Zwischen Förderprogrammen und Seelsorge versuchen das International Office und das Studierendenwerk der Universität des Saarlandes (UdS) ihren Gästen aus der Ukraine Halt zu geben. Die Kommunikation mit russischen Kolleginnen und Kollegen erfolgt mit reichlich Fingerspitzengefühl.
Raus aus der Ukraine – während viele schon wieder zurückkehren, ist das für andere immer noch unklar. Noch bis vor einigen Wochen hatten Studierende aus der Ukraine die Möglichkeit, das Land mit der Bestätigung einer deutschen oder europäischen Universität als Austauschstudierender zu verlassen. Mittlerweile ist das gar nicht mehr so einfach. Die Ukraine beginnt bereits, ihr Lehrpersonal, das zum Teil ebenfalls floh, zurückzurufen. Und wer nicht zurückkommt, der wird unter Umständen entlassen.
„Man muss bedenken, dass das Semester jetzt schon vor einer Weile angefangen hat. Das heißt, diejenigen, die jetzt kommen, können dieses Semester keine Kurse mehr belegen. Und deswegen kommen auch kaum noch Anfragen von Studierenden", erzählt Dr. Ekaterina Klüh vom International Office der UdS. „Sicherlich kommen Hilferufe aus der Ukraine. Vor allem von männlichen Studierenden, die versuchen das Land zu verlassen und nach Dokumenten fragen, die ihnen dabei helfen sollen. Aber das ist richtig schwierig geworden."
Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges sind an der UdS 15 Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und circa 30 geflüchtete Studierende angekommen. Wie viele noch kommen werden, kann niemand genau sagen. Ebenso wenig, wie lange sie noch bleiben. Fest steht nur, dass das ukrainische Volk an den Wiederaufbau seines Landes glaubt, weshalb auch die jungen Studierenden irgendwann wieder zurück in die Heimat wollen. „Man vermisst das eigene Land, Familienangehörige und so weiter. Auf der anderen Seite ist das meiner Meinung nach ein unglaublich tapferes Volk. Die Menschen versuchen wirklich für sich, zumindest für die Zeit hier, eine Perspektive aufzubauen", erklärt Ekaterina Klüh. Auch Heike Savelkouls-Diener vom Studierendenwerk Saarland meint: „Die wollen zurück. Das war bei den Syrern anders. Aber bei den Ukrainern ist es so: Wir nehmen die Situation jetzt an, und danach gehen wir wieder zurück."
Die Ukrainerinnen und Ukrainer sprechen gutes Englisch und sind untereinander vernetzt. Bei ihrer Ankunft in Deutschland wussten sie laut der Sprecherin des Studierendenwerks sofort, zu welcher Behörde sie müssen. Das Studierendenwerk konnte zu Beginn des Krieges 14 Einzelappartements im Homburger Wohnheim C zur Verfügung stellen. Bei einem in Kooperation mit dem International Office organisierten Treffen, das ausschließlich an Ukrainerinnen und Ukrainer gerichtet war, kamen beim ersten Mal elf Personen. Beim zweiten Treffen gab es laut Savelkouls-Diener schon keine weiteren Fragen mehr. „Man muss sagen, die Ukrainer machen einen sehr starken Eindruck. So nach dem Motto ‚Wir kriegen das hin‘. Die krempeln die Arme hoch und legen los."
Schon vor Beginn des Ukraine-Krieges waren an der UdS circa 60 ukrainische Studierende und Forschende, die durch das europäische Austauschprogramm „Erasmus" oder Mittel vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert werden. Auch die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer erhalten jetzt Unterstützung aus verschiedenen Förderprogrammen, die an ihre unterschiedlichen Situationen in- und außerhalb der Ukraine angepasst sind. Dazu gehören Förderungen für Studierende, die für eine befristete Zeit oder einen gesamten Bachelor- oder Masterstudiengang in Deutschland sind, genauso wie Orientierungs- und Bewerbungsprogramme für Studieninteressierte, Stipendien für Forschende oder aber jene, die noch vor Ort in der Ukraine online studieren. Daneben stellt das Studierendenwerk einen Hilfsfonds mit 18.000 Euro, aus dem Hilfebedürftigen schnell und unbürokratisch geholfen werden kann. Sie erhalten einen unentgeltlichen Zuschuss, inklusive Bafög 862 Euro, und können im zweiten Ankunftsmonat aus dem Nothilfefonds für Internationale noch mal 500 Euro beantragen.
Allerdings sind die Interessen von Deutschland und der Ukraine nicht immer deckungsgleich, wie auch Prof. Dr. Cornelius König, Vizepräsident der UdS, bestätigt. „Es ist klar, dass die Ukraine ihren Studierenden die Ausbildung gewähren möchte, aber sie möchte sie natürlich auch wieder zurückholen. Das Land sieht einen Wiederaufbau, wann auch immer dieser stattfinden wird", erklärt König und fährt fort: „Wir hingegen in Deutschland haben durchaus auch das Interesse, die Studierenden hier zu halten, schon aus wirtschaftlicher Sicht. Dieses Spannungsfeld sollte man nicht wegdiskutieren."
„Ich glaube, wir versuchen erst einmal die Situation zu verarbeiten"
Auch die gleichzeitige Anwesenheit russischer und ukrainischer Studierender an der UdS bietet Spannungspotenzial. Die Stimmung zwischen den bunt gemischten studierenden Nationalitäten am Campus ist aber laut Heike Savelkouls-Diener seit eh und je gut. In einem gemeinsamen spanischen Theaterstück zeigten ukrainische und russische Studierende an der UdS ihren Zusammenhalt. „Da geht es nicht um die Frage: Wer war ich, wo komm’ ich her? Und ich finde das ist das, was zählt. Die Menschen leben natürlich ihre Nationalität. Aber wir als Beobachter sehen das viel extremer als sie", erklärt Savelkouls-Diener.
Die Gespräche mit russischen Kolleginnen und Kollegen in der Wissenschaft gestalten sich dagegen schwieriger. Die Beziehungen zwischen deutschen und russischen Institutionen, wie Forschungskooperationen und -projekte, sind eingefroren. Die Gespräche gehen auf fachlicher Ebene weiter und auch private Netzwerke bleiben bestehen. Doch über Persönliches oder Politisches möchte keiner sprechen. „Man weiß nicht, ob man in der Telefonkonferenz jetzt schon von ‚Spezialoperation‘ sprechen muss, oder von ‚Krieg‘. Da fängt es schon an. Weil man natürlich die Kolleginnen oder Kollegen in Moskau nicht mit einer falschen Formulierung, die vielleicht von irgendeiner Zensurbehörde abgefangen wird, in Schwierigkeiten bringen will", erklärt Cornelius König. Ist in dieser Situation schon an eine Wiederaufnahme der russischen Beziehungen zu denken?
„Aus meiner Sicht sind wir noch gar nicht soweit. Ich glaube, wir versuchen erst einmal die Situation zu verarbeiten", erklärt Ekaterina Klüh. Der Vizepräsident pflichtet ihr bei: „Man weiß nicht, in welche Richtung es sich wirklich entwickelt. Können wir die Beziehungen verstärken? Wollen wir die Beziehungen verstärken? Gibt es überhaupt sinnvolle Perspektiven für gemeinsame Forschung? Gibt es Finanzierungsmöglichkeiten in Zukunft? Es ist so vieles unklar."
Diese Unklarheiten bleiben natürlich auch vor den ukrainischen Studierenden nicht verborgen, weshalb laut dem International Office auch keiner so richtig weiß, wie es mit ihnen weitergeht. Die UdS hat sich bemüht, ihnen über Informationsveranstaltungen etwas mehr Orientierung zu geben. Theoretisch hätten Austauschstudierende aus der Ukraine die Möglichkeit, ab dem Wintersemester 2022/23 ein reguläres Studium in Deutschland aufzunehmen. Auch das Starterstudium International soll ausgebaut werden. „Wir können uns ziemlich sicher sein, dass es jetzt keinen spontanen Waffenstillstand im Juni geben wird. Daher: Dass wir es noch nicht wissen, liegt auch daran, dass wir die Studierenden nicht zwingen sich zu entscheiden, weil sie sich auch einfach noch nicht entscheiden konnten", gibt Cornelius König zu verstehen. Daher müsse man jetzt auch in der Bürokratie etwas flexibler sein.
In einer Ausnahmesituation weiterhin so gut zu funktionieren, wie es die Forschenden und Studierenden aus der Ukraine hier in Saarbrücken tun, bleibt für Mitarbeitende der UdS beeindruckend. Bei all den Unklarheiten ist für Heike Savelkouls-Diener jedoch eines klar: „Ich glaube, egal wie es ausgeht: Dieses Volk wird nicht untergehen. Die werden es schaffen, sich selbst zu behaupten."