Fehlende Winterjacken, uralte Hubschrauber und zu wenig Munition für Panzerhaubitzen – die Bundeswehr ist ein Sanierungsfall. Das soll sich jetzt ändern: 100 Milliarden und jährlich 50 dazu sollen sie wieder zu einer stolzen Truppe machen. Wird sie dadurch auch beliebter?
Gerade jetzt lohnt sich der Kauf von Rüstungsaktien. Der Aktienkurs der Rheinmetall-Panzerbauer hat sich verdoppelt, eine bayerische Firma, die Radarsysteme für Marine und Luftwaffe baut, erlebte einen gewaltigen Sprung ihrer Aktie um 80 Prozent. Kein Wunder, stehen der Bundeswehr doch demnächst 100 Milliarden Euro zur Verfügung, die Verteidigungspolitiker für Rüstungsgüter aller Art ausgeben können: Panzer, Raketen, Schiffe, Hubschrauber, Flugzeuge, Gewehre und Munition. Ein Schluck aus der Pulle. Deutschland kann als viertgrößter Rüstungsexporteur der Welt der Bundeswehr alles liefern, was sie sich wünscht.
Sofern das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr mitspielt, dessen Aufgabe die Beschaffung sämtlicher Rüstungsmaterialien ist. Diese in einem grauen ehemaligen Fort untergebrachte Mammutbehörde mit fast 7.000 Dienstposten allein in Koblenz entscheidet über jede Anschaffung, und das wird nicht einfach, denn bisher – so der Vorwurf vieler Kritiker – dauerten selbst normale Beschaffungen zu lang. Das Amt ist das berühmte Nadelöhr, das Reformen verzögern, versanden und vergessen lassen kann.
Seit 1989 wurde mehr ausgemustert als neu aufgestellt bei der Bundeswehr. Denn den Streitkräften wurde nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 ein so brutaler Sparkurs verordnet, dass ihnen die Kräfte ausgingen und nur der Streit übrig blieb. Von 4.500 Kampfpanzern im Jahre 1989 blieben noch 225 im Dienst, davon müssen derzeit 104 nachgerüstet werden. Von den der Ukraine versprochenen Panzerhaubitzen waren damals 812 vorhanden, heute sind es noch 121, von denen die meisten mit ständigen Ausfällen kämpfen. 1989 verfügte die Bundeswehr noch über 620 Kampfflugzeuge, heute noch 230. Von 190 Schiffen blieben 60, von 24 U-Booten noch sechs. Viele dieser Waffen und Waffensysteme sind veraltet und reparaturanfällig. Allein diese Depots wieder aufzufüllen würde laut Verteidigungsministerium auf vier Jahre verteilt 130 Milliarden Euro kosten.
Sparkurs nach Kaltem Krieg
Doch dass die Bundeswehr noch einmal wie 1989 mit 490.000 Mann (Wehrdienstleistende, Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten) aufgestellt werden wird, ist unwahrscheinlich. Heute sind es noch 190.000 Männer und Frauen. Führende Militärs gehen von einer Größe von maximal rund 230.000 Berufssoldaten aus, die mit modernster Technologie und den Anforderungen eines Cyberwar umgehen können. Ein Beispiel für Hightech ist der lange umstrittene Beschluss zur Anschaffung der bewaffneten Kampfdrohne Heron, den der Verteidigungsausschuss Anfang April fasste. Es geht um 140 Raketen, Wert 152 Millionen Euro. Peanuts gegenüber den 100 Milliarden, die Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt hat. Die schnellen Marschflugkörper beobachten die Lage rund um die Truppe und können bei Gefahr auch schießen. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine bestehe „dringender Bedarf", die Bewaffnung der Drohnen „zeitnah" in Auftrag zu geben, heißt es in einer als „Verschlusssache" eingestuften Vorlage des Bundesverteidigungsministeriums für den Ausschuss.
Und in dem Ausschuss stehen nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung" Ausgaben in ganz anderen Dimensionen an: allein 20 Milliarden für die fehlende Munition – Stichwort Kampfpanzer Gepard, der unter anderem nicht an die Ukraine geliefert werden kann, weil die Munition dazu fehlt. Dann 35 der modernsten US-amerikanischen Tarnkappen-Kampfjets F 35: 15 Milliarden. Hubschrauber: sechs Milliarden.
Viel Geld soll es also richten – dabei ging die Frage unter, ob die Bundeswehr damit auch Herz und Verstand der Bürger erreicht. Das spielte in den Plänkeleien zwischen Ampel und Opposition um die Zweckbindung der 100 Milliarden bis heute offensichtlich keine Rolle.
Als Scholz am 27. März von einer „Zeitenwende" sprach und dabei überraschend diese Zahl in die Welt setzte, schien zunächst alles klar: Das Geld ist für „Rüstungsvorhaben" (Scholz) gedacht, damit die Bundeswehr endlich aus ihrer Schmuddelecke herausgeholt, neu ausgestattet und aufgerüstet wird.
In der vom Bundeskabinett verabschiedeten Vorlage für die Grundgesetzänderung heißt es dagegen, die Mittel seien an die „Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit" gebunden. Dies umfasse auch „Maßnahmen zur Stärkung im Cyber- und Informationsraum sowie zur Ausstattung und Ertüchtigung der Sicherheitskräfte von Partnern".
Friedrich Merz hatte für die Union postuliert, dass sie dem Vorhaben, das 100-Milliarden-Sondervermögen plus das Ziel, zwei Prozent des Bruttosozialprodukts jährlich für die Verteidigung auszugeben, im Grundgesetz zu verankern, nicht zustimmen werde, wenn nicht klar sei, dass das Geld ausschließlich für die Bundeswehr verwendet werden soll. So klar war es aus der Ampelkoalition nicht zu vernehmen. Da hatten Abgeordnete der Grünen die Frage aufgeworfen, ob von dem Geld nicht auch Projekte bezahlt werden sollen, die nicht direkt mit dem Kauf von Jagdflugzeugen oder dem Erwerb von Panzern zu tun haben. Wie zum Beispiel entwicklungspolitische Vorhaben. Ganz zu schweigen von den Kosten für den Ausbau des Zivilschutzes, der in dem Zusammenhang auch noch ins Spiel gebracht wurde.
Auf fünf Jahre verteilt
Die Einigung zwischen Ampelkoalition und der Opposition nach langen Verhandlungen Anfang dieser Woche hat allerdings jetzt Klarheit geschaffen. Die Grundgesetzänderung, die bekanntlich eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag benötigt, ist mithilfe der Opposition möglich. Sie bezieht sich auf ein sogenanntes „Sondervermögen". Damit umgeht die Bundesregierung die durch die Kreditobergrenze festgelegte Maßzahl, die Schuldenbremse. Und die soll vor allem nach dem Willen der FDP ab dem nächsten Jahr wieder in Kraft treten – wenn sie nicht etwa in Folge des Ukraine-Kriegs ausgesetzt wird.
Mit dem Geld soll der Verteidigungsetat fünf Jahre lang aufgestockt werden. Deutungsspielraum ließ die Vereinbarung in der Frage, ob das Zwei-Prozent-Ziel der Nato mithilfe der Milliarden aus dem Sondervermögen erreicht werden soll. Damit würde sich die Ampelkoalition einen schlanken Fuß machen. Zum Beispiel beträgt der Verteidigungsetat im laufenden Jahr etwas mehr als 50 Milliarden Euro, müsste aber bei 70 Milliarden liegen.
Mit dem geplanten Gesetz soll auch ein Wirtschaftsplan mit den konkreten Beschaffungsvorhaben beschlossen werden, vereinbarten Union und Ampel-Koalition. „Seine Realisierung wird von einem beratenden Gremium des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages begleitet", heißt es in der Vereinbarung. Das war der Union wichtig, um auch künftig bei der konkreten Verwendung des Geldes mitreden zu können.
Außenministerin Annalena Baerbock kommentierte den Beschluss noch einmal mit dem Verweis auf die Cybersicherheit. Sie sagte, dass auch Maßnahmen zur Cybersicherheit, für den Zivilschutz sowie zur Stabilisierung von Partnerländern ergriffen werden – aber „aus dem Bundeshaushalt finanziert", also nicht aus dem Sondervermögen.