Alba Berlin scheint das Verlieren verlernt zu haben. 17 Siege in Serie sind eine beeindruckende Bilanz – doch erst jetzt wird es so richtig ernst: das Play-off-Finale wartet.
Play-off-Zeit – das heißt in der Regel: viel Stress, hohe Belastung, wenig Regeneration. Doch diesmal ist alles etwas anders. Weil Corona den Terminplan nicht mehr durcheinanderwirbelt und Alba Berlin im Eiltempo durch die K.o.-Runden marschiert, hat der Titelverteidiger in der Basketball-Bundesliga BBL erstaunlich lange Pausen zwischen den Spielen. Auf die Finalserie, die an diesem Freitag (10. Juni) mit einem Heimspiel in der Arena am Ostbahnhof beginnt, konnte sich das Team von Trainer Israel González zum Beispiel fast eine ganze Woche vorbereiten. Purer Luxus! Oder doch nicht?
„Wir haben die gesamte Saison alle zwei oder drei Tage gespielt und entsprechend trainiert", wundert sich González, „und in der entscheidenden Phase der Saison können wir das nicht nutzen." Das sei schon „sehr seltsam", meinte der Spanier, der sich ein wenig nach der gewohnten Hektik der heißen Saisonphase sehnt: „In den Playoffs spielt man eigentlich Schlag auf Schlag, dieses Jahr haben wir in der Hauptrunde Schlag auf Schlag gespielt – und jetzt nicht mehr." Auch für Sportdirektor Himar Ojeda hätten die Pausen zwischen den Playoff-Spielen etwas kürzer sein können, aber: „Wir nehmen es so, wie es ist."
Das gleiche sagen sie in Berlin auch von ihrem Finalgegner. Der stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest, weil Dauerrivale Bayern München in Spiel drei der Halbfinalserie gegen die Telekom Baskets Bonn den ersten von drei Matchbällen leichtfertig vergeben hatte. Bei der 84:86-Niederlage missglückte Nick Weiler-Babb ganz am Ende der Partie ein Korbleger – die Riesenchance auf den Sweep zum 3:0-Gesamtstand. Weiler-Babb wurde spektakulär vom Bonner Karsten Tadda geblockt. Die Bayern hatten aber schon an Pfingstmontag ihre zweite Chance, den Finaleinzug perfekt zu machen. Nahezu alle Experten hatten ein Finalduell der ewigen Kontrahenten zwischen München und Berlin prophezeit. Beide Clubs dominieren seit Jahren den deutschen Basketball, die vier letzten Titel gingen entweder an die Isar oder an die Spree.
Wieder ein Finale gegen die Bayern?
„Wir müssen eine neue Serie spielen und versuchen, unser Bestes zu geben", sagte Trainer González gewohnt zurückhaltend. Etwas deutlicher wurde da schon Jonas Mattisseck, als er zu seiner Vorfreude auf die Endspiele befragt wurde: „Es ist jedes Mal wieder etwas ganz Besonderes", sagte der Aufbauspieler: „Wir hatten in den ersten beiden Serien super viel Spaß und freuen uns jetzt riesig aufs Finale." Der Titel-Hattrick nach den Meisterschaften 2020 und 2021 sei klar das Ziel, so Mattisseck: „Wir sind alle unfassbar heiß. Man arbeitet die ganze Saison dafür, dass man am Ende die Chance hat, um den Titel zu spielen."
Alba hatte seine Hausaufgaben für das Traumfinale früh erledigt. Die Gelb-Blauen nahmen ihre Halbfinal-Hürde mit Kampf, Klasse und Konzentration. Die drei Siege in der „Best-of-five"-Serie gegen die MHP Riesen Ludwigsburg, die mit viel Pressing und harter Physis auftraten, waren allesamt verdient. Auch wenn sich der Hauptstadtclub im ersten (73:67) und letzten (89:84) Spiel durchaus schwertat. „Sie haben uns viele Probleme bereitet", gab Coach González zu: „Sie sind gut gecoacht, haben gute Spieler, sie sind wahrscheinlich das physischste Team der Liga." Doch Alba hielt körperlich mit – das war vielleicht die wichtigste Erkenntnis dieses Duells. Denn dass der amtierende Meister spielerisch über deutlich mehr Qualität verfügt, war schon vor dem ersten Tip-off klar gewesen.
„Gerade dieses Jahr sind wir noch einmal physischer geworden. Von daher können wir da gut mithalten", sagte Nationalspieler Johannes Thiemann. Das durch hohe Geschwindigkeit und viel Ball-Zirkulation geprägte Alba-Spiel hat also unter González eine weitere Komponente dazugewonnen. „Damit hat der Nachfolger von Aíto Reneses Alba noch vielseitiger, noch kompletter gemacht", adelte ihn kürzlich die „Berliner Morgenpost". Der Trainer war allerdings nur mit dem zweiten Spiel vollauf zufrieden, als Albas Offensivmaschine richtig heiß gelaufen war und Ludwigsburg mit 100:76 aus der Halle gefegt hatte.
„Wir verteidigen gut. Und wir spielen schnell", hatte Nationalspieler Louis Olinde danach gesagt: „Sehr, sehr schnell." Zu schnell für die Gegner, Alba hat seine letzten 17 Spiele allesamt gewonnen. Das war nur möglich, weil die Automatismen im Team stimmen, weil die Verletzungssorgen nicht zu groß wurden, weil die Qualität im Kader herausragend ist. Und weil González seinen Spielern beim sehr speziellen Alba-Spielstil enorme Freiheiten gewährt. „Jeder muss das tun, von dem er glaubt, dass es hilft, um zu gewinnen", meinte er. Und wenn González „jeder" sagt, dann meint er auch jeden. Bei Alba sind nicht nur die Starting Five wichtig, auch die Bankspieler bekommen viel Einsatzzeit. „Jeder ist im Rhythmus", sagte Point Guard Maodo Lô, „wir sind als Team im Rhythmus, wir haben eine gute Chemie."
Zusammenarbeit mit Schulen und Kitas
Was auch auffällt: Bei Alba übernehmen deutsche Profis deutlich mehr Verantwortung als sonstwo in der Liga. Beim Schlusssieg gegen Oldenburg waren sie für 38 von 73 Punkten verantwortlich. Schon davor hatten sie deutlich mehr als 50 Prozent der Punkte und Spielzeit für Berlin verzeichnet. Olinde, Lô, Thiemann, aber auch Mattisseck und Malte Delow, die schon seit vielen Jahren im Verein sind, stehen für den Alba-Weg, der auch für die Nationalmannschaft der Schlüssel zum Erfolg sein soll. „Wir sind generell eine Mannschaft, in der die deutschen Spieler viel Verantwortung übernehmen", sagte Lô: „Das ist cool zu sehen, dass wir in der Lage sind, auf diesem Niveau so viel beizutragen." Auch die Clubführung sieht das mit großem Gefallen. „Das ist ein Ergebnis des Weges, für den wir uns im Jahr 2005 entschieden haben", sagte Geschäftsführer Marco Baldi der „B.Z.": „Wir arbeiten seitdem mit Kitas und Schulen zusammen, erreichen so pro Woche 10.000 Kinder. In Berlin haben wir nicht die große Wirtschaftskraft, dafür viele Menschen. Das machen wir uns zunutze." Das Ergebnis: Mittlerweile stehen sechs gebürtige Berliner im Aufgebot, die Identifikation mit dem Club und der Stadt könnte größer nicht sein. Bei manch anderen Vereinen sind viele der sechs Profis, die laut Regularien einen deutschen Pass haben müssen, oft nur Füllspieler. Bei Alba aber wird ihnen auch in brenzligen Situationen vertraut, ihnen wird viel Verantwortung übergeben. „Das ist toll zu sehen", sagte Bundestrainer Gordon Herbert. Der Kanadier betonte jedoch, dass dies bei Alba kein Selbstzweck sei: „Das haben sie sich erarbeitet, sie kriegen ja nichts geschenkt." Vor allem Olinde machte zuletzt mit herausragenden Leistungen auf sich aufmerksam. „Das fühlt sich gut an, und es tut gut für das Selbstvertrauen", sagte der 24-Jährige, der langsam genau in die Rolle schlüpft, für die er vor der Saison vorgesehen war: Als legitimer Nachfolger des nach Litauen gewechselten Kapitäns Niels Giffey.
Wenn zu den zuletzt starken deutschen Profis auch noch ausländische Top-Spieler wie Oscar da Silva, Jaleen Smith, Luke Sikma oder der von einer langwierigen Fußverletzung zurückgekehrte Marcus Eriksson dazukommen, dann ist Alba Berlin eben nur ganz schwer zu schlagen. Spätestens am 22. Juni, nach dem fünften Finalspiel, steht der neue Deutsche Meister fest.