem Vietnamkrieg am 8. Juni 1972 aufgenommen und in den darauffolgenden Tagen in Zeitungen auf der ganzen Welt gedruckt wird, erlangt die kleine Kim Phúc weltweit traurige Berühmtheit. Das Foto, das ihr unvorstellbares Leid dokumentiert, wird zu einer Anklage gegen den Horror eines sinnlosen Krieges. Und es ist vielleicht ein Mosaikstein, der die öffentliche Meinung in den USA gegen den Krieg kippen lässt.
14 Monate verbrachte sie im Hospital
Was genau an diesem verhängnisvollen Junitag 1972 in Kims Heimatort Trang Bàng, 30 Kilometer nördlich von Saigon passierte, blieb lange unklar: Unterstützt von den Amerikanern begann die südvietnamesische Armee eine Großoffensive gegen den Vietcong. Vietcong-Truppen hatten im Gemüsegarten von Kims Vater Maschinengewehrstellungen errichtet. Gegen 16 Uhr warfen die Südvietnamesen Napalm-Bomben, um die Vietcong-Stellungen zu zerstören.
Dass man sich heute unter Militärhistorikern einig ist, dass die Brandwaffen nicht von der US-Armee kamen, ist für Kims Martyrium unerheblich. Es zeigt aber umso mehr die Absurdität eines Krieges, in dem unschuldige Zivilisten – eine offizielle Schätzung der vietnamesischen Regierung von 1995 geht von zwei Millionen Toten aus – willkürlich und wahllos zu Opfern wurden. Im Jahr 1980 beschließt das Protokoll III der Vereinten Nationen Ächtung unmenschlicher Waffen, den Einsatz von Brandwaffen zu verbieten. Die USA haben nach eigenen Angaben ihre Bestände an Napalm im Jahr 2001 zerstört.
Glück in ihrem unsäglichen Unglück hat Kim Phúc, weil der Fotograf des Bildes, Nick Út, der für die Agentur Associated Press im Einsatz war, mit der schreienden Kim Phúc in seinem Jeep in ein nahegelegenes Hospital raste, das unter britischer Verwaltung steht. Experten für Brandverletzungen sind sich heute einig, dass die von den erfahrenen Ärzten und Pflegern geleistete gute Erstversorgung ihrer Wunden Kim Phúc das Leben rettete. 14 Monate verbringt das Napalm-Opfer im Hospital, damit ihre Verbrennungen dritten Grades, die die Hälfte ihres kleinen Körpers bedecken, versorgt werden können.
Für sein heute weltberühmtes Foto erhält Nick Út den Pulitzer-Preis und dazu den Preis für das Pressefoto des Jahres 1972. Die Aufnahme verändert die weltweite Wahrnehmung des Vietnamkriegs und seiner Kriegsverbrechen und markiert wohl einen Wendepunkt, an dem die öffentliche Meinung in den USA gegen den Krieg kippt.
2002 veröffentlichte das US-amerikanische Nationalarchiv historische Tonaufnahmen aus dem Weißen Haus, in denen der damalige Präsident Nixon am 12. Juni 1972 im Gespräch mit seinem Generalstabschef H.R. Haldeman die Echtheit des Fotos anzweifelt. Nick Út entgegnete diesen Zweifeln in einem Interview ganz direkt: „Das Foto war so echt wie der Vietnamkrieg selbst. Dieser Moment war Kim Phúc. Ich werde ihn nie vergessen. In letzter Konsequenz hat er unser beider Leben verändert."
17 Operationen in den Folgejahren
Kim Phúc beschreibt in einem Interview mit der „New York Times" im Juni 2000 ihre Gefühle: „Das Foto bringt den Moment von damals immer wieder zurück: Ich sah das Flugzeug. Ich sah das Feuer. Ich hatte solche Angst. Ich weinte und rannte und versuchte dem Feuer zu entkommen." Anfangs waren Kims Leiden so groß, dass sie beim Waschen und Versorgen ihrer Wunden oft vor Schmerzen ohnmächtig wurde. Amerikanische Ärzte in Vietnam versuchten ihr Leiden mit Hauttransplantationen zu lindern. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten muss sie insgesamt 17 Operationen durchmachen. Darunter auch zwei OPs im August 1984 im Schwerbrandverletztenzentrum der BG Klinik in Ludwigshafen.
Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Stern" hatte über die Jahre hinweg Kontakt zum „Napalm-Mädchen" gehalten. Ihre schweren Verbrennungen zerstörten die Schweißdrüsen der geschädigten Haut für immer. Ohne Schweißdrüsen können Haut und folglich der Körper nicht abkühlen. Verzweifelt suchte Kim Phúc Linderung und schrieb im März 1983 einen Brief an die Redaktion: „Seit einigen Monaten ist es in Vietnam sehr heiß. Ich ertrage kaum meine Pein. Ich möchte am liebsten sterben. Ich bitte sie dringend, mir zu helfen."
Der Stern und Gelder für Vietnam-Flüchtlinge des Kinderhilfswerks „Terre des Hommes" ermöglichten Kim Phúc die Reise nach Deutschland. Mit mächtigem Medienaufwand wurde über ihren gut dreiwöchigen Aufenthalt hierzulande berichtet. Vielleicht war es dieser Medienrummel und wohl mehr noch eine niederländische Filmcrew, die Kim Phúc in Vietnam besuchte, sie interviewte und tagelang mit ihr drehte, der dazu beitrug, dass die vietnamesische Regierung den propagandistischen Nutzen des Kriegsopfers Kim Phúc „entdeckte".
Großer Einsatz für Versöhnung
Kommunistische Offizielle bestellten sie nach Ho Chi Minh ein. Sie wurde zur Heldin von Propagandafilmen gemacht und von PR-Termin zu PR-Termin geschleppt. Kim Phúc missfiel diese Popularität. Vielleicht war sie aber der Grund, warum ihre Regierung der jungen Frau 1986 ein Auslandsstudium in Kuba ermöglichte.
Ihr geschundener Körper machte Kim Phúc zu schaffen. Sie wird von Asthma-Anfällen gequält und entwickelt eine Diabetes. Besser erging es ihr aber in der Liebe. 1992 heiratet sie Bui Huy Toan, einen vietnamesischen Kommilitonen in Kuba. Sie verbrachten ihre Flitterwochen in Moskau. Auf dem langen Rückflug war ein Tankstopp in Gander, einer Kleinstadt mit Flughafen in der kanadischen Provinz Neufundland, eingeplant. Kim Phúc teilte ihrem Mann mit, dass sie in Gander aus dem Flugzeug aussteigen, aber nicht wieder einsteigen werde. Das Paar bekam politisches Asyl in Kanada.
Über die schwere Anfangszeit in einem ihr gänzlich fremden Land sprach sie in einem „New York Times"-Interview: „Ich wusste nicht, was vor mir lag. Aber ich war glücklich, denn ich war frei, ich war jetzt in Freiheit." Es konnte nicht ausbleiben, dass sie auch in Kanada von ihrer Vergangenheit eingeholt wurde. Eine Gruppe von US-Vietnam-Veteranen lud sie im November 1996 nach Washington, D.C. ein. Kim Phúc hatte sich entschieden, zur Versöhnung zwischen den USA und Vietnam beizutragen: „Ich wollte meine Erfahrungen mit anderen Menschen teilen, damit sie sich besser fühlen. Hinter dem Bild von mir steckt auch, dass Tausende und Abertausende gelitten haben, mehr gelitten haben als ich oder starben. Viele verloren Gliedmaßen. Ihre Leben waren zerstört und niemand hat davon ein Foto gemacht."
Unesco ernannte sie zur Ehrenbotschafterin
Bei der Versöhnungsfeier war Kim Phúc inmitten vieler amerikanischer Soldaten in Uniform. Da kam ihre Angst wieder hoch. Doch sie zwang sich stark zu sein, sagt sie rückblickend. Und die ehemaligen Soldaten, die zu Tausenden anwesend waren, dankten ihr dafür mit stehenden Ovationen. „Ich habe viele körperliche und seelischen Schmerzen durchlebt, manchmal so schlimm, dass ich nicht atmen konnte. Aber Gott hat mein Leben gerettet und gab mir den Glauben und gab mir Hoffnung", sagte sie bei ihrer Rede.
In den Jahren danach setzte sie sich mit all ihrer Kraft für Frieden und Aussöhnung ein. 1997 wurde sie zur ehrenamtlichen Unesco-Botschafterin des guten Willens ernannt und gründete im selben Jahr in den USA die „Kim Phúc Foundation", die medizinische und psychologische Hilfe für Kinder bereitstellt, die Kriegsopfer wurden. Eine Motivation für die Stiftungsgründung war, dass sie etwas von der Hilfe zurückgeben wollte, die ihr von so vielen Menschen zuteil wurde, wie sie selbst sagt.
Heute lebt die 59-jährige Kim Phúc in Toronto mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen: „Ich habe es geschafft, mir ein normales Leben aufzubauen." Die körperlichen Langzeitfolgen ihrer schweren Verbrennungen werden sie ihr ganzes Leben begleiten. Blickt man zurück auf ihren Mut und ihr Engagement für andere, hofft man, dass sie ein Anzeichen dafür sind, dass Kim Phúc ihr seelisches Trauma überwunden hat. „Trauer gehört nicht zu meinen Charakterzügen. In meinem Haus wird viel gelacht." Aus dem Vietnamesischen übersetzt, sagt Kim Phúc, bedeutet ihr Name „goldene Fröhlichkeit".