Der Verein Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) unterstützt Patienten einer Missionsstation in Togo. Dadurch können Medikamente und Nahrungsmittel für die Betroffenen kostenlos ausgegeben werden – man kann den Menschen auch einfach zuhören.
Ein Lied ertönt in der beginnenden Dunkelheit. Die Stimme ist kehlig und tief, fast heiser. Dazu Laute auf einem Instrument. Christine Amouzougan und ihre Mitschwestern laufen durch die staubige Dorfstraße von Kolowaré, immer den Klängen nach. Die kleine Gruppe biegt nach links ab zu den Häusern aus Lehm, die einen Hof umrunden. Dann sehen sie ihn, wie er spielt. Aus vollem Herzen und mit leerem Blick, denn Batanibila Assohnom ist blind.
Ein paar Stunden früher: Es ist heiß im Landesinneren von Togo. Die Sonne brennt unbarmherzig auf die Maisfelder neben der breiten roten Sandstraße. Hier in der Nähe der Provinzstadt Sokodé liegt Kolowaré mit seiner Missionsstation. Früher war der Ort eine Leprakolonie, in der Erkrankte von nah und fern Zuflucht suchten und fanden. Die ehemaligen Patienten sind längst geheilt, doch die Deformationen an Händen und Füßen bleiben. Für immer bleiben diese Zeugen einer Vergangenheit, in der Lepra Schrecken und Stigmatisierung verbreitete.
Heute ist Kolowaré ein normales Dorf mit Schule, kleinen Läden und einer lebendigen Gemeinde. Die meisten der einst von Lepra Betroffenen wohnen noch immer hier, haben Familien gegründet und werden von ihren Kindern oder Ehepartnern betreut. Doch es gibt Schicksale von Bewohnern, die allein und einsam sind, verstoßen von ihren Familien wegen der biblischen Krankheit, die vor Dekaden ausbrach und sie gezeichnet zurückließ. Bis heute.
Schwester Christine Amouzougan ist erst seit einem Jahr in Kolowaré. Dass sie schon im Ruhestand ist, sieht man ihr nicht an. Die 79-Jährige hilft gerne mit und unterstützt mit ihrem Eifer die anderen Schwestern der römisch-katholischen Kongregation „Schwestern Unserer Lieben Frau von den Aposteln". „Schon als junges Mädchen bewunderte ich die Ordensschwestern." Sie waren als Lehrerinnen in ihrem Dorf. Früh stand fest, dass sie selbst so werden möchte wie sie.
Die Nonne erreicht die Missionsschule, wo sie auf Schwester Claire Ouadrago trifft. Gemeinsam laufen sie hinunter zur nahen Krankenstation, wo Sylvain Tassisba auf sie wartet. Er leitet die kleine Gesundheitsstation. „Meine Eltern waren schon in Kolowaré als Leprapatienten. Ich bin hier geboren und aufgewachsen", betont der Krankenpfleger. „Mit Covid-19 kamen neue Herausforderungen auf uns zu. Regelmäßig üben wir hier den Umgang mit der Pandemie", sagt er und deutet auf Masken und Nahrungsergänzungsmittel. „Das hat uns die DAHW ermöglicht." Doch die Corona-Schulungen sind nicht immer erfolgreich. Sieben Mitarbeiter der Krankenstation hatten sich infiziert. „Von den Bewohnern allerdings niemand." Nicht nur die Lepra-Nachsorge wird in der Krankenstation abgedeckt. „Wir behandeln die Menschen auch, wenn sie Malaria, Gastritis oder andere Erkrankungen haben", ergänzt Schwester Claire, die für die Krankenstation von Kolowaré verantwortlich ist.
Corona brachte neue Herausforderungen
Patient Djodi Djako sitzt auf der einfachen hölzernen Wartebank und erzählt, dass er mit Gott haderte. Das war vor langer Zeit. Er blickt auf seine deformierten Hände und Füße. „Deshalb!", sagt er leise. „Er hat mir die Lepra gebracht, die Krankheit kommt von Gott." Der 60-Jährige zuckt mit den Schultern: „Kann ich mich ärgern über jemanden, den ich nicht sehe? Nein!", lautet seine banale Erklärung. „Ich habe Gott vergeben." Er lebt in Kolowaré seit 1980. Damals kam er aus dem Norden des Landes und erreichte mit letzten Kräften und offenen Wunden an Händen und Füßen die Krankenstation. Er gehört der Ethnie der Peulh an, einem Nomadenvolk, das mit seinen Rinder- und Ziegenherden von Ort zu Ort zieht. Mitgehen konnte er nicht mehr. In diesem Zustand erfuhr er von dem kleinen Krankenhaus in Kolowaré, das Menschen wie ihn aufnahm. Es war seine letzte Rettung. Heute nimmt Djodi Djako sein Schicksal an. „Schwester Claire und ihr Team kümmern sich um mich, das ist das Wichtigste." Langsam läuft er zu seiner Unterkunft, gestützt auf einen Stock. Es ist Zeit für das einfache Abendessen, das er sich mit den anderen Bewohnern seiner Unterkunft teilt.
„Dank der Unterstützung durch die DAHW können wir kostenlos Medikamente und Nahrungsmittel für die Betroffenen ausgeben", sagt Schwester Claire. Gemeinsam mit ihren katholischen Mitschwestern kümmert sie sich um rund 30 Betroffene. Viele sind seit Jahrzehnten hier, haben ihren Platz und ihre Heimat gefunden und wissen, dass sie gut versorgt werden. „Ohne die Unterstützung durch die DAHW wüssten wir nicht, wie wir unsere Patientinnen und Patienten versorgen können." Doch es fehlt immer wieder am Nötigsten. „Außer den Grundnahrungsmitteln wie Reis, Öl, Fischkonserven und Mais geben wir den Bewohnern auch Kleidung. Doch eine Abwechslung oder eine Ergänzung der Lebensmittel geben unsere finanziellen Mittel nicht her."
Ein paar Meter weiter die Dorfstraße entlang fegt Adamou Kardé den Hof der Krankenstation. Die 47-Jährige weiß nicht, wie lange sie schon in Kolowaré ist. Nach dem Tod ihrer Eltern kam sie aus dem Nachbarland Ghana hierher. Damals war sie noch ein Kind. Verwandte hatten sie gebracht. Denn die kleine Adamou litt auch noch an Epilepsie, die Anfälle kamen regelmäßig. Heute werden ihre Bewegungen von einer ausgeprägten Kyphose, einem Buckel, beeinflusst. „Ich bin hier mit ausgebreiteten Armen empfangen worden", sagt Kardé leise. Dankbar ist sie immer noch über ihre Aufnahme in Kolowaré vor vielen Jahren. „Ich habe zwei Hände und kann arbeiten!", sagt sie und nimmt den Reisigbesen. „Sie will sich immer und überall nützlich machen", lobt Schwester Claire und lächelt ihr anerkennend zu.
Schwester Christine erzählt von ihrer Schulzeit in einem Dorf bei Aného, einer Stadt im Südosten des Landes. „Eine Schwester bewunderte ich sehr, vor allem ihre Art, wie sie unterrichtete und sich um uns Kinder kümmerte. Später dann trat Christine selbst in ein Kloster ein und wurde Lehrerin: „Mein Kindheitstraum erfüllte sich!" Als Ordensfrau wurde sie Direktorin einer Grundschule in der Stadt Tsévie im Süden des westafrikanischen Landes. „Das ist lange her. Damals war ich so jung wie du jetzt!" Sie nickt Elizabeth Dorkat Gokir aus Nigeria zu, die noch ganz am Anfang ihres Lebens als Nonne steht.
Geheilt heißt, man ist nicht ansteckend
Die kleine Gruppe hat das Haus von Batanibila Assohnom erreicht. Er ist barfuß, seine von der Lepra deformierten Füße sieht er nicht mehr. Die Schwestern lassen sich auf der Veranda nieder. Der 70-Jährige weiß um ihren Besuch. Sie kommen oft, um den Tag bei ihm ausklingen zu lassen. Assohnom singt aus voller Kehle. Dazu zupft er die Oud, eine Kurzhalslaute. Singen und Spielen ist alles, was dem ehemaligen Lepra-Patienten bleibt. Die Lieder erzählen seine Lebensgeschichte, die schon früh von Tragik und Krankheit geprägt wurde. In der Kindheit in einem kleinen Dorf im Norden Togos fühlte er sich von seinen Eltern zurückgewiesen. „Ich wusste nicht, warum! Es war eben so", sagt er während einer kurzen Pause. Im Alter von 30 Jahren begann die Lepra an seinen Füßen. „Auch das interessierte meine Eltern nicht." Mittlerweile hatte er geheiratet, doch als seine Frau von der Erkrankung hörte, verließ sie ihn. Batanibila Assohnom kam nach Kolowaré. Er war sich sicher, hier Hilfe zu finden. „Das war meine letzte Rettung", erinnert er sich. Krankenpfleger Sylvain Tassisba erreicht die Gruppe und betont, dass Assohnom geheilt sei. Geheilt heißt in diesem Fall nicht mehr ansteckend. „Auch die Lepraflecken am Körper sind zurückgegangen."
Der frühere Bauer kann nicht mehr auf den Feldern arbeiten, die Erblindung lässt es nicht zu. Umso mehr macht ihn die Musik glücklich. Er erzählt, dass es früher jemanden in seinem Dorf gab, der dieses Instrument spielen konnte. „Ich wollte es unbedingt selbst lernen!" Nach einigen Jahren Unterricht schenkte ihm der Nachbar die Laute. Sie ist das Einzige, was Assohnom noch an sein früheres Leben erinnert. „Meine Tochter kam mich einmal besuchen, doch dann nie wieder." Seine Worte klingen bitter. Batanibila Assohnom hat Frieden in seiner Welt gefunden. Eine Haushälterin kommt täglich vorbei und hilft ihm mit dem Nötigsten: Essen kochen, waschen und das Haus in Ordnung halten. Er weiß das zu schätzen und bedankt sich für die Hilfe aus dem fernen Deutschland. Dann nimmt er wieder die Oud, zupft die Saiten und stimmt ein neues Lied an. Ein fröhliches, das mit der melancholischen Ballade von zuvor nichts zu tun hat.
Mittlerweile haben sich noch ein paar Nachbarinnen versammelt. Sie klatschen und bewegen ihre Hüften zum Rhythmus. Nur wenige wissen, dass Batanibila Assohnom mit seiner Musik nur sein Leben erzählt.