Die Füchse Berlin verpassen zwar einen Sieg zum Abschluss, sind aber dennoch stolz auf die Saison. Vor allem für den Top-Torjäger hat sich die Spielzeit gelohnt.
Aus den Lautsprechern dröhnte ein Scooter-Song, die Fans erhoben sich von ihren Sitzen und die Mitspieler standen Spalier. Nach dem Saisonabschluss waren bei den Füchsen Berlin alle Augen auf Hans Lindberg gerichtet. Der Rechtsaußen nahm die Trophäe für den besten Torschützen der Handball-Bundesliga HBL fast schon routiniert entgegen – es war schließlich schon seine dritte. Doch die Auszeichnung in diesem Jahr war etwas Besonderes, denn beim letzten Mal war der Däne mit 31 Jahren vergleichsweise „blutjung" gewesen. Diesmal holte er die Torjäger-Kanone im Alter von 40 Jahren – phänomenal! Aber wie ist das möglich?
„Gute Frage", sagte Lindberg lachend, „man muss natürlich verletzungsfrei bleiben." Über andere Erfolgsgeheimnisse plauderte er nicht. Torschützenkönig zu werden sei „niemals sein Ziel" gewesen, sondern er wolle „die Chancen effektiv nutzen, um meiner Mannschaft zu helfen." Im letzten Saisonspiel war es aber auf jeden Fall anders herum: Das Team spielte im Heimspiel gegen die SG Flensburg-Handewitt nur hintergründig um zwei Punkte, sondern vielmehr für Lindberg. Er sollte seinen kleinen Vorsprung in der Torjäger-Liste im Fernduell gegen den Magdeburger Omar Ingi Magnussson und Bjarki Mar Elisson von der TBV Lemgo Lippe behaupten. Das klappte dank neun Lindberg-Treffer, mit denen er seine Ausbeute auf 224 hochschraubte. Das Offensivspiel der Füchse litt durch diese Fokussierung aber extrem.
Es ging im Grunde nur um Lindbergs Krönung
„Man hat gemerkt, das Thema Hans Lindberg war überpräsent", sagte Trainer Jaron Siewert, „jeder wollte ihm noch einen Wurf gönnen". Am Ende stand eine verdiente 22:28-Niederlage, die jedoch keine Auswirkungen auf die Tabelle hatte. Die Flensburger konnten die Berliner auch mit dem Sieg nicht mehr überholen, Platz drei war den Füchsen nicht mehr zu nehmen. Allerdings verpassten es die Gastgeber, den Punkterekord von 2011 (55 Zähler) einzustellen. Doch das grämte die Verantwortlichen nicht. Man müsse die gesamte Saison bewerten, meinte Sportvorstand Stefan Kretzschmar, „und der dritte Platz ist für uns viel wert, ein tolles Ergebnis für die Füchse Berlin." Rang drei reicht zwar nicht ganz für die Champions League, das Duell um den zweiten Startplatz neben Meister SC Magdeburg hat Berlin gegen den THW Kiel knapp verloren. Doch das sei nur ein kleiner Wehrmutstropfen, so Siewert. „Wir sind stolz auf den dritten Platz und eine sehr gute Bundesligasaison", sagte der Trainer: „Der Akku ist leer, wir freuen uns jetzt auf die fünf Wochen Pause."
Dass es in dem letzten Spiel eigentlich nur noch um Lindbergs Krönung ging, war schon vor dem Anpfiff klar gewesen. Eigentlich hätte absprachegemäß Valter Chrintz auf der rechten Angriffsseite beginnen sollen, doch Siewert stellte natürlich Lindberg auf. Die Bank war auch ständig über die Zwischenstände der Lindberg-Konkurrenten informiert. Der Stadionsprecher heizte das Publikum damit auf, Lindberg besonders anzufeuern –
auch wenn das dem Protagonisten gar nicht recht war. „Er möchte nicht darauf angesprochen werden", hatte Sportvorstand Stefan Kretzschmar vor dem Spiel verraten. Die Torjägerkrone in den eigenen Reihen zu halten, bedeute nun aber „ein bisschen Prestige".
Beinahe hätte Flensburg-Keeper Kevin Möller einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn er hielt in Berlin überragend – vor allem gegen Lindberg. Sogar zwei Siebenmeter konnte er gegen seinen dänischen Landsmann parieren. „Er hat mir vorher geschrieben: Wenn du alles reinlässt, darfst du etwas haben", verriet Möller lachend: „Aber das geht natürlich nicht." Lindberg habe es auch ohne seine Mithilfe geschafft, und das sei mehr als verdient gewesen: „Was er abgeliefert hat – Hut ab für den alten Mann. Das ist beeindruckend. Wir träumen alle davon, dass wir so lange auf höchstem Niveau spielen können."
Auch die Flensburger spielten am Ende nur noch für einen Rechtsaußen: Lasse Svan. Der Däne hört nach zwei Jahrzenten als Handballprofis auf. Allein für die SG lief er 653-mal auf, er erzielte knapp 2.500 Tore und gewann alles, was man in diesem Sport gewinnen kann. In seinem letzten Spiel überhaupt gelang ihm tatsächlich noch der Treffer zum Endstand. Nach der Schlusssirene wurde er von den Teamkollegen abgefeiert, es flossen Tränen. Auch die Berliner verneigten sich vor der lebenden Legende.
„Es war eine lange Zeit. Ich habe alles genossen", sagte Svan: „Ich hatte so viele unglaublich schöne Momente mit diesem Verein und diesen Fans, ich bin dafür sehr dankbar." Auch Lindberg zollte seinem dänischen Landsmann den allergrößten Respekt: „Er ist ein großer Spieler und ein sehr guter Freund. Wir haben so viele tolle Erlebnisse zusammen gehabt." Anders als Svan hängt der zwei Jahre ältere Lindberg noch mindestens eine Saison dran, der Rechtsaußen verlängerte jüngst seinen Vertrag bis 2023.
Neben Lindberg konnte sich in den Berliner Reihen auch Dejan Milosavljev persönlich auszeichnen. Der Torhüter verteidigte seine Spitzenposition im HBL-Ranking der gehaltenen Bälle, insgesamt brachte er 368-mal die Gegner zum Verzweifeln. Der serbische Nationalspieler hat eine starke Saison hinter sich, die vom Verein mit einer Vertragsverlängerung bis 2027 belohnt wurde. Geschäftsführer Bob Hanning nannte Milosavljevs Bleiben ein „wichtiges Puzzlestück" auf dem Weg zur Titelreife.
Stark, clever und schwer zu bezwingen
Verabschiedet wurde dagegen Viran Morros, der wegen einer Atemwegserkrankung wie schon in den Spielen zuvor nicht mehr für die Füchse auflaufen konnte. „Das ist ein schreckliches Gefühl", sagte der 38-Jährige, „weil ich nichts machen kann." Der Abwehrspezialist war vor der Saison von Paris St. Germain gekommen, konnte wegen einer Oberschenkelverletzung, die er sich bei den Olympischen Spielen zugezogen hatte, aber erst sechs Wochen nach Saisonstart eingreifen. Bei seinen Einsätzen bewies Morros, was für eine Extraklasse er auch im hohen Handball-Alter mitbringt. Physisch stark, extrem schwer im Zweikampf zu bezwingen und taktisch sehr clever – der Spanier erfüllte die hohen Erwartungen an ihn.
Morros habe den Füchsen „extrem geholfen, wichtige Impulse gegeben und die Mentalität der Mannschaft positiv beeinflusst", lobte auch Kretzschmar – mit einer Vertragsverlängerung belohnte er dies aber nicht. Das hat nichts damit zu tun, dass ihm die Klubbosse keine weitere Spielzeit auf Topniveau zutrauen, sondern hat eher strategische Gründe. „Im Hinblick auf die Kadergröße, unsere ökonomischen Möglichkeiten und der Tatsache, dass uns Max Darj nächste Saison verstärken wird, haben wir uns entschieden, seinen Vertrag nicht zu verlängern", begründete Kretzschmar. Morros wäre gern in Berlin geblieben, wechselt nun aber in die Schweiz zu Pfadi Winterthur. Für eine Trainerstelle, die ihm die Füchse angedacht hatten, fühlt er sich noch zu jung. „Ich denke seit drei Jahren ans Aufhören, aber ich bin noch nicht fertig", sagte der zweifache Europameister.
Morros geht mit einem guten Gefühl aus Berlin, auch wenn es seiner Meinung nach „noch etwas besser hätte sein können" als Platz drei, meinte der Routinier, „wenn uns nicht zu bestimmten Spielen wichtige Spieler gefehlt hätten", sagte Morros: „Aber so ist der Sport. Und diese Liga ist verdammt hart."