Laut einer Studie liest jeder Vierte vor dem Einschlafen
Der im vorigen Jahr verstorbene deutsch-amerikanische Schlager-Troubadour Bill Ramsey hat über den Tod hinaus recht behalten: „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett" hieß sein Erfolgs-Hit des Jahres 1962, der zudem einer mäßigen Filmkomödie den Titel gab. Kritik: „Unterhaltung auf unterstem Niveau, die auch durch ein paar platte Schlager nicht zu retten ist." Die seichte Handlung war als Garnitur für den Titelschlager drapiert worden, angereichert mit Publikumslieblingen wie Heinz Erhardt, Harald Juhnke, Karin Dor und Edith Hancke. Später haben Rainhard Fendrich und die Sängerin Dodo Hug den Ramsey-Titel adaptiert, wobei Hug den Spieß umdrehte und „Ohne Krimi geht der Jimmy nie ins Bett" trällerte.
Jetzt hat eine der Onlineumfragen des Instituts Ipsos belegt, dass die meisten Befragten – nämlich ein Viertel – fürs Einschlafen ein Buch mit ins Bett nehmen. Also kein Schäfchen-Zählen, kein Einschlaf-Spray und kein Baldrian, sondern irgendwie geartete Literatur. Dabei ist natürlich zu bedenken, dass die Schlafmuster je nach Kulturkreis sehr unterschiedlich sind. Nomaden schlafen nach aller Erkenntnis auch am Tag mehrmals und sind nächtens aktiv. Bei Völkern, die Ackerbau betreiben, wechselt der Schlafrhythmus sogar mit der Jahreszeit. Das Lesen ist – fundiert durch Forschungsergebnisse – im Reich der Agrikultur ohnehin nicht weit verbreitet.
Der eine schläft auf dem kahlen Fußboden recht gut ein, die andere muss mit Tüchern oder einer Matratze vorliebnehmen. Wer zum Beispiel in Japan einen landesüblichen Ryokan anstelle eines westlichen Hotels als Unterkunft wählt, muss auf ein Bett verzichten, weil am Boden Abend für Abend eine karge Liegestatt bereitet wird.
Doch es lohnt ein Blick zurück zu den alten Römern und deren Schlafkultur. Beim Lesen, Schreiben und Essen nutzten sie das Lectulus, ein Mini-Bett. Bei größeren und längeren Gelagen lümmelten sie sich – wie in berühmten Historien-Schinken filmisch dargestellt – auf sofaähnlichen Unterlagen, Triclinium genannt. Die Patrizier konnten sich im alten Rom in ihren Häusern Räume leisten, die abgetrennt und abgeschirmt waren und durchaus als Schlafzimmer zu bezeichnen wären. Das übernahmen später Fürsten und Könige. Ludwig XIV. pflegte von seinem Bett aus zu regieren.
Bis ins 20. Jahrhundert wurden jedoch Schlaf und auch die Schlafräume mit Faulenzertum und Arbeitsscheu gleichgesetzt, sodass tatsächlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg das angestammte Bett jedes Einzelnen zum akzeptierten Allgemeingut wurde. Daher konnten dann Ramsey und Kombattanten 17 Jahre nach 1945 trotz mancher Widersprüche das Lesen als probates Einschlafmittel propagieren.
Dennoch bleiben der Schlaf und die Schlafgewohnheiten plus Schlafbekleidung bei uns eine nahezu intime Privatsache. Dadurch gibt es nur wenige Studien oder Statistiken darüber. Das Möbelhaus Ikea hat im Jahr 2018 nach der Schlafbekleidung gefragt. 22 Prozent nannten den Pyjama – zwölf Prozent antworteten: „Nichts" und stützten damit offenbar jene mehr oder weniger seriösen Publikationen, die behaupten, nackt schlafen führe zu Gewichtsabnahme oder verhindere Diabetes.
Übereinstimmend klingt bei Wissenschaftlern und solchen, die es sein wollen, jedoch der Chor, wenn es um die Vorzüge und die Notwendigkeit des Schlafes geht: „Schlaf ist Fürsorge für sich selbst" heißt es da – oder „Wer besser schläft, ist länger wach".
Viele nehmen, wie wir jetzt wissen, fürs Einschlafen den Krimi oder eben einen zielführenden Text, andere starren aufs Smartphone oder lassen sich vom Fernsehprogramm einlullen. Nicht zuletzt heißt das Wiegenlied im Englischen „Lullaby".
Wie dem auch sei, Bill Ramsey ist rehabilitiert. Denn ein Jahr nach Ramseys Mimi-Hit hatte die weit weniger erfolgreiche Sängerin Dany Mann gemeinerweise einen Antwortsong auf den Mimi-Song mit dem provokanten Text „Ich lese abends keinen Krimi" auf den Schlagermarkt geworfen.