Im Zentrum der Serie „Outer Range", einer faszinierenden Mischung aus magischem Realismus und Rodeo-Seligkeit, steht Josh Brolin vor einem riesigen Loch, in dem alles verschwindet. Brolin begann schon früh mit der Schauspielerei und fühlt sich heute privat wie beruflich angekommen.
Den US-Schauspieler Josh Brolin, 54, haben die meisten zum ersten Mal wohl als wortkargen Cowboy in dem Coen-Brothers-Thriller „No Country for Old Men" so richtig wahrgenommen. Das war vor 15 Jahren. Danach vielleicht noch in Gus van Sants Biopic „Milk", für das Brolin als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert war. Aber so richtig in Fahrt kam seine Karriere erst 2015 mit dem Action-Thriller „Sicario", in dem er als CIA-Agent Jagd auf einen mexikanischen Drogen-Boss macht. Josh Brolin erinnert sich: „Nach 30 Jahren in der Film-Wüste war ich in Hollywood plötzlich gefragt. Dabei habe ich nichts anderes gemacht als früher: mit Leib und Seele geschauspielert." So spielte er 2018 auch in den Blockbustern „Avengers: Infinity War", „Deadpool 2" und „Sicario 2", die zusammengenommen über zwei Milliarden Dollar einspielten. Ein US-Branchenblatt rief schon den „Summer of Josh Brolin" aus.
Mord und Totschlag, Schuld und Sühne
„Ich dachte, das wäre doch genau der richtige Moment, um erst einmal eine lange Pause vom Filmgeschäft zu machen. Doch da rief mich Denis Villeneuve an, mit dem ich seit den Dreharbeiten zu ‚Sicario‘ befreundet bin, und wollte mich unbedingt für sein ‚Dune‘-Epos haben. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Und aus heiterem Himmel kam dazu noch das Angebot, bei ‚Outer Range‘ mitzumachen. Die Serie hat mich wie der Blitz getroffen! So etwas war mir davor noch nicht untergekommen. Und mir war klar: Diesen mysteriösen Familienvater und Rancher Royal Abbott musste ich unbedingt spielen! Diese Rolle ist mir tatsächlich so nahe wie bisher keine andere. Zu dieser Serie habe ich wirklich einen ganz persönlichen Bezug." „Outer Range" (s. Serientipp, Seite 82) ist ein Hybrid aus Western, Thriller, Science-Fiction und Existenzialismus-Drama, den Ray Bradbury, Jean-Paul Sartre und John Wayne gemeinsam nicht besser hätten aushecken können. Hier vermischen sich grandiose Prärie-Tableaus mit tödlichen Familien- und Nachbarschafts-Zwistigkeiten. Hier gibt es „Stürme und Jahreszeiten und Zäune und Blut und das Land und der Himmel schert sich einen Scheiß darum", wie Royal Abbott (Josh Brolin) sagt. Hier trifft Royal auf das mysteriöses Hippie-Mädchen Autumn (Imogen Poots), Sheriff Joy (Tamara Podemski), auf Bison-Herden und uramerikanische Vorfahren; hier erlebt Royals Frau Cecilia (Lily Taylor) ihren Fall-out mit Gott. Hier gibt es Mord und Totschlag, Schuld und Sühne – und das alles im Zwielicht verglühender Western-Romantik. Das wird mal linear, mal in wilden Zeitsprüngen erzählt und gewinnt immer mehr an Dynamik. Aber, und das ist das Faszinierende an „Outer Range", es gibt absolut keine Gewissheiten. Was bedeutet dieses alles verschlingende Loch auf der Weide von Royals Ranch? Ist es real? Eine Metapher? Eine Halluzination? Der Eingang zur Hölle? In eine andere Dimension?
Brolins „ganz persönlicher Bezug" zu „Outer Range" ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass er zwar in Los Angeles geboren wurde, aber auf einer Ranch in Templeton, Kalifornien, aufwuchs. „Ich habe das Leben auf der Ranch sehr genossen", erinnert sich Brolin. „Das weite Land, die herrliche Natur und natürlich die Pferde. Ich bin jeden Tag stundenlang in der Gegend herumgeritten. Auch deshalb waren die Dreharbeiten in Wyoming für mich so etwas wie ein Heimspiel." Und mit einem Lächeln meint er noch: „Ich bin einer der ganz wenigen Hollywoodschauspieler, der tatsächlich reiten kann!"
Als Josh Brolin Mitte der 80er-Jahre nach Hollywood kam, musste er ernüchtert feststellen, dass man dort auf den Naturburschen mit Schauspielambitionen nicht gerade gewartet hatte. Nach Gastauftritten im US-Fernsehen hatte er sein Kinofilmdebüt mit dem Jugend- und Abenteuerfilm „Die Goonies" (1985). Danach ging es mit seiner Karriere nur sehr schleppend weiter. Auch von seinem Vater James Brolin, der längst ein gefeierter Film- und TV-Serien-Star („Hotel") war, konnte er keine Hilfe erwarten. Wie die meisten Söhne berühmter Väter musste auch Josh sich erst mal aus dessen übermächtigem Schatten lösen. „Als ich meinem Vater von meinem brennenden Wunsch, Schauspieler zu werden erzählte, sagte er nur: ‚Mach das bloß nicht!‘ Mein Vater war schon immer der Meinung, dass ich selbst wissen muss, was ich tue. Also bin ich einfach ins kalte Wasser gesprungen. Es war übrigens nicht leicht, meine eigene Identität als Schauspieler zu finden. Und ich habe noch länger gebraucht, um mir in Hollywood einen eigenen Namen zu machen. Bis man mich als Charakterdarsteller wahrgenommen hat, war es ein sehr steiniger Weg. Viele Jahre lang hatte ich große Angst davor, dass mich Hollywood einfach einsaugt und, wie so viele andere Schauspieler, nach einiger Zeit wieder ausspuckt. Das wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Ich wollte bleiben. Und das will ich immer noch."
Gegen das Klischee vom Starken Mann
Josh Brolin ist nicht nur als Über-Cowboy in „Outer Range" eine imposante Gestalt. Mit seiner großen Statur, seinem durchtrainierten Körper, seinem festen Blick und seiner Stimme Marke Bourbon & Stacheldraht wirkt er auch jenseits der Kamera wie die Blaupause des „strong and silent type". Umso überraschender sein persönliches Geständnis: „Natürlich bin ich manchmal auch der Fels in der Brandung. Aber ich bin auch der, der sich nicht scheut, Gefühle zu zeigen. Und meine Liebe. Und der, der mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Freunden sehr gern über Gott und die Welt redet. Und ich kann auch sehr gut zuhören. Das Klischee vom starken Mann, der immer alles mit sich selbst ausmacht, hat doch längst ausgedient. Schauen Sie sich doch ‚Outer Range‘ an: Wie da der typische Western-Held dekonstruiert wird, wie die Cowboy-Machismen desavouiert werden und scheinbar in Stein gemeißelte Lebensentwürfe zerbröseln, das ist doch gerade das Faszinierende an dieser Show." Dass es mit der Serie weitergehen könnte, freut Brolin: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, die nächsten Jahre mit ‚Outer Range‘ zu verbringen. Es sind noch so viele Fragen offen. Es gibt noch so viel zu entdecken. Und selten wurde eine Geschichte so mystisch, so poetisch erzählt. Um so etwas zu kreieren, dazu gehört viel Einfühlungsvermögen. Und für so ein Abenteuer bin ich immer zu haben."
Josh Brolin hat sich trotz harter Kämpfe und diverser Film-Flops seine Sensibilität bis heute bewahrt. Er führt das auch auf die Erlebnisse in seiner Jugend zurück. „Als Teenager habe ich mich oft wie ein Waschlappen gefühlt. Im Sport war ich eine Niete und wurde deshalb oft gehänselt. Ich trug lange eine Zahnspange, und die Mädchen haben alle einen großen Bogen um mich gemacht. Ich war seelisch leicht verletzbar, hochsensibel und habe das Leben furchtbar ernst genommen. Aber dort, wo ich aufwuchs, war Empfindsamkeit fehl am Platz. Sie war eine Schwäche. Ich verbrachte meine Tage und Nächte mit einer Clique aus knallharten Typen, üblen Schlägern und Halbkriminellen. Da gab es nur Punkrock, Herumhängen und Saufen. Später kamen dann noch harte Drogen dazu. Ich war wirklich sehr oft neben der Spur. Und als ich 16 war, kam dann noch meine Mutter bei einem Autounfall ums Leben. Das hat mich fast völlig aus der Bahn geworfen. Ich bin meinem Schicksal sehr dankbar, dass ich noch am Leben bin. Die meisten Menschen, mit denen ich aufwuchs, sind nämlich schon längst tot. Ich habe diese Zeit nur überlebt, weil ich mich sehr oft zurückgezogen und in Tagträume geflüchtet habe. Außerdem habe ich mich schon sehr früh für Literatur interessiert. Ich habe ein Buch nach dem anderen verschlungen. Und ich habe begonnen, Gedichte zu schreiben. Ich schreibe auch heute noch fast jeden Tag Gedichte. Und auch das Tischgebet, das ich in ‚Outer Range‘ spreche, habe ich selbst verfasst. Mein größtes Glück war, dass ich trotz aller Schwierigkeiten in der Schauspielerei etwas gefunden habe, das mir einen Lebenssinn gab und bis heute gibt."
Nach zwei gescheiterten Ehen hat Josh Brolin auch im wirklichen Leben Halt und Sinn gefunden. Seit 2016 ist er mit dem 20 Jahre jüngeren Ex-Model Kathryn Boyd verheiratet. Sie hat ihm geholfen, mit seiner mitunter extrem destruktiven Lebensweise und seinen Alkoholexzessen Schluss zu machen. Mit Boyd hat er eine vierjährige und eine zweijährige Tochter, aus der Ehe davor zwei erwachsene Kinder. „Mit der Zeit bin ich zu einem richtigen Familienmenschen geworden. Und wie gut mir das tut! Mit Kathryn habe ich auch endlich meine Seelenverwandte gefunden. Ich hätte das fast nicht mehr für möglich gehalten. Ich bin so glücklich wie noch nie in meinem Leben." Mit seiner Familie lebt Brolin zurückgezogen in Los Angeles. Mit dem üblichen Hollywood-Lifestyle hat er nichts mehr am Hut. Und den obszön zur Schau gestellten Ruhm und Reichtum verachtet er zutiefst: „Ich kann mit all dem oberflächlichen Getue rein gar nichts anfangen. Da verbringe ich lieber Zeit mit meiner Familie." Unter der kantigen Schale des Raubeins kommt ein warmherziger, nachdenklicher Mensch zum Vorschein, der selbstsicher ist und kein bisschen affektiert.