Die Inflationsrate liegt bei fast acht Prozent, die Teuerungsrate für Lebensmittel ist rund dreimal so hoch. Das Gespenst einer Inflation weckt offensichtlich eine Urangst.
Es ist eine Szene, wie sie sich in deutschen Küchen in den letzten Wochen öfters abgespielt haben dürften: Ein junge Frau stutzt, als sie nach dem Einkauf ihre Erdbeeren in ihre Kühlschrankdose umfüllt. Da passen immer genau 500 Gramm rein. Doch heute wird die Dose nicht voll, obwohl die Frau doch im Supermarkt wie immer die 500-Gramm-Verpackung gegriffen hatte. Eine gute Hausfrau hat selbstverständlich immer eine Küchenwaage zur Hand – und tatsächlich: 304 Gramm Erdbeeren in der 500-Gramm-Packung. Doch der Preis pro Packung war trotzdem um einen Euro höher als noch vor drei Wochen, gleichzeitig ist jetzt weniger drin. Eine bekannte Methode, um Preissteigerungen zu kaschieren. Gerade jetzt, wo der Aufschrei bei den Verbrauchern wegen der stark gestiegenen Preise, unter anderem für Obst und Gemüse, groß ist.
Spätestens nach ihrem Osterurlaub bei unseren europäischen Nachbarn wurde vielen bewusst, dass irgendwas nicht mehr so richtig stimmt in Deutschland. Ob in Dänemark, Belgien, Frankreich oder Österreich, die Preise für Sprit und Lebensmittel lagen unter den hiesigen, und Speiseöl gibt es dort in Hülle und Fülle.
Drohende Preis-Lohn-Spirale
Warum nun ausgerechnet in den deutschen Supermärkten viele Grundnahrungsmittel fehlten, wurde mit dem Ukraine-Krieg, Lieferengpässen und Hamsterkäufen der Kundschaft begründet. Bedingt durch diese Engpässe seien auch die Preise stark angestiegen, Mangel und Nachfrage sind nun mal Preistreiber, so der Handelsverband. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Recherchen ergaben, dass fast alle Handelsketten auch massive Ausfälle bei der Transportlogistik zu verbuchen hatten. Viele Speditionen lehnten es schlicht und ergreifend ab, angesichts horrender Dieselpreise zu den alten vereinbarten Transportpreisen zu fahren. Frachtpreise wurden erhöht, und das selbstverständlich an die Kunden durchgereicht. Damit dürfte schon jetzt klar sein, dass die Preise für Dinge des täglichen Bedarfs weiter steigen werden. Der Handelsverband Deutschland stimmt schon mal auf weitere Preissteigerungen ein. Eine Umfrage des HDE unter mehr als 900 Handelsunternehmen hat ergeben, dass nicht nur die gestiegenen Lieferantenpreise für Preisdruck sorgen. In den nächsten Monaten laufen die Stromverträge für Gewerberäume aus. Für den HDE ist klar, dass die neuen Verträge mit den Energieversorgern wesentlich höhere Abschläge beinhalten werden. Auch die höheren Stromkosten landen selbstverständlich wieder bei der Kundschaft, die selbst spätestens im Herbst mit höheren Abschlägen für Strom und Gas rechnen muss.
Die Angst geht um, dass sich längst eine Preisspirale dreht, die am Ende kaum noch jemand bezahlen kann, selbst bei massivem Konsumverzicht. Und dann wird sich die Spirale weiter drehen: Steigen die Lebenshaltungskosten rasant an, dann fordern logischerweise die Gewerkschaften bei den anstehenden Tarifverhandlungen einen ordentlichen Lohn-Aufschlag als Inflationsausgleich. Die IG-Metall hat schon mal mit 8,2 Prozent auf ein Jahr vorgelegt, bei Verdi liegt man im Schnitt der Berufsgruppen bei sechs Prozent. Für die neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, sind die Lohnforderungen absolut verständlich, doch damit wird eines ihrer Herzensanliegen fast schon konterkariert: Der Zwölf-Euro-Mindestlohn. Gerade die SPD-Frau hat sich in den letzten Jahren immer wieder für die zwölf Euro stark gemacht, die nun ab September auch flächendeckend kommen. Ihr Parteifreund, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, jubelte bereits im Bundestag, dass es eine solche 22prozentige Einkommens-Erhöhung für die unteren Lohngruppen in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Das ist richtig. Allerdings wird es wohl Ende des Jahres auch einen gewaltigen Schub bei den Lebenshaltungskosten gegeben haben.
Acht Prozent Inflation sind ein rein statistischer Wert, der Kaufkraftverlust liegt bei mindestens dem Doppelten, wenn nicht Dreifachen, so das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW). Der Mindestlohn wird damit spätestens Ende des Jahres von der Teuerung vollständig aufgefressen sein. In einem Positionspapier der Linken im Bundestag wird bereits darüber gestritten, ob die neue Forderung beim Mindestlohn mit 14 oder doch gleich 15 Euro angegangen werden soll.
Wie ernst die Lage gerade für die unteren und mittleren Lohngruppen ist, bringt die stellvertretende Vorsitzende der Tafel Deutschland, Eva Fischer, auf den Punkt. Sie mahnte bereits Mitte Mai: „Viele der Berufstätigen ahnen heute noch gar nicht, dass sie vermutlich schon bald unsere Kunden sein könnten." Die Tafeln mussten in mehreren deutschen Großstädten im Frühjahr bereits ihr Angebot an Bedürftige einschränken, teilweise sogar halbieren. Ein Grund war unter anderem, dass die Spenden der Supermärkte im Frühjahr rapide zurückgegangen sind. Eva Fischer führt dies auch auf die Lieferengpässe zurück. Obendrein wurden in den sozial schwachen Quartieren die Tafeln geradezu überrannt. „Schuld waren hier selbstverständlich die Preissteigerungen beim Lebensnotwendigen". Aber auch der Kostendruck bei den Handelsketten könnte zum Spendenrückgang geführt haben. Alle gespendeten Lebensmittel müssen versteuert werden, sinken die Gewinnmargen, ist es für die Supermärkte und Discounter preiswerter, Essbares wegzuwerfen.
Wegwerfen billiger als Spenden
Mit der Aussicht auf weitere Preissteigerungen in den kommenden Monaten nicht nur bei Lebensmitteln, sondern vor allem bei Strom und Wärme, arbeitet nun die Bundesregierung an einem weiteren Entlastungspaket. In dem dann dritten Paket sollen vor allem Rentner, Studierende oder Auszubildende und Bezieher staatlicher Transferleistungen bedacht werden. Soweit der Plan, doch der scheitert bislang an Bundesfinanzminister Lindner. Klare Ansage vom FDP-Chef: Ein drittes Entlastungpaket kann nur geschnürt werden, wenn an anderer Stelle gespart wird. Lindner ist nicht bereit, weitere Schulden aufzunehmen, um sozial Schwache zu entlasten. Eine Lösung bräuchten aber gerade die, bei denen sich solche Entwicklungen besonders schmerzhaft bemerkbar machen, bei niedrigen Einkommen und zunehmend auch bei den unteren mittleren Einkommen. Insbesondere Familien mit Kindern können da einiges berichten.
Hier könnte sich Lindner vorstellen, an der Steuerschraube zu drehen. Allerdings nicht bei der Mehrwertsteuer auf Waren. Nach dem Debakel mit seinem Tankrabatt lehnt Lindner eine Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel ab, wie vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder gefordert. Die Gefahr ist zu groß, dass diese staatliche Gabe wieder nicht bei den Verbrauchern ankommt. Finanzminister Lindner hat eher die Anhebung der Steuerfreigrenze und des Eingangssteuersatzes im Visier. Doch auch diese Maßnahme steht unter Finanzierungsvorbehalt. An anderer Stelle im Bundeshaushalt 2022 müsste dann gestrichen werden. Gerade für die FDP wäre diese verdeckte Steuersenkung politisch wichtig, doch SPD und Grünen reicht dies nicht aus, sie wollen weiter mit der Gießkanne gerade auch die sozial Schwachen entlasten, die es spätestens dann im Herbst, aus ihrer Sicht, am Nötigsten haben.