Wasserstoff ist in Deutschland nicht erst seit gestern im Einsatz. Aufgrund seiner leichten Entzündbarkeit wird er jedoch von der breiten Öffentlichkeit noch nicht akzeptiert. Der Materialforscher Dr. Kai Holtappels untersucht Risiken und Sicherheitsaspekte beim Einsatz von bestimmten Technologien.
Herr Holtappels, Menschen reagieren bei einem so flüchtigen Energieträger wie Wasserstoff immer sehr alarmiert. Welche Aspekte müssen im Bereich Sicherheit mitgedacht werden?
Sicherheit sollte im günstigsten Fall über alle Ebenen mitgedacht werden. Bei der Entwicklung von Technologien, aber auch bei der grundsätzlichen Frage, wo und wie Wasserstoff zielführend eingesetzt werden kann. In der Nationalen Wasserstoffstrategie, die im Juni 2020 veröffentlicht wurde, ging es zunächst eher um die Frage der Versorgungssicherheit, die natürlich vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine besondere Aktualität hat.
Das Thema Sicherheit war trotzdem in der Diskussion immer präsent. Wir wissen, dass Unfälle, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ereignet haben und bei denen Wasserstoff im Spiel war, immer intensiv diskutiert wurden. Wir müssen uns auch heute mit sicherheitsrelevanten Szenarien auseinandersetzen – auch, wenn sie nur selten auftreten. Denken Sie beispielsweise an die Knallgasprobe, die jeder noch aus seiner Schule kennt. Der Versuch zeigt zwar eindrucksvoll die Reaktionsfähigkeit von Wasserstoff, aber nicht, unter welchen Rahmenbedingungen sie gegeben ist. Es geht aber darum, sich so etwas aus einem sicherheitstechnischen Blickwinkel anzuschauen: Wie kann man vermeiden, dass Sauerstoff und Wasserstoff überhaupt in einem entsprechenden Verhältnis zusammenkommen? Wo ist eine Zündquelle, die mir möglicherweise diese Atmosphäre zündet? Und wie sind dann überhaupt die Konsequenzen?
Der Volksmund sagt gerne: „Wasserstoff explodiert immer." Und das ist eine grundlegend falsche Annahme. Es müssen immer mehrere Rahmenbedingungen gegeben sein – genauso wie man das von anderen Technologien kennt, sei es Benzin, Diesel, Erdgas – damit es zur Zündung kommt. Und eben die gilt es beim Umgang mit Wasserstoff zu vermeiden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel ist der Unfall in Norwegen im Jahr 2019 an einer Tankstelle. Er hat in der Konsequenz dazu geführt, dass über zwei Wochen alle Wasserstoff-Tankstellen in Norwegen geschlossen blieben und in der Zeit auch keine Brennstoffzellen-Fahrzeuge mehr verkauft werden durften. Was aber war tatsächlich passiert? Ein Druckbehälter mit gelagertem Wasserstoff hatte eine undichte Stelle, es ist Wasserstoff ausgetreten, der sich irgendwo angesammelt und entzündet hat. Es ist glücklicherweise nur ein Sachschaden entstanden. Eigentlich war die Ursache des Unfalls sehr trivial. Das hätte mit anderen Brenngasen, wie Erdgas oder Propan, genauso passieren können. Hier stand plötzlich die Annahme im Raum, alle Wasserstoff-Tankstellen seien unsicher. Nein, das sind sie nicht! Man muss nur grundlegende technische Vorgaben beachten und dann auch die Technologie und die Speicher entsprechend überwachen und prüfen. Sicherheitsaspekte werden auch bei Wasserstoff seit mehreren Jahrzehnten untersucht. Das heißt, wir müssen nur noch vergleichsweise wenige und spezifische Lücken schließen. Und darüber hinaus müssen wir schauen, wie neue Entwicklungen und Technologien uns bei der Sicherheit von Wasserstoff helfen können. Schlagworte sind hier: Digitalisierung, Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz.
Macht eine Standardisierung die Technologie sicherer?
Wenn wir von der Standardisierung reden, ist es erst einmal grundlegend, dass wir weltweit einheitliche Standards haben und ein einheitliches Verständnis, welche Anforderungen die unterschiedlichen Technologien erfüllen müssen. Es ist wenig zielführend, wenn wir eine Speichertechnologie in Deutschland entwickeln mit sehr hohen Sicherheitsanforderungen, deren Einhaltung dann irgendwo anders auf der Welt oder alleine schon in Europa nicht gefordert wird. Damit wären die Hersteller nicht konkurrenzfähig zu anderen Anbietern und die geringeren Sicherheitsanforderungen in anderen Ländern führen automatisch zu einem größeren Risiko, dass etwas passiert. Und ein Unfall irgendwo auf der Welt beeinflusst unter Umständen den ganzen Markt. Wir alle verfolgen aber dasselbe Ziel: Wir wollen kostengünstig und schnell Wasserstoff nutzen können. Und dafür muss es ein weltweit einheitliches Verständnis geben und ein Weg ist die Standardisierung und Regelsetzung auf weltweiter Ebene. Das macht man klassischer Weise, indem man erst national beginnt, so wie wir es in Deutschland beispielsweise über das Deutsche Institut für Normung (DIN) machen. Dann bringen wir uns in die entsprechenden europäischen und internationalen Gremien ein und diskutieren auf allen Ebenen, welche Anforderungen gerade in Bezug auf die Sicherheit erfüllt werden müssen.
Stichwort Europa. Da wir Wasserstoff wohl auch importieren müssen: Wie können wir sicher sein, dass der importierte Wasserstoff „grün" produziert wurde?
Da wir uns zum Ziel gesetzt haben überwiegend grünen, also klimaneutralen Wasserstoff zu nutzen, müssen wir bei dessen Import natürlich auch wissen, woher dieser Wasserstoff kommt und ob er „grün" ist. Und damit auch, wie der Wasserstoff in den Ländern produziert wurde, die ihn dann exportieren. Das ist eher eine Frage, die den Zertifizierungsbereich betrifft. Wie kann ich also ein digitales Zertifikat direkt miterarbeiten? Solche Zertifizierungen laufen dann über sogenannte benannte Stellen wie beispielsweise Tüv oder Dekra, die sich akkreditieren lassen, um eine solche Prüfung vorzunehmen.
Ein Beispiel: Im Hafen kommt ein Schiff an, das Wasserstoff geladen hat, und es wird umgeschlagen. Es braucht ein digitales Herkunftszertifikat, sodass ich am Ende des Tages von Herstellung bis Nutzung immer weiß, welche Farbe mein Wasserstoff hatte.
Begeben wir uns beim Import von „grünem" Wasserstoff nicht in neue Abhängigkeiten?
Es gibt bereits veröffentlichte Zahlenwerte die belegen, dass wir 50 Prozent unseres Energiebedarfs importieren werden müssen. Was wir aus der gegenwärtigen Situation und den Konsequenzen, die sich daraus für unser Verhältnis zu Russland ergeben, lernen können, ist, dass wir uns nicht nur von einem Anbieter abhängig machen sollten. Letztlich ist da die Politik gefordert. Aber es gibt noch viele andere Bedingungen, die zu berücksichtigen sind, wie geopolitische Effekte. Deutschland stellt sich gerade die Frage, wie es eventuell aus den Ländern, die über viele erneuerbare Energien verfügen oder diese stark ausbauen könnten, Energie mittels des Energieträgers Wasserstoff nach Deutschland beziehungsweise nach Europa transportieren könnte. Das ist eine europäische Frage, die Deutschland nicht alleine lösen kann. Die EU wird mit Afrika, Australien und Neuseeland verhandeln, wie man auch hier dauerhaft die Versorgungssicherheit garantieren kann. Aber die Zielsetzung, die derzeit formuliert wird, ist nichtsdestotrotz, dass Deutschland sich 2045 möglichst unabhängig mit Energie selbstversorgen soll, vor allem durch den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch durch neue Technologien wie Wasserstoff.
Bei aller Skepsis: Wie können wir das Wissen über und die Akzeptanz für Wasserstoff erhöhen?
Wir alle reden gegenwärtig vom Fachkräftemangel und davon, dass wir Experten auf unterschiedlichsten Ebenen benötigen. Aber wir brauchen auch Weiterbildungskonzepte, um Personal, was schon längst in Anlagen und Betrieben tätig ist und sich jetzt kurzfristig mit Wasserstofftechnologien auseinandersetzen muss, durch Aus- und Fortbildung entsprechend zu schulen. Auch das wird die Akzeptanz erhöhen, da man ein breiteres Verständnis für diese Themen bekommt. Außerdem muss man natürlich die Öffentlichkeit mitnehmen. Wir reden von vielen Technologien, die nicht mehr in einem Chemiesektor bei einem Betrieb eingesetzt, sondern der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Da erst einmal verhalten zu reagieren, liegt in der Natur des Menschen. Dem muss man frühzeitig mit guten Argumenten und Überzeugungsarbeit begegnen.
Man muss die Menschen mitnehmen, sie informieren, wie sicher solche Technologien sind und ihnen die Bedenken nehmen. Gleichzeitig wird die Zahl der Wasserstoffanwendungen steigen. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo ein Unfall oder ein Zwischenfall passiert – das muss nicht zwangsläufig dramatisch sein – wird steigen und solch ein Vorfall berechtigterweise ein mediales Echo finden. Darauf kann man sich aber in Form einer sachlichen und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützten Risikokommunikation vorbereiten, damit falsche Schlussfolgerungen wie seinerzeit in Norwegen nicht gezogen werden.