Costa Rica gilt in Sachen Biodiversität als unübertroffen. In den Nationalparks streifen Besucher durch faszinierende Sumpfwälder, baden an traumhaften Stränden und treffen unter anderem auf Leguane, Waschbären, Krokodile und Brüllaffen.
Quiiieek, Quiieek", tönt es morgens um fünf. Schrill und laut. Wieder und wieder. Der Ton scheint aus den Baumwipfeln zu kommen, ist aber schwer genauer zu verorten. Eine Mischung aus Quieken und Grunzen, wie bei einem Schwein – dann ein helles Bellen, wie ein Hund, und plötzlich klingt es wie der schrille Schrei eines Babys. Gut, dass ich ohnehin noch im Jetlag bin, sonst wäre ein solcher Lärmorkan frühmorgens definitiv ein Reklamationsgrund. Doch wollte ich mich hier in der „Namuwoki-Lodge" wegen des Geräuschpegels beschweren, würde ich wahrscheinlich nur schräg angeschaut: Denn hierher, an die costa-ricanische Karibikküste, in die Nähe des Nationalparks Cahuita und des „Refugio Nacional de Vida Silvestre Gandoca-Manzanillo" kommen Besucher ja vor allem, um Affen, Faultiere, Papageien, Leguane, Ameisen- und Waschbären und andere Tiere in freier Natur zu erleben, zu beobachten und zu fotografieren. Da gehören Brüllaffen nun einmal dazu. Sie zählen zu den lautesten Säugetieren überhaupt. Ihre einzigartigen Schreie werden sogar dafür genutzt, um in Filmen Drachen- oder Dinosauriergeräusche zu synchronisieren.
Etliche Stunden später bin ich mit dem Reiseleiter und Guide Enrique Balsevicius zu Fuß im Sumpfwald unterwegs. Er zeigt und erklärt mir die Tier- und Pflanzenwelt des Cahuita-Nationalparks. Etwa Schmuckbananen mit ihren pinkfarbenen, nach oben stehenden Blüten und prächtige Helikonien. Während wir weiterlaufen, hören wir das Zirpen der Grillen und Zikaden, zudem immer wieder auch die Rufe verschiedener Vögel und Frösche. Costa Rica gilt in Sachen Biodiversität als unübertroffen. Das Land ist zwar nur etwas größer als Niedersachsen, hat jedoch eine höhere biologische Vielfalt als Länder-Kolosse wie Brasilien oder Russland. Woran das liegt? Lange Zeit bestand zwischen Nord- und Südamerika keine Landverbindung, auf beiden Kontinenten entwickelte sich eine völlig unterschiedliche Flora und Fauna. Als sich das von drei mächtigen Bergketten durchzogene Land vor etwa drei Millionen Jahren erhob, bildete es eine Brücke zwischen den beiden Gebieten, aber gleichzeitig auch eine Barriere. Das hat zur Folge, dass viele Arten aus Südamerika bis hierher kamen, und nicht weiter, und dass auch nordamerikanische Tier- und Pflanzenarten langsam hier Fuß fassen konnten.
Blauschimmernder Schmetterling
Bei so viel Vielfalt ist ein Guide natürlich permanent gefordert. Kaum hat Enrique Balsevicius ein Tier oder eine Pflanze kurz erklärt, erspäht er meist wieder ein neues Objekt. „Guck mal, da", ruft er, und zeigt auf einen prächtigen, blauschimmernden Morpho-Schmetterling. „Die blaue Farbe findet sich nur an der Oberseite der Flügel, es sind keine Pigmente, sondern schuppenartige, strukturelle Farben. Sie reflektieren das Licht, sodass die Vögel irritiert werden und die Schmetterlinge deshalb schwerer finden", erläutert Balsevicius, der zwischendurch immer wieder einen Laserpointer hervorholt, um auf besondere Tiere und Pflanzen in den Baumwipfeln hinzuweisen. „Einige Reptilien", so berichtet er, „haben in der Vergangenheit bereits versucht, das Licht des Pointers zu fressen." Auch wir sehen an diesem Tag noch Grüne Leguane sowie die eher bräunlich gefärbten Helmbasilisken –
doch diese liegen nahezu reglos in der Sonne und lassen sich durch unsere Anwesenheit nicht irritieren.
Wir laufen ein Stück den Strand entlang, sehen die Tatzenabdrücke eines Waschbären im gräulichen Sand und laufen auf einer alternativen Route zurück zum Parkeingang. „Guck mal, da", sagt Enrique Balsevicius noch einmal und deutet nach oben. Ein braunes Fell schimmert durch sich bewegende Zweige, doch bald darauf raschelt und wackelt es an verschiedenen Stellen. Wir haben eine Gruppe von Mantelbrüllaffen entdeckt, die anscheinend gerade beim Mittagessen sind. Das Verzehren von Blättern, die ihnen sichtlich schmecken, verleitet sie zu echten akrobatischen Leistungen. Einige der Tiere umklammern mit ihrem Greifschwanz stabilere Äste, hängen daran kopfüber nach unten und schwingen sich zur Seite. Brüllaffen, so erläutert Enrique, leben in Gruppen von zwölf bis 20 Tieren, darunter befindet sich ein männlicher Affe, der der Chef der Gruppe ist. Dieser paart sich mit allen Weibchen der Gruppe und brüllt in der Regel am lautesten.
Die Etablierung des Nationalparks vor rund 40 Jahren, so berichtet unser Guide, sei durchaus kontrovers gesehen worden, denn die Einheimischen hatten Angst, dass die Gebühren für den Eintritt die Langzeitgäste verschrecken. „Wenn Leute wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, dann interessieren sie sich eher für Reis und Bohnen als für Tukane und Schmetterlinge", erklärt er. Die Lösung: nachhaltiger Ökotourismus. Aus diesem Grunde werden Unterkünfte in Costa Rica nicht mit Sternen ausgezeichnet, sondern mit Blättern. „Um ein gutes Nachhaltigkeitszertifikat zu erhalten, muss ein Hotel mindestens 90 Prozent der Arbeitsplätze an Leute aus der Gemeinde geben", erläutert Enrique.
Affen markieren mit Brüllen ihr Revier
Nachhaltigkeit allein reicht nicht aus. Tourismus soll nicht nur die Natur nicht weiter zerstören, sondern dazu beitragen, ihren Zustand wieder zu verbessern. Das ist die Überzeugung von Jürgen Stein, der inmitten des Regenwaldes eine Lodge mit 19 Zimmern betreibt. Sein Credo ist der regenerative Tourismus. Ein idealistisches Projekt, das der 59-Jährige auch deshalb durchführen kann, weil er und seine beiden Schwestern Sofia und Karin vor vielen Jahren ihren Vater Rudi, der ein 1.700 Hektar großes Waldstück besaß und hauptsächlich vom Holzverkauf lebte, dazu überreden konnten, das Abholzen einzustellen. Jürgen Stein, der schon als Kind davon träumte, Pilot zu werden, hat sich mittlerweile zwei kleine Gyrocopter gekauft, mit denen er das Gebiet seiner Farm und den umliegenden Wald überfliegen kann, um dort Ausschau nach illegalem Holzeinschlag oder nach Wilderern zu halten. „Auch der frühere Umweltminister ist mit mir bereits unterwegs gewesen. Zwei Wochen nach unserem Erkundungsflug wurde eine Spezialeinheit geschickt, die gegen die Holzmafia vorgegangen ist", berichtet Stein nicht ganz ohne Stolz.
Wenn der Himmel klar ist, fliegt er mit den Gästen seiner „Selva Bananito Lodge" gerne eine kleine oder größere Runde über den tropischen Feuchtwald, zeigt dabei das Gelände seines Anwesens und fliegt zu den Morpho-Wasserfällen, die deutlich machen, wie wasserreich diese Region ist. Wenn der Hobby-Pilot mit seinem Gyrocopter links oder rechts dreht, legt sich das Gerät samt Passagieren ordentlich in die Kurve, fast wie ein Motorrad. Im Gegensatz zu einem geschlossenen Fluggerät spürt man hier aber den Wind. Nach einer letzten Schleife setzt der Dschungelpilot zur Landung an. Obgleich der Gyrocopter mit einem Propeller versehen ist, landet das Fluggerät eher wie ein Flugzeug – es setzt auf einer Graspiste auf und rollt dort aus. Als Jürgen Stein den Motor ausschaltet, ist es angenehm ruhig. Brüllaffen sind jetzt, am späten Vormittag, keine zu hören. Deren Rufe, die gegenüber anderen Affengruppen das Revier markieren sollen, sind vor allem frühmorgens zu vernehmen.
Costa Rica lockt mit zahlreichen Nationalparks – und das nicht nur an der Karibikküste. Für Aktivurlauber empfiehlt sich insbesondere der Nationalpark rund um den Vulkan Arenal. Bis vor etwa zehn Jahren waren seine spektakulären Lavaströme eine Attraktion, die Besucher aus aller Welt anzogen. Als der Arenal seine Aktivität einstellte und nicht mehr länger Feuer spie, wollte man dies zuerst verheimlichen. Man hatte Angst, dass der Tourismusboom ohne das nächtliche Spektakel vorbei wäre. „Doch dann stellte sich heraus, dass sich überhaupt nichts geändert hat, die Touristen sind weiter gekommen", berichtet Tourguide Enrique Balsevicius. Und das nicht ohne Grund: Im und um den Arenal-Nationalpark finden sich Trekking- und Raftingmöglichkeiten, Zip-Lines und Anbieter für Reittouren – und am Abend oder am Nachmittag locken heiße Quellen zu einem entspannenden Bad. Auch der Wasserfall La Fortuna, der Arenal-Stausee und der Hängebrücken-Naturpfad Mistico lohnen einen Besuch. Der Arenal-Vulkan selbst darf nicht bestiegen werden, doch auf kurzen Wanderwegen erreicht man zumindest verschiedene Lavazungen.
Vom boot aus Krokodile sehen
Rund fünf Stunden sind es vom Arenal-Nationalpark zum populärsten Nationalpark Costa Ricas, dem Nationalpark Manuel Antonio. Auf dem Weg dorthin machen wir Halt am Fluss Tárcoles, einem der besten Spots im Lande, um Krokodile und Vögel zu beobachten. „Seit der Corona-Pandemie kommen viel weniger Touristen. Ich habe mir deshalb einen Zweitjob gesucht und arbeite nun auch auf dem Bau", berichtet Juan Carlos Buitrayo Moreno, der seit Jahren als Bootsführer mit Touristen zu Krokodilen und Wasservögeln schippert. Der 47-Jährige kennt jede Sandbank am Tárcoles, der sich nach Hochwassern immer wieder verändert, und er kennt auch viele der Krokodile, die vor allem in den Morgenstunden am Ufer zu sehen sind, mit Namen. „Ein Krokodil, das immer im Zickzack schwimmt, nennen wir Shakira, ein anderes, das häufig Ärger macht und mit den anderen nicht zurechtkommt, heißt Hugo Chávez", berichtet Juan Carlos Buitrayo Moreno. Am Tag vor unserem Ausflug, so berichtet er, habe er auch Mike Tyson am Flussufer wiedergesehen – ein großes Krokodil, das leicht zu erkennen ist, weil es ein beeinträchtigtes Auge hat. „Mike Tyson hatte mich vor Jahren einmal ins Wasser gezogen und dabei in den Bauch und in den Arm gebissen", erinnert sich Juan Carlos. Schuld daran, so gesteht er, war er letztendlich selbst – denn früher wurden hier nicht nur Beobachtungsfahrten angeboten, die Guides versuchten auch, Krokodilshows durchzuführen. „Mit Krokodilen gibt es grundsätzlich keine Probleme. Problematisch wird es nur, wenn Menschen sich falsch verhalten", versichert er.
Der Nationalpark Manuel Antonio an der Pazifikküste des Landes hat seine ganz eigene Geschichte – das Land, das früher der United Fruit Company gehörte, war von reichen Amerikanern gekauft worden, die dort Luxushotels und eine Marina bauen wollten und die den Einheimischen den Zugang zu den Stränden verwehrten. Eine Apothekerin aus Quepos kontaktierte daraufhin die Regierung und regte an, in der Region einen Nationalpark zu errichten. Die Regierung schickte eine Prüfkommission – kurz darauf wurden die Weichen für das Schutzgebiet gestellt. Heute ist der Antonio-Nationalpark der meistbesuchte im ganzen Land. Hier können Faultiere, Waschbären, Ameisenbären, Totenkopfäffchen, Kapuzineraffen und viele Tiere mehr beobachtet werden, entweder auf den Spazierwegen durch den Park oder an den herrlichen Naturstränden, die sich im Parkgebiet befinden. „Wer faul ist und am Strand liegt, der sieht oft mehr Tiere als jemand, der durch den Wald geht", verrät Enrique Balsevicius. Das liegt daran, dass bis vor einiger Zeit viele der Badegäste Früchte mitgebracht haben und die Tiere am Strand regelrecht angefüttert hatten. „Seit Corona ist es nicht mehr erlaubt, Essen mit in den Park zu bringen. aber die Tiere kommen weiterhin regelmäßig zum Strand", berichtet er.
Statt Brüllaffen wie in Cahuita, faszinieren hier vor allem die Totenkopfäffchen, die nicht weit vom Weg entfernt in den Bäumen sitzen und sich gegenseitig das Fell säubern oder hyperaktiv umherspringen.