Was müsste passieren, damit die ehemaligen Pflegekräfte in ihren Beruf zurückkehren? Beatrice Zeiger, Geschäftsführerin der Arbeitskammer des Saarlandes, spricht über die Ergebnisse einer aktuellen Studie mit rund 13.000 Befragten.
Frau Zeiger, seit gefühlt 20 Jahren reden wir darüber, wie Pflegeberufe attraktiver werden können. Eine abschließende Antwort fehlt jedoch bis heute. Haben Sie eine?
Es gibt nicht nur eine einzige Antwort darauf. Für meine Begriffe sind das mehrere Bausteine, die den Pflegeberuf wieder attraktiver machen. Ein wichtiger Baustein ist dabei die Wiedergewinnung von ehemaligen Pflegerinnen und Pflegern. Das Potenzial der derzeitigen Teilzeitkräfte oder Berufsaussteiger liegt rein rechnerisch bei 300.000, in einem optimistischen Szenario sogar bei 660.000 Kräften. Und so haben die Arbeitnehmerkammer Bremen, das Institut Arbeit und Technik Gelsenkirchen und wir als Arbeitskammer des Saarlandes eine Befragung durchgeführt. Diese stand unter dem Motto: „Ich pflege wieder, wenn …".
Und was muss passieren, damit diese Menschen wieder voll in den Pflegeberuf zurückkehren?
An erster Stelle der fast 13.000 Befragten aus dem Pflegebereich – das sind Stimmen der Pflege, die den Beruf jeden Tag noch machen oder gemacht haben – steht der Personalschlüssel. Das heißt, viele Befragte sagen sehr deutlich, dass sie in den Beruf zurückkehren oder ihre Teilzeit aufstocken würden, wenn der Personalschlüssel hochgesetzt werden würde und damit auch mehr Pfleger auf der Station oder in den Heimen tätig wären. Das ist der Bereich, an dem seit Jahren rumgedoktert wird, aber wo es immer noch nicht reicht. Das sieht man an der dramatischen Entwicklung beim Pflegepersonal in den letzten Jahren.
Was ist die Hauptforderung der Pflegenden?
Sie warten seit zwei Jahren darauf, dass endlich die Pflegepersonalregelung 2.0 im Krankenhaus kommt und auch bei der stationären Vollzeitpflege die Personalbemessung hochgesetzt wird. Das ist die große Hoffnung, dass es hier endlich mal eine neue Regelung gibt. Kommt es tatsächlich dazu, dass mehr Kräfte eingesetzt werden, dann sind laut unserer Befragung auch viele ausdrücklich bereit, wieder in die Pflege zurückzukehren, beziehungsweise ihre Arbeitsstunden aufzustocken.
Aber das ist ja alles nicht neu und die beiden Gesundheitsminister haben ja gerade während der Pandemie behauptet, sie hätten bereits gehandelt. Haben sie wirklich gehandelt?
Das Problem ist, dass es in den letzten Jahren nur in sehr kleinen Schritten passiert ist. So hat man in den Krankenhäusern beispielsweise die Pflegeuntergrenzen eingeführt. Allerdings brachte diese Entscheidung nicht mehr neue Pflegekräfte auf die Station. Sogar das Gegenteil war der Fall: Wurde die Pflegeuntergrenze unterschritten, musste die Station schließen. Damit war natürlich keinem geholfen, weder den Patienten und schon gar nicht dem Pflegepersonal.
Ein anderes Beispiel sind die Corona-Prämien. Generell sind sie gut und wichtig. Aber dann wird geschaut, wer diese bekommt und wer nicht. Verständlicherweise hat das für viel Ärger unter den Beschäftigten gesorgt und dem Image des Pflegeberufs eher geschadet. Darum brauchen die Pflegenden einen festen gesetzlichen Rahmen: Eine Pflegepersonalbemessung 2.0, damit auch mehr Kräfte in den Beruf reinkommen können. Diese Personalbemessung muss dann aber auch für die Heime gelten.
Doch mehr Personal kostet Geld, und das bringt die Politik oder die Kranken-, beziehungsweise Pflegekassen auf den Plan, die unisono sagen, das ist nicht finanzierbar. Wie soll es finanziert werden?
Das ist ein Problem, welches derzeit vor allem die zu Pflegenden und deren Angehörige betrifft, denn ihre anteiligen Kosten steigen und werden zukünftig vermutlich noch massiver steigen. Darum ist hier aus unserer Sicht die Politik gefordert. Ein Modell wäre, dass die Unterbringungskosten – sozusagen die Hotelkosten – von den zu Pflegenden oder deren Angehörigen getragen werden. Die Kosten der reinen Pflege, also die Personalkosten, sollten dagegen vom Staat getragen werden. Die Kosten der Unterbringung sind überschaubar und können von den Betroffenen bereits im Vorfeld ziemlich genau kalkuliert werden. Doch die Intensität der Pflege, also wie viel Hilfe der Gepflegte benötigt, können die Betroffenen oder deren Angehörigen dagegen überhaupt nicht beeinflussen. Darum brauchen wir für die Pflege eine Vollversicherung.
Das heißt Abschied von dem Drei-Säulen-Modell der Sozialversicherungen, Kranken-, Renten- und Arbeitslosen-, hin zu einer vierten Säule, der gesetzlichen Pflegeversicherung, die ja derzeit noch Teil der Krankenversicherung ist?
Richtig, die Pflege muss zukünftig ein eigenständiger Bestandteil der Sozialversicherungspflicht sein, anders werden wir das in Anbetracht der demografischen Entwicklung nicht hinbekommen. Dieses Modell wurde bereits bei der Einführung des Pflegeanteils vor 20 Jahren schon diskutiert, aber man hat sich damals dann für die Anteilsregelung innerhalb des KV-Beitrages geeinigt. Doch damit kommen wir zukünftig nicht weiter. Und in dieser gesetzlichen Pflegeversicherung muss dann auch ganz klar definiert sein, das die Unterbringung weiter Sache der zu Pflegenden bleibt, da dies für die Betroffenen ein kalkulierbarer Anteil ist, doch die reine Pflege am Menschen, die ja sehr personalintensiv ist, würde dann von der Pflegevollversicherung übernommen werden.
Würde eine Pflegevollversicherung dann auch heißen, es gibt eine gesetzliche und eine private?
Nach meiner Meinung sollte es dieses Modell nicht auch in der Pflege geben. Wie gesagt: Es geht hier um die Kosten der reinen Pflege, die damit abgedeckt werden sollen. Und da kann es keinen Unterschied zwischen Privatpatient und gesetzlich Versicherten geben. Also in diesem Bereich brauchen wir eine Pflege-Bürgerversicherung – alle Arbeitnehmer, egal in welcher Form, zahlen von ihrem Brutto den gleichen Satz ein. Mit diesem Geld soll das Personal fair und angemessen bezahlt werden, darum geht es ja hier im Kern. Wir brauchen dringend Pflegepersonal. Dieses ist ausgebildet vorhanden. Wir könnten laut unserer Befragung bis zu 660.000 Menschen für den Pflegeberuf zurückgewinnen beziehungsweise würden sie von Teilzeit in Vollzeit wechseln. Doch das muss bezahlt werden und, das geht nur über eine Bürgerversicherung Pflege.
Doch nach dem Prinzip der sozialen Versicherungspflicht würden zwar Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte des Satzes zahlen. Doch wenn das nicht reicht: Muss der Staat einspringen?
Ja, aber genau das macht er doch jetzt auch schon! Wenn eine pflegebedürftige Person nicht zahlen kann, müssen die Angehörigen einspringen. Können die nicht zahlen, dann springt automatisch die Kommune ein, die gibt diese Pflegekosten mehr oder weniger weiter an das Land. Und das Land reicht die Kosten dann unterm Strich wieder an den Bund weiter. Das ist das bestehende System, ohne einheitliche finanzielle Regelung für die Pflegekräfte. Doch genau darum geht es in dem Vorschlag zur Bürger-Pflegeversicherung oder Pflege-Vollversicherung. Wir brauchen dringend Pflegekräfte. Die gewinnen wir aber nur, wenn der Beruf attraktiver wird. Der wird aber nur interessant, wenn die Gehälter stimmen und die Pflegenden aufgrund der bestehenden Personalschlüssel nicht ständig überfordert sind.
Ordentliche Bezahlung ist der Hauptpunkt bei der Befragung der Pflegekräfte. Was kam an zweiter Stelle?
Da wurde dann immer wieder die Wertschätzung ihres Berufsstandes genannt. Also mit Klatschen auf dem Balkon, wie während der Pandemie, ist es allein nicht getan. Sondern immer wieder genannt wurde auch die Wertschätzung durch direkte Vorgesetzte oder durch die Geschäftsleitung. Der Berufsstand Pfleger genießt sicherlich in der Gesellschaft ein gutes Ansehen. Aber wie wir in der Befragung rausgelesen haben, fehlt es in den Kliniken oder Heimen an Wertschätzung durch die Vorgesetzten …
… na, aber das kann man ja nun durch Gesetze nicht verordnen …
… natürlich nicht, aber das ist auch wieder eine Personalfrage. Und da braucht es zum Beispiel verpflichtende Fortbildungen von Führungskräften in der Pflege. In den Pflegeeinrichtungen gibt es zwar einige Regularien, wie zum Beispiel die Gefährdungsbeurteilungen von Mitarbeitern, aber die werden überhaupt nicht richtig und schon gar nicht regelmäßig durchgeführt. Also da muss der Staat dann zukünftig besser darauf achten, dass die vorgesehenen Arbeitsschutzmaßnahmen auch tatsächlich eingehalten werden.
Wo läuft es denn für das Pflegepersonal beruflich besser? In den staatlichen oder den privaten Einrichtungen?
Das kann man so überhaupt nicht sagen, das gibt auch unsere Umfrage nicht her. Aber ich denke, private und staatliche Pflege sollten sich die Waage halten. Das Wichtigste ist für beide Formen der Pflege, dass zum Beispiel die Tarifbindung eingehalten wird. Aber generell stehen wir hier vor zwei Aufgaben: Die Pflege muss für die Betroffenen bezahlbar sein, und der Pflegeberuf muss zum einen finanziell, aber auch von den Arbeitsbedingungen her attraktiver werden. Das heißt vor allem: Wir brauchen mehr Kräfte, die Personalbemessung muss auf jeden Fall hochgesetzt werden, und wenn dann auch noch die Bezahlung stimmt, dann kommen auch die Kräfte, vor allem die ausgebildeten Berufsaussteiger in den Beruf wieder zurück. Aber um diese Anreize zu schaffen bedarf es eine Pflegevoll- oder Pflege-Bürgerversicherung, sonst ist das nicht zu schaffen.
Glauben Sie, das ist politisch zu schaffen? Da muss ja auch die Bundesebene mitspielen?
Ich denke, der Druck wird in den kommenden zehn Jahren einfach immer größer werden. Die Leute werden immer älter, damit wird die Pflege in den stationären Einrichtungen immer mehr gebraucht. Doch werden sich immer weniger Menschen unter den derzeitigen Bedingungen die Pflege leisten können. Die Kommunen, die dann einspringen müssen, werden sich das auch nicht mehr leisten können. Und damit landen dann die Kosten über den Umweg des jeweiligen Bundeslandes am Ende dann doch beim Bund. Damit wird der Druck dann auf den Bund am Ende immer stärker werden, sodass endlich auch der Bundestag handeln und ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen muss.