Vom New York Philharmonic Orchestra mit Anne-Sophie Mutter über die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk bis hin zu den besten Musikern Estlands. Sie alle gastieren auf Usedom, das damit an seine lange Tradition als Künstlerort anknüpft.
Schon im 19. Jahrhundert war Usedom eine Insel, die Künstler inspirierte. Hier lebten und arbeiteten so einige Maler und Schriftsteller, auch Lyonel Feininger (1871-1956) war Usedom-Fan. Der Maler, der zu den bedeutendsten Vertretern der Klassischen Moderne zählt, verbrachte von 1908 bis 1921, als er seinen Hauptwohnsitz in Berlin hatte, seine Sommer auf der Insel. Seine erste Ankunft hat der Künstler dokumentiert. Auf seinem Skizzenblock notierte er am 17. Mai 1908: „Eingekehrt in einer der typischen Villen im Stil der Bäderarchitektur nahe des Strandes" und daneben zeichnete er (s)einen Fuß, der gerade die Heringsdorfer Strandpromenade betritt. Feininger strampelte regelmäßig auf seinem Fahrrad der Marke „Cleveland Ohio" auf Motivsuche über die Insel. „Ich befinde mich inmitten der Motive, die ich mag und die mich inspirieren", schrieb er über seinen Usedom-Aufenthalt an seine Frau. An einige seiner Lieblingsorte, wie die Kirche von Benz, kehrte er immer wieder zurück. Rund 80 Werke seiner Werke zeigen Usedomer Motive.
Maler im S-Bahn-Wagen
Der Maler Otto Niemeyer-Holstein hingegen, dessen Kunst von den Nazis als „entartet" gebrandmarkt wurde, wählte Usedom als Rückzugsort. 1933 segelte er mit seinem Boot „Lütten" von Berlin zu der Ostseeinsel, entdeckte eine einsame Stelle zwischen Achterwasser und Ostsee und ließ sich dort in einem ausrangierten Berliner S-Bahn-Wagen nieder. Im Laufe der Jahre baute er um den Bahnwagen, der auf einem Schiff nach Usedom transportiert worden war, ein Haus und wandelte das Brachland zu einem Pflanzenparadies und Skulpturengarten um. Heute ist Lüttenort, benannt nach Niemeyer-Holsteins Schiff, gleichzeitig Museum und Galerie.
Meeresluft gegen Bruderzwist
Die Liste der Schriftsteller, die auf Usedom die Ferien verbrachten, ist lang. Kurt Tucholsky prägte den Ausdruck von Usedom als der „Badewanne Berlins" und schwärmte davon, dass man die besten Flundern in Ahlbeck bekomme. Auch das schreibende Brüderpaar Heinrich und Thomas Mann weilte öfter auf der Insel. Heinrich Mann begann hier seinen Roman „Die große Sache" und Thomas Mann vollendete seinen „Zauberberg". Am 12. August 1924 schrieb er an seinen guten Freund und Schriftstellerkollegen Ernst Bertram: „Denn nie arbeitete ich reibungsloser und ergiebiger als nach der Morgenandacht am Meer". Und Heinrich Mann notierte in sein Notizbuch: „Wir haben den letzten Teil (des Sommers) in Heringsdorf verbracht, es war trostreich, ich glaube, wieder erholt zu sein." Offenbar war die frische Meeresluft nicht nur gut für die Inspiration und die Gesundheit der beiden Künstler, sie scheint auch beruhigend auf deren Nervenkostüm gewirkt zu haben – denn auf Usedom legten die beiden großen Schriftsteller ihren lange schwelenden Konflikt bei. Der war einst aus literarischer Konkurrenz entstanden, hatte aber bald den Weg ins Persönliche genommen. Jahrelang hatten Heinrich und Thomas Mann nicht miteinander geredet.
Fontane in die Sommerfrische, Gorki ins Exil
Theodor Fontane lebte als Kind auf Usedom und kam auch später immer wieder zur Sommerfrische hierher. In seinem Hauptwerk „Effi Briest" porträtierte er Swinemünde unschwer erkennbar als „Kessin". 1863 schrieb er von einem Inselurlaub an seine Frau: „Man hat Ruhe und frische Luft und diese beiden Dinge erfüllen Nerven, Herz und Lungen mit einer stillen Wonne".
Die Ostseeluft war auch perfekt für Maxim Gorki, der den Sommer 1922 in Heringsdorf verbrachte und seine Tuberkulose auskurierte. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Vielmehr hatte Lenin den Schriftsteller mit Nachdruck zu einem Aufenthalt im Ausland gedrängt. Gorki war zwar ein glühender Verfechter der kommunistischen Idee, sparte aber trotzdem nicht mit Kritik am Revolutionsführer. Lenin mochte aber keinen Widerspruch und komplementierte seinen Freund weg ins Ausland, zu einer Reise, die nach dem Aufenthalt in Heringsdorf noch lange weiterging, und erst 1927 mit der Rückkehr in die Sowjetunion endete. Während der Monate in Heringsdorf arbeitete Gorki an „Meine Universitäten", dem dritten Teil seiner Autobiografie und bekam Besuch von seinen beiden Künstlerfreunden, dem Schriftsteller Alexei Graf Tolstoi und dem Opernsänger Fjodor Schaljapin. Heute kann man deren einstige Wohn- und Arbeitsräume in der Villa Irmgard besichtigen, die teilweise noch mit dem Originalmobiliar ausgestattet ist. Neben dem Andenken an den großen Schriftsteller widmet sich die Ausstellung als Heimatmuseum der Geschichte Heringsdorfs.
Literaturgrößen auf der Insel
Vielleicht war Gorki während seines Aufenthalts in Heringsdorf zufällig auch dem jungen Hans Werner Richter begegnet. Der Schriftsteller kam 1908 im Nachbarort Bansin zur Welt. 1947 rief er die „Gruppe 47" ins Leben, wobei die Zahl für das Jahr des ersten Treffens steht. Bald schon wurden die Treffen der Großen der deutschen Nachkriegsliteratur zum wichtigsten literarischen Event des jeweiligen Jahres. Auch die späteren Nobelpreisträger Heinrich Böll und Günter Grass stellten sich mit ihren frühen Werken der ob ihrer Schonungslosigkeit berüchtigten Kritik der „47er". Richter veröffentlichte aber auch selbst. In seinen Werken „Spuren im Sand" (1953) und „Geschichten aus Bansin" (1982) setzte er seiner Heimat ein durchaus lesenswertes Denkmal. Dem Vergleich mit den Werken der anderen Gruppenmitglieder hielten seine Bücher aber nicht stand. Richters Verdienst besteht vor allem darin, die wichtigsten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsliteratur zusammengebracht zu haben. Die Gemeinde Bansin hat ihrem berühmtesten Sohn in einem alten Feuerwehrhaus ein kleines Museum gewidmet. Im dortigen „Günter-Grass-Zimmer" hängen zwölf Originalzeichnungen des Nobelpreisträgers, auch Teile des Nachlasses der aus Ahlbeck stammenden Publizistin Carola Stern sind dort ausgestellt.
Literaturtage und Musikfestival
An die literarische Tradition der Insel knüpfen seit 2009 die Usedomer Literaturtage an, bei denen Jahr für Jahr die wirklich Großen der Gegenwartsliteratur zu Gast sind. Neben den Literaturnobelpreisträgerinnen Olga Tokarczuk, Swetlana Alexijewitsch und Herta Müller waren in den vergangenen Jahren unter anderem Donna Leon, Martin Walser und Hans Magnus-Enzensberger Stars der Veranstaltungsreihe. Auch die musikalische Geschichte der Insel – unter anderem logierte Johann Strauß 1889 in der Villa Anna in Heringsdorf und Engelbert Humperdinck war 1906 Gast im Strandhotel – schreibt man auf Usedom fort. Jedes Jahr im Herbst lädt man zu einem mehrwöchigen Musikfestival ein.