Die Deutsche Meisterschaft hat er mit dem Titelgewinn abgehakt, jetzt geht es für Ringer Etienne Kinsinger um die Teilnahme an der WM. Ist auch die eingetütet, rücken die Olympischen Spiele 2024 in den Fokus des 25-Jährigen.
Der Blick von Etienne Kinsinger ging schon kurz nach der Deutschen Meisterschaft nach vorne. Der saarländische Weltklasse-Ringer vom KSV Köllerbach war Ende Mai gerade erst Deutscher Meister im griechisch-römischen Stil in der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm geworden, da rückte schon der Große Preis von Deutschland in den Fokus. Beim German Masters, das am 24. und 25. Juni in Waldaschaff über die Bühne geht und das wie die Deutsche Meisterschaft nach zwei Jahren Corona-Zwangspause erstmals wieder stattfindet, will sich Kinsinger für die Nominierung zur Weltmeisterschaft Mitte September in der serbischen Hauptstadt Belgrad empfehlen – dann allerdings in der 60- Kilogramm-Klasse.
Nimmt die DM nicht auf die leichte Schulter
„Jedes Turnier ist eine Herausforderung. Auch bei Deutschen Meisterschaften muss man sich erst einmal durchsetzen. Von daher habe ich das natürlich nicht auf die leichte Schulter genommen", sagt Kinsinger zu seinem vierten nationalen Meistertitel bei den Herren. Zumal er die Gegner teilweise schon lange kennt und ihnen regelmäßig, auch im Training und bei Lehrgängen, auf der Matte gegenübersteht. Souverän wurde der Olympia-Teilnehmer von Tokio 2021 in Frankfurt (Oder) seiner Favoritenrolle gerecht.
Bei der Deutschen Meisterschaft 2019, der letzten vor der Corona-Pause, unterlag der Saarländer noch im Finale Christopher Kraemer. „Wichtig ist, dass ich im August, September meine Topform erreiche", betont Kinsinger und weiß, dass er bis dahin weiter an den Grundlagen, auch den konditionellen, aber auch an der Technik arbeiten muss. Denn auch das übernächste Ziel ist schon in Sichtweite: Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris. „Es ist jetzt nicht so, dass ich die Tage zähle und nach dem Aufwachen sage: ‚Boah, jetzt nur noch 763-mal schlafen‘", sagt Etienne Kinsinger dazu. „Allerdings ist das Ziel, sich dafür qualifizieren zu wollen, immer im Hinterkopf", gibt er zu.
Der Trainingsplan des 25-jährigen Bundesliga-Ringers des KSV Köllerbach orientiert sich zwar grundsätzlich immer an den Olympiazyklen. So war es auch vor seinen ersten Olympischen Spielen in Tokio 2021, wo er den elften Platz belegte. Allerdings fanden die aufgrund der Corona-Pandemie ein Jahr später statt als ursprünglich geplant, was den aktuellen Zyklus verkürzte. Jedenfalls stehen vorerst die aktuellen Zwischenziele im Vordergrund. Und die lauten: Starke Leistungen zeigen und gute Platzierungen bei den German Masters und der WM einfahren.
Nur so kann Etienne Kinsinger Bundestrainer Michael Carl zeigen, „dass man mit mir rechnen muss und dass ich einer bin, den man ab 2023 auf die Qualifikationsturniere schicken kann. Wer in einem Jahr trödelt, wird im nächsten eine schlechtere Ausgangsposition haben. So einfach ist das", bringt es Kinsinger auf den Punkt.
Verschärft wird dies durch die wegen der Corona-Pandemie verkürzte Vorbereitungszeit von nur drei statt vier Jahren. „Normalerweise ist das erste Jahr nach Olympischen Spielen eine Art Übergangsjahr, bevor es wieder in die Vollen geht. Aber das ist dieses Mal weggefallen", erklärt der Sportsoldat und stellt klar: „Das heißt: Schon in diesem Jahr gilt es, alles zu geben und nichts zu verschlafen."
Ob der verkürzte Zyklus eher ein Vor- oder doch eher ein Nachteil ist, vermag er nicht abzuschätzen. Einerseits sind die Erinnerungen an seine erste Olympiateilnahme noch präsent, andererseits bleibt eben weniger Zeit, sich auf die nächste vorzubereiten. „Ich nehme es so, wie es ist. Was anderes bleibt mir eh nicht übrig. Das war ja schon bei der Verlegung der Spiele in Tokio so", sagt er und betont: „Gerade beim Ringen hängt vieles von der Tagesform ab. Und ob man davor drei oder vier Jahre geackert hat, ist in dem Moment völlig egal. Jedenfalls ist es für mich kein großes Problem, einfach weiter Gas zu geben."
Ein echter Musterschüler des Sports an der Saar
Pragmatismus und Zielstrebigkeit sind nur zwei Eigenschaften, die den Musterschüler des Saarsports auszeichnen. Die Erfolge sprechen für sich: Schon im Nachwuchsbereich hatte Etienne Kinsinger schon so einiges erreicht. 2013 wurde er Kadetten-Weltmeister, 2016 Vize-Weltmeister der Junioren. 2014 wurde er zum ersten Mal Deutscher Meister bei den Herren. „Die Motivation, in Paris mit dabei zu sein, ist natürlich riesengroß. Erstens wegen der Nähe zu meiner Heimat und zweitens habe ich ja schon spüren dürfen, was es bedeutet, bei Olympischen Spielen an den Start zu gehen. Das ist was ganz Besonderes", berichtet Kinsinger und ergänzt: „Und das war noch unter Quarantäne-Bedingungen. Ich weiß also, dass ich noch gar nicht alles erlebt habe, was Olympia so zu bieten hat."
Um das zu erfahren, muss er in diesem und im nächsten Jahr alles aus sich herausholen und im Zweifelsfall kreativ werden: Im letzten Qualifikationsturnier für die Spiele in Tokio musste er sich erstmals in seiner Karriere für ein Herren-Finale qualifizieren. Genau 13 Sekunden vor dem Schlussgong im Halbfinale der Klasse bis 60 Kilogramm Griechisch-Römisch lag Kinsinger gegen Europameister Murad Mammadov aus Aserbaidschan mit 1:3 in Rückstand, als er zum sogenannten Eichhörnchen-Sprung ansetzte. Eine so seltene wie spektakuläre Technik, bei welcher der Gegner aus dem Stand übersprungen, umklammert und mithilfe des Flugschwungs umgerissen wird. Damals hatte es geklappt. „Es wird immer wichtig sein, im richtigen Moment den Killerinstinkt auf die Matte zu bringen. Dem Gegner zeigen, dass man sehr präsent ist und immer noch eine Schippe drauflegen kann", weiß Kinsinger, für den auch der Weg nach Paris kein Spaziergang wird. Aber vielleicht gelingt es Kinsinger dieses Mal, ihn nicht erst auf den allerletzten Drücker zu beschreiten. Sonst muss wieder das Eichhörnchen herhalten.