Der neue Hoffnungsträger im deutschen Frauen-Handball heißt Markus Gaugisch. Im Verein hat er bereits große Erfolge vorzuweisen, nun will er die Nationalmannschaft an die Weltspitze heranführen.
Auch für Markus Gaugisch hat ein Tag nur 24 Stunden, und von dieser Zeit kann der Schwabe eigentlich nichts vertrödeln. Lehrer, Familienvater, Bundesligacoach und nun auch noch Nationaltrainer der deutschen Handballerinnen – Gaugisch hat sich ein Mammutprogramm aufgeladen. Wie er all das bewältigt? Mit Hingabe. „Wenn man für seinen Sport brennt, wenn man mit Feuer, Leidenschaft und Herzblut bei der Sache ist", sagte Gaugisch, „dann geht das schon".
Wer den neuen Frauen-Nationaltrainer reden hört, der lässt sich schnell von seiner Hingabe und positiven Art anstecken. Bei Gaugisch gibt es nur „Alles oder nichts" – und das will der 48-Jährige auch auf die Auswahl im Deutschen Handball-Bund (DHB) übertragen. „Ich bin Feuer und Flamme", betonte er. Für ihn sei es „ein Kindheitstraum", einmal bei Olympischen Spielen und bei einer Heim-Weltmeisterschaft teilnehmen zu dürfen. Und beide Ziele könne er sich als Bundestrainer erfüllen. „Mein persönlicher Antrieb ist stark an diese Idee geknüpft", erklärte Gaugisch: „Das sind Ziele, von denen träumt man als Kind. Die treiben einen an."
Bis dahin muss Gaugisch aber erst mal liefern. Sein Vertrag beim DHB läuft vorerst nur bis 2024, bei einer erfolgreichen Qualifikation für die Sommerspiele in Paris verlängert sich der Kontrakt automatisch um zwei weitere Jahre. Nur dann kann sich Gaugisch seine Träume von Olympia und der Heim-WM 2025 in Stuttgart, Trier und Dortmund erfüllen. Die Mission ist keine einfache, die deutschen Handballerinnen konnten zuletzt 2008 das Olympia-Ticket lösen. „Das ist ein ambitioniertes Ziel", weiß auch Gaugisch: „Ich glaube aber, dass man solche Schritte nur machen kann, wenn man sich solchen Dingen eben auch stellt und vorangeht." Angst vor einem Scheitern hat er deshalb nicht – ganz im Gegenteil. Der neue Hoffnungsträger ist sich sicher, die DHB-Auswahl in die erweiterte Weltspitze führen zu können. „Ich wäre nicht gut beraten zu sagen, da habe ich Scheu davor. Ich werde alles reinlegen, um diese Ziele zu erreichen", sagte er.
Mit demselben Elan trainiert Gaugisch seit zwei Jahren höchst erfolgreich die SG BBM Bietigheim, die die Bundesligasaison perfekt abgeschlossen hat: 52:0 Punkte. Neben dem souveränen Meistertitel gab es noch den HBF-Supercup obendrauf. Und als Krönung holte das Gaugisch-Team in einem einseitigen Finale der European League gegen Gastgeber HK Viborg aus Dänemark (31:20) auch noch den ersten internationalen Titel einer deutschen Frauen-Mannschaft seit 30 Jahren. Es war saison- und wettbewerbsübergreifend der 50. Sieg in Serie für Bietigheim – Gaugisch weiß also, wie man Siegerinnen formt. Das soll er nun auch auf Nationalmannschafts-Ebene beweisen.
„Markus Gaugisch lebt Handball durch und durch. Er war selbst Bundesligaspieler, er ist Trainer, Kommunikator und Pädagoge", sagte DHB-Vorstand Axel Kromer. Dass Bietigheim seinen Erfolgscoach nur mit Bedingung für den DHB freigab, dass Gaugisch noch eine weitere Saison in Doppelfunktion Club und Nationalmannschaft betreut, ist für Kromer kein Problem. „Wir sind dankbar, dass Bietigheim unser Ansinnen aufgenommen und mit einem hohen Maß an Flexibilität gemeinsam mit uns eine Lösung gefunden hat", sagte er: „Über die Doppelfunktion in der kommenden Saison kann das Netzwerk zwischen Nationalmannschaft und Bundesliga weiterwachsen." Und Gaugisch hat auch kein Problem damit. Er sei „bereit" dafür, denn „wenn man etwas gern macht und wenn man ein Ziel und eine Vision verfolgt, dann treibt das auch an und bringt unendliche Energie."
Eine „neue treibende Kraft"
Wegen dieser Leidenschaft war Gaugisch im DHB der absolute Wunschkandidat, nachdem Vorgänger Henk Groener dem Verband mitgeteilt hatte, seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen. „Henk Groener hat in den vergangenen Jahren einen Umbruch des Kaders geschafft und das Team auf den Weg gebracht", sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann, „jetzt richten wir den Blick nach vorn." Gaugisch solle „eine treibende Kraft in der Reform des Frauenhandballs" werden, denn mit der Neubesetzung erhofft sich der Verband nicht nur kurzfristigen sportlichen Erfolg. Er will auch die Strukturen ändern, um den Leistungssport im deutschen Frauenhandball auf eine höhere Stufe zu bringen. Anders als die männlichen Profis können die meisten Spielerinnen nicht von ihrem Sport leben, und zusätzlich zur Mehrfachbelastung durch den Hauptberuf spielt oft auch die Familienplanung eine begrenzende Rolle. Hinzu kommen nicht immer optimale Trainingsmöglichkeiten.
„Da müssen wir die nötigen Strukturen schaffen", forderte Gaugisch. Er selbst kann die Probleme seiner Spielerinnen durch seine Tätigkeit als Gymnasialschullehrer sehr gut nachvollziehen. Empathie und Kommunikation seien auch die wichtigsten Schlüssel des neuen Bundestrainers, findet Kromer: „Neben seinen Kompetenzen als Trainer sprach für Markus Gaugisch, dass er ein sehr kommunikativer Mensch ist, der offen auf Leute zugeht und mit den Bundesliga-Trainern im Dialog ist. Er kann uns in der Reform des Frauenhandballs helfen."
Der Einstand verlief prima – und hatte sogar einen Rekord parat. Durch den 40:11-Kantersieg gegen Außenseiter Griechenland löste die DHB-Auswahl im ersten Spiel unter Gaugisch das Ticket zur Europameisterschaft im Herbst in Slowenien, Montenegro und Nordmazedonien. Höher hatte die Nationalmannschaft noch nie in einer EM-Qualifikation gewonnen. Das beeindruckte auch den neuen Mann an der Seitenlinie schwer. „Das hat Spaß gemacht", sagte Gaugisch: „Es freut mich, dass die Spielfreude über 60 Minuten da war." Nur wenige Tage später wurde dem neuen Trainer aber vor Augen geführt, dass noch viel Arbeit auf ihn wartet. Bei der 18:24-Niederlage gegen Ex-Weltmeister Niederlande war vor allem die erste Halbzeit eine Lehrstunde. Kein Problem für Gaugisch, denn Fehler gehören für ihn zum Entwicklungsprozess dazu. Allerdings sieht er den Zeitfaktor als Hindernis: „Bis zur EM ist nicht mehr so viel Zeit, es bleiben uns nur wenige Spiele, um als Mannschaft zusammenzuwachsen."
Wie viel Gaugisch-Handball nach wenigen Trainingseinheiten beim Lehrgang in Hennef schon zu sehen war, ist schwer einzuschätzen. „Wir lernen uns gerade kennen", sagte Kapitänin Alina Grijseels. Viel Zeit zum Warmwerden gibt es nicht. „Wir versuchen jede Minute zu nutzen", so Gaugisch. Sein Vorgänger Groener habe „viele Dinge gefestigt, und auf die werde ich natürlich aufbauen." Aber: „Es geht jetzt auch darum, das bestehende Gerüst mit meinen Ideen zu bereichern."
Topspielerinnen wie Co-Kapitänin Emily Bölk, die im Angriff und Mittelblock auch unter Gaugisch eine tragende Rolle einnehmen soll, sowie Alica Stolle und Lena Degenhardt fehlten erkrankt oder verletzt. Dafür konnte Gaugisch auf fünf Spielerinnen aus Bietigheim zurückgreifen, die sein System und seine Art bereits verinnerlicht haben und zu schätzen wissen. Gaugisch sprach von „ereignisreichen Tagen, an denen sehr, sehr viel los war". Er sei „toll aufgenommen" worden, mit einer „sehr herzlichen und offenen Art". Dieses positive Klima braucht es, denn Gaugisch verlangt viel von seinen Spielerinnen.
Auf bestehendem aufbauen
„Wir versuchen jede Minute zu nutzen", verriet er. „Es geht jetzt auch darum, das bestehende Gerüst mit meinen Ideen zu bereichern." Die Nationalmannschaft soll schneller, kreativer und deckungsstärker agieren als bisher. „Wir müssen die Basis ganz klar in der Deckung legen", erklärte der gebürtige Göppinger: „Erfolgreiche Mannschaften haben in diesem Bereich ihren Fokus." Und er will den Glauben an die eigenen Qualitäten stärken: „Wir gehen jedes Spiel so an, dass wir gewinnen wollen."
Um die Siegermentalität auch im Nationalteam einzuimpfen, will Gaugisch die individuelle Arbeit mit den Spielerinnen intensivieren. „Nur so können wir erfolgreich sein", argumentierte er. Doch noch sind die Kapazitäten dafür im deutschen Frauenhandball zu gering. „Im Unterschied zu ausländischen Topclubs sind die Rahmenbedingungen in der Bundesliga andere", erklärte Gaugisch: „Wenn Spielerinnen bei uns nebenher noch 30 bis 40 Stunden arbeiten müssen, ist das sicherlich nicht optimal."
Aber wenn einer weiß, wie man mehrere Dinge unter einen Hut bringen und dabei trotzdem erfolgreich sein kann, dann ist es Markus Gaugisch. Die intrinsische Motivation des zweifachen Familienvaters ist beeindruckend, jeder Erfolg weckt seinen Hunger auf noch mehr. So kämpfte sich der frühere Rückraumspieler vom deutschen A-Jugend-Meister (1992) bis in die Bundesliga hoch, wo er für den VfL Pfullingen auflief. Als Trainer führte er den TV 1893 Neuhausen in die Männer-Bundesliga, wo er bis 2015 auch für HBW Balingen-Weilstetten arbeitete. Nach sechs Jahren Pause kehrte er dann als hauptverantwortlicher Trainer im Frauensport zurück und führte Bietigheim zu höchsten Ehren.
Das will er nun auch mit der Frauen-Nationalmannschaft erreichen. Sein Ehrgeiz geht sogar noch weiter: Gaugisch will mithelfen, den kompletten Frauen-Handball auf die nächste Stufe zu heben. „Wir brauchen dafür in erster Linie Qualität", sagte er, „dafür müssen wir, die Mannschaften und Trainer, sorgen." Mithilfe eines „modernen und rasanten Handballs" könne man die Sportart auch „medial besser vermarkten" und professionelle Strukturen schaffen.
Die Spielerinnen seien bereits höchst professionell, stellte Gaugisch fest. Gut zu erkennen war das bei einem Grillabend zu seinem Einstand, als die Spielerinnen sehr auf ihre Ernährung achteten. „Die Männer hätten kiloweise Fleisch auf den Grill geklopft", sagte Gaugisch: „Bei den Frauen war ich fast der Einzige, der ein Steak nahm."