Der Tankrabatt der Bundesregierung verpufft. Kurz nach seinem Start steigen vielerorts wieder die Preise. Und das 9-Euro-Ticket sorgt weniger im Pendlerverkehr, als am Wochenende für volle Züge.
Nicht einmal eine Woche hielt der große Jubel über Tankrabatt und 9-Euro-Ticket an, da war dann auch schon die Euphorie bei den Verbrauchern, aber auch in der Politik weitgehend verflogen. Dass die drei Milliarden Steuersubvention an der Zapfsäule und die 2,5 Milliarden Euro Bundeszuschuss für das ÖPNV-Billigticket tatsächlich bei den Berufspendlern ankommen würden, konnte spätestens nach Pfingsten ausgeschlossen werden. Nicht wenig überraschend ist an den Tankstellen das eingetreten, wovor die Kritiker im Vorfeld gewarnt haben. Die Spritpreise sind innerhalb von nicht einmal einer Woche wieder gestiegen: So lag der Preis für einen Liter Super vor der Senkung bei etwa 2,20 Euro. Danach sank er um 28 Cent. Die steuerliche Entlastung aber beträgt 35 Cent, für Diesel 17 Cent. Mittlerweile kostet der Liter Super wieder 1,99 Euro.
Bundeswirtschaftsminister Habeck warnte zwei Tage vor der Steuersenkung die Autofahrer, jetzt nicht gleich in Scharen vollzutanken: Wenn nach der Steuersenkung alle die Tankstellen stürmen, könnte es zu Engpässen kommen und dann würde der Preis für Benzin und Diesel automatisch wieder hochgehen. Angebot und Nachfrage eben, so Habeck in einem Fernsehinterview. Darum sollen sich die Autofahrer zurückhalten. Das taten sie auch vom ersten Tag an. Aber nicht, weil sie dem Rat des Wirtschaftsministers folgten, sondern eher aus Enttäuschung über die mauen Preissenkungen. Weder die 35 Cent für Benzin, noch die 17 Cent für Diesel wurden über Nacht im Vergleich zum Vortag voll an die Kundschaft weitergegeben. Wobei die Logik der Habeck-Mahnung auch nicht wirklich nachvollziehbar ist, schon gar nicht an den Zapfsäulen. Sollte es beim Tanken tatsächlich um Angebot und Nachfrage gehen, hätten die Preise vor der Steuersenkung rapide sinken müssen. Der Bundesverband der Tankstellenpächter beklagte, dass die Menschen vor der steuerlichen Spritentlastung nur das Nötigste an Benzin und Diesel nachfüllten. Geringe Nachfrage also, die Preise hätten sinken müssen. Doch merkwürdigerweise gingen sie für die Kunden vor der Steuersenkung in die Höhe. Im gleichen Zeitraum sanken aber die Großhandelspreise, da die Tankstellen weniger Nachschub bestellten, wie das Bundeskartellamt bestätigt. Zumindest zwischen Tankstellenpächter und Großhandel funktioniert also offenbar das Prinzip von Angebot und Nachfrage.
Davon haben vor allem die Berufspendler wenig. Als nach der Steuersenkung dann die berechtigte Frage auch aus der Politik aufkam, warum nicht die volle Entlastung bei den Kunden angekommen ist, wurde es noch ein bisschen absurder. Der Wirtschaftsverband Fuels und Energie, vormals Mineralölverband genannt, begründete die mehr als verhaltene Weitergabe des Preisvorteils an die Kunden damit, dass viele Tankstellen noch den Sprit in ihren Tanks hätten, der steuerlich nicht vergünstigt war, dieser müsste jetzt erst abverkauft werden, darum würde der volle Umfang erst in einigen Tagen weitergegeben werden können. Der Sprit müsste jetzt also tendenziell billiger werden. Wird er aber nicht.
Am Sprit verdienen die Tankstellen selbst nur im Promillebereich, ihr Hauptgeschäft besteht aus dem Verkauf von Zigaretten, Snacks, Getränken. Selbst die Pächter wissen morgens auf dem Weg zu ihrer Tankstelle nicht, wie teuer oder billig heute ihr Hauptprodukt ist. Das erfahren sie erst durch den Blick auf die automatisierte Preistafel neben ihrer Zapfsäule. Die Zahlen auf der elektronischen Preistafel werden zentral aus der Hauptverwaltung des jeweiligen Spritlieferanten gesteuert. Weder Pächter noch Kunden wissen also genau, wieso Benzin oder Diesel schon wieder zwei Euro und mehr kosten.
Aber auch der oberste Wächter der Preisgestaltung in Deutschland kann dazu keine nähere Auskunft geben. Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, ist in diesen Tagen ein gern zitierter Kronzeuge, allerdings mit begrenzten Mitteln zur Beweisführung. „Wir werden die Preise in den kommenden Wochen an den Tankstellen sehr genau monitoren und dann entsprechend handeln", so der 61-jährige Verwaltungsjurist gegenüber FORUM. Mit monitoren umschreibt Mundt, dass die Mitarbeiter seiner Behörde versuchen, so wie auch der Autofahrer, aus den Preissteigerungen Schlüsse zu ziehen – belastbare Zahlen der Großhändler liegen nicht vor. Seit knapp neun Jahren sind die Mineralölfirmen verpflichtet, zumindest geänderte Preise an der Zapfsäule für Super E5, E10 und für Diesel sofort an die Markttransparenzstelle zu melden. Trotz der steuerlichen Regulierung aus Berlin aber bleiben die Mineralölunternehmen in ihrer unternehmerischen Entscheidung frei. Oder anders ausgedrückt: „Die Mineralölkonzerne sind in Deutschland nicht verpflichtet, Steuersenkungen des Staates auch wirklich weiterzugeben", so Andreas Mundt.
Eigentlich müsste Sprit billiger werden
Ob sie das tun, darf bezweifelt werden. Der Preis für Sprit, egal welcher Sorte, wechselt ständig mit Tendenz nach oben.
Die FORUM-Preis-Recherche an einer Marken-Tankstelle in Berlin-Schöneberg, an einer Magistrale der Hauptstadt, belegt diese völlige Hilflosigkeit der Politik und des von ihr angerufenen Kartellamtes: Am Dienstagnachmittag vor dem Tankrabatt kostete der Liter Diesel 204,9 Cent, am Samstag darauf lag der Preis dann bei 207,9 Cent, also drei Cent mehr als fünf Tage vorher. Wo sind die 17 Cent Tankrabatt in dieser kurzen Zeit geblieben? Auf keinen Fall im Geldbeutel der Autofahrer. Haben vielleicht die Pfingsfeiertage und der Ferienbeginn in einigen Bundesländern damit zu tun? Jeder Autofahrer kennt seit Jahrzehnten die Anekdote, wonach die Höhe des Rohölpreises und der Großhandelspreis für den Sprit direkt mit Feiertagen und Ferienbeginn in Deutschland gekoppelt ist – gemäß der Logik, mehr Nachfrage, höherer Preis. Eine Auswertung der „Zeit" zeigt, dass dem im Augenblick nicht anders ist.
Unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Der Tankrabatt ist nicht angekommen und wenn, dann offensichtlich nur für wenige Tage und schon gar nicht in vollem Umfang. Ein weiteres Problem für die Bundesregierung: Wenn am 1. September die vorrübergehende Energiesteuersenkung wieder entfällt, drohen die bis dahin vermutlich ohnehin hohen Preise an den Zapfsäulen weiter zu steigen. Der Ruf nach einer Beibehaltung des Tankrabatts wird weiterhin durchs Land schallen.
Aber auch das zweite Element zur Mobilitäts- Entlastung der Pendler droht der Bundesregierung spätestens im August viel Ärger zu machen. „Das 9-Euro-Ticket ist im Herzen der Bürger angekommen", jubelt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zu Beginn der finanziellen Charme-Offensive für Bus und Bahn. Mehr als zehn Millionen Tickets wurden bundesweit schon vor Beginn geordert, so Wissing. Die Zahl ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, handelt es sich doch nicht ausschließlich um zehn Millionen Berufstätige, die begeistert ihr Auto seit dem ersten Juni stehen lassen und seither mit Tram, Bus und Bahn an ihre Wirkungsstätte pendeln. Wenige Stunden nach dem Bundestagsbeschluss hat die Bahn alle Tickets für ihre Regionalverbindungen mit Gültigkeit ab dem 1. Juni für neun Euro verkauft. Wie viele der 9-Euro-Kunden nun tatsächlich ihr Auto stehen lassen, geht aus den Verkaufszahlen überhaupt nicht hervor. Doch die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um Reisende handelt, die ohnehin mit dem Zug gefahren wären. Das belegen die praktischen Beobachtungen der lokalen Verkehrsverbünde in den 16 Bundesländern. Egal ob München, Frankfurt, Hamburg, Leipzig oder Berlin: Die Züge in den Berufsverkehren zwischen Montag und Freitag waren nicht viel voller, als vor der Einführung des 9-Euro-Tickets.
Überlegungen zu 365-Tage-Ticket
Doch nun droht der Bundesregierung eine ganze neue Debatte mit den Ländern. Denn an den Wochenenden waren die Züge plötzlich knallvoll, zumindest im Freizeitbereich scheint das Ticket ein voller Erfolg, auch wenn das Reisende und Bahnpersonal je nach Streckenauslastung anders sehen dürften. Ein Erfolg auch für die Umwelt, sicherlich, für die Berufspendler auf jeden Fall nicht. Trotzdem darf sich die Bundesregierung bereits jetzt auf die Begehrlichkeiten der Länder einstellen. Bereits wenige Tage vor Einführung sagte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, schon im FORUM-Interview: „Wird das 9-Euro-Ticket ein Erfolg, dann kommen wir dahinter nicht mehr zurück". Nach den ersten zwei Wochen ist es auf jeden Fall ein Erfolg, zumindest für Urlaubs-Deutschland. Für die Länder ist klar, das Ticket soll bleiben, aber die Kosten für den ÖPNV-Discount muss weiter der Bund übernehmen, die Länder können das nicht finanzieren. Wollte man tatsächlich das 9-Euro-Ticket zumindest bis Ende des Jahres aufrechterhalten, müsste der Bund also mindestens noch einmal drei Milliarden Euro nachschießen. Obendrein mahnt die Bahn, durch die hohe zusätzliche Auslastung, zumindest an den Wochenenden, hätten die Mitarbeiter in den Werkstätten mehr Verschleiß zu beheben, das heißt höhere Kosten für Personal und Ersatzteile. Und nach dem Pfingstwochenende mit Bahnsteigen voller Radfahrer muss sich Bundesverkehrsminister Wissing noch die Frage gefallen lassen, wer die Freigabe-Kosten für die überregionalen Züge übernimmt.
Denn damit auf den Bahnhöfen aufgrund des Ansturms nicht alles zusammenbricht, wurden auch IC-Verbindungen für die 9-Euro-Tickets notgedrungen freigegeben. Diese sind aber in die Bund-Länder-ÖPNV-Regelung nicht inbegriffen, bei den IC-Verbindungen handelt sich es sich um Fernzüge. Das ursprüngliche Kalkül der Bahn: Kommen die Reisenden mit dem Regionalzug nicht weiter, kaufen sie entnervt die teureren IC- oder ICE-Tickets. Doch bei völlig überfüllten Bahnsteigen und Kundenzentren hatte sich die Idee schnell von selbst erledigt.
Trotz der Überforderung der Bahn an dem Wochenende, noch ungeklärten offenen Kosten und dem nicht messbaren Erfolg bei berufspendelnden Autofahrern – für Verkehrsminister Volker Wissing und andere Ampel-Politiker ist das 9-Euro-Ticket ein Erfolg. Darum wird in Berlin schon mal an einer Alternative zur Fortsetzung bis Ende des Jahres gerechnet.
Vorbild ist die österreichische Hauptstadt Wien. Dort gibt es das ÖPNV-Jahresticket für 365 Euro – einen Euro pro Tag. Die zusätzlichen Kosten für den Bund würden sich dann „nur" auf eine zusätzliche Milliarde belaufen, heißt es aus Kreisen der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten. Gerade die Länder könnten sich das sehr gut vorstellen, nur Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) findet die Idee im Hinblick auf die kommende Haushaltsrunde gar nicht gut, solange der Bund das bezahlen soll. Lindner weiß nur zu gut, es wird nicht bei dieser einen Milliarde bleiben und die Länder könnten versuchen, die Mehrkosten auf den Bund abzuwälzen.
Insgesamt warfen Tankrabatt und 9-Euro-Ticket mehr Fragen auf als Lösungen zu zeigen. Sie könnten den Bund letztlich teuer zu stehen kommen. Wie die neuen Antworten lauten, zeigt sich spätestens dann, wenn die Maßnahmen wieder auslaufen. Schon jetzt ist die Debatte um eine Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne, angestoßen von den Linken und übernommen von der SPD, entbrannt. Die FDP ist, kaum verwunderlich, dagegen.