Vor 125 Jahren wurde das Riesenrad in Wien in Betrieb genommen. Mit ihm drehte sich immer auch die österreichische und europäische Geschichte. Es ist ein Wahrzeichen der Stadt, bei den Wienern beliebt, ein Touristenmagnet und war Filmkulisse. Das wird am 25. Juni gefeiert.
Die haben sich um einige Jahrzehnte verpasst: Sisi, Harry Lime, James Bond und Carlo Flah. Wobei es zwischen Carlo Flah und dem Doppelnull-Agenten im Dienste Ihrer Majestät vergleichsweise knapp war. 1987 spürte Timothy Dalton als James Bond am Wiener Riesenrad den „Hauch des Todes". Ein Jahr später begann dort für Carlo Flah ein neues Leben. Seitdem steuert er das 64,75 Meter hohe und 430 Tonnen schwere Konstrukt und öffnet den Besuchern mit einem charmanten Lächeln die Türen zu den Waggons.
„Waggons!", betont Dorothea Lamac, „das sind keine Gondeln, denn der Erbauer war Eisenbahner." Dorothea Lamac ist die Besitzerin des Riesenrads. 80 Prozent der Unternehmensanteile gehören ihr. Jeweils zehn Prozent hat sie ihren Töchtern Nora und Teresa übertragen. „Das Riesenrad war immer in Privatbesitz", betont Dorothea Lamac. Als ihr Großvater, der Wiener Rechtsanwalt Karl Lamac, das Riesenrad in den 50er-Jahren kaufte, habe er es zweimal der Stadt Wien angeboten, versichert sie. „Er wollte sich nicht sagen lassen, dass er es der Stadt weggekauft hat. Die Stadt hatte damals aber kein Interesse", erzählt sie. „Wir sind eine Anwaltsfamilie. Und uns gehört das Riesenrad. Wir durften das als Kinder niemandem sagen, aber dass es uns gehört war immer ein gutes Gefühl und macht mich stolz." Das Riesenrad mit all den großen Gefühlen an die vierte Generation weitergeben zu können, sei wundervoll, sagt die Frau, die in diesem Jahr 63 Jahre alt wird und ihren Beruf als Anwältin schon eine Weile aufgegeben hat.
In vierter Generation in Privatbesitz
Auch wenn das Riesenrad wirtschaftlich gesehen immer eine Privatangelegenheit war, dreht sich mit ihm auch ein Teil der österreichischen und europäischen Geschichte. Errichtet wurde es zu Ehren von Kaiser Franz Josef I., der am 3. Juli 1897 in Begleitung von Kaiserin Sisi in den Prater kam, um dieses Bauwerk, gewidmet seinem bevorstehenden 50. Thronjubiläum, seiner Bestimmung zu übergeben. Die kaiserliche Feierlaune sei ein willkommener Anlass gewesen, das Riesenrad zu bauen, sagt Dorothea Lamac, aber nicht der einzige Grund. Der Prater habe dringend eine neue Attraktion gebraucht. Geplant, finanziert und gebaut wurde dieser neue Publikumsmagnet von den englischen Ingenieuren Walter Basset und Harry Hitchins nach einer Idee des Österreichers Gabor Steiner. Nach Steiner ist heute der Weg benannt, der in den Prater zum Riesenrad führt.
1916, während des Ersten Weltkriegs, wurde der britische Eigentümer Walter Basset enteignet. Im selben Jahr starb der Kaiser – und nur wenig später auch die Monarchie. 1918 musste Franz Josefs Nachfolger, Karl I., als letzter österreichischer Kaiser abdanken. Und fast wäre auch die Zeit des Riesenrads abgelaufen. Denn der Prager Kaufmann, der das Riesenrad ersteigert hatte, wollte es abreißen lassen. „Er wollte am Verkauf des Schrotts verdienen. Aber die Abtragungskosten waren so hoch, dass es dann doch nicht abgerissen worden ist", weiß Dorothea Lamac.
Der Kaufmann aus Prag verpachtete das Riesenrad, wurde aber 1938 ebenfalls enteignet, als es wieder kriegerisch wurde in Europa: Die Nazis „arisierten" das Unternehmen. Im selben Jahr wurde das Riesenrad unter Denkmalschutz gestellt. Ein Status, der im Zweiten Weltkrieg keinerlei Schutzwirkung hatte. Das Riesenrad brannte nieder. Nach dem zweiten großen Krieg wurde es zum Symbol des Neuanfangs – mit nur noch 15 statt der bisher 30 Waggons, weil man der Statik nicht mehr traute. „Schon 1947 wurde es wieder aufgebaut, weil der Wiener sein Riesenrad so geliebt hat", sagt Lamac.
Als Graham Greene und Carol Reed im Oktober 1948 mit den Dreharbeiten zu ihrem Film „Der dritte Mann" begannen, lagen große Teile Wiens noch in Trümmern. Das Riesenrad drehte sich aber schon wieder und diente als Kulisse für die „Kuckucksuhr-Rede", in der Orson Welles als Harry Lime europäische Geschichte – nicht korrekt, was die Verortung der Kuckucksuhr angeht – so erklärt: „In Italien, in den 30 Jahren unter den Borgias, hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe. 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!"
Etwa 950.000 Besucher kommen jährlich
„Der dritte Mann" spielt für Lamac auch heute in der Werbung fürs weltweit älteste Riesenrad dieser Größe noch eine Rolle. Das Konterfei von Orson Welles ist über den Eingang zum Kassenfoyer gemalt. Und wer in der telefonischen Warteschleife des Unternehmens landet, hört die im Film von Anton Karas auf der Zither gespielte Filmmusik. Als James Bond vier Jahrzehnte nach Harry das Riesenrad zur Kulisse eines international erfolgreichen Films machte, war der Prater schon längst wieder eines der bekanntesten Amüsierviertel Europas und für die Österreicher ein Symbol für den neu entstandenen Wohlstand.
Wobei die Österreicher nicht den Hauptteil der jährlich rund 950.000 Riesenradbesucher stellen. Bei den deutschen Touristen ist das Riesenrad am beliebtesten, sagt Dorothea Lamac. Es folgen in der Besucherstatistik die Italiener, die Tschechen und Slowaken. „Wer nicht mit dem Riesenrad gefahren ist, der war nicht richtig in Wien", behauptet Lamac. Für die Wiener sei das Riesenrad allerdings auch „eine Tradition, die bewegt". Aber für die meisten auch nur einmal im Leben: Zur Firmung drehe man mit den Kindern eine Runde in einem Riesenrad-Waggon.
Vor einigen Jahren wurden die Waggons erneuert, wieder mit den historisch korrekten sechs Fenstern an jeder Längsseite. Außerdem sind die Waggons nun klimatisiert. Man müsse den Kunden etwas bieten, erklärt Lamac. Dazu gehört, dass man die Kabinen unter anderem für ein romantisches Abendessen zu zweit und sogar für eine Übernachtung buchen kann. So eine Fahrt mit gemütlichen 2,7 Kilometern pro Stunde sei „großartig, eine Entschleunigung", schwärmt Lamac. Mindestens einmal die Woche gönne sie sich das. Aber viele Besucher kommen eben nicht der Entschleunigung wegen in den Prater.
125 Jahre Geschichte in einen Tag gepackt
Sie möge eigentlich keine solchen Fremdwörter, aber um neue Zielgruppen zu erreichen, habe man sich etwas überlegt, das für einen „Adrenalinkick" sorgt, sagt die Chefin. Auf einer Glasplatte, die zwischen zwei Waggons eingehängt wurde, können Wagemutige eine Runde mit dem Riesenrad drehen – ohne Geländer, nur gesichert mit Bergsteiger-Geschirr, das an der Oberseite der Glasplattform eingeklinkt wird. Eine gute Investition in die Zukunft, findet Lamac.
Nun wird aber erst mal die Vergangenheit gefeiert. Doch nicht am 3. Juli, dem Jahrestag des kaiserlichen Besuchs. Das große Fest war bereits am 25. Juni, dem Tag, an dem sich das Riesenrad zum ersten Mal gedreht hat, damit man die letzten Waggons einhängen konnte. Man habe sich für dieses Fest einiges ausgedacht. Unter anderem verkörperten Schauspieler bekannte Wiener Persönlichkeiten. Falco war zum Beispiel auf diese Weise dabei. Und Carlo Flah konnte auch Sisi die Tür zu einem Waggon öffnen. Diesmal verpasste sich also niemand, denn 125 Jahre schrumpften auf einen Tag zusammen.