Auf dem Höhepunkt seiner Karriere wurde Gianni Versace, einer der schrillsten und genialsten Modeschöpfer überhaupt, am 15. Juli 1997 in Miami vor seiner Haustür brutal ermordet. Versace pflegte sich stets im Stil eines Renaissance-Fürsten oder Sonnenkönigs zu inszenieren.
Schon wenige Stunden nach dem grausamen Verbrechen vom 15. Juli 1997 war eine riesige Schockwelle über die Welt des Glamours und der Mode hinweggeschwappt. Wie fast jeden Morgen hatte Gianni Versace, der damals 50-jährige Kultdesigner des internationalen Jet-Sets, einen kleinen Spaziergang zu seinem Lieblingslokal im mondänen Miami unternommen, um sich dort nach einem Tässchen Kaffee mit den aktuellen Tageszeitungen zu versorgen. Gegen 8.30 Uhr war er bei wunderbarem Wetter mit blauem Himmel und leichter Meeresbrise wieder vor seinem imposanten, strahlend-weißen, dreistöckigen Anwesen „Casa Casuarina" am berühmten Ocean Drive 1116 angekommen und hatte nach Durchschreiten des Gittertores, das die Villa von der Uferpromenade abtrennte, die ersten Schritte auf der zur Eingangspforte führenden Marmortreppe zurückgelegt.
Weiter sollte er nicht kommen. Von zwei Kugeln in den Hinterkopf getroffen, die ein auf der anderen Straßenseite hinter Büschen verborgener Attentäter abgegeben hatte, sackte er tot zu Boden. Bei diesem handelte es sich um den 27-jährigen homosexuellen Callboy Andrew Cunanan, der im gleichen Jahr schon vier weitere Männer ermordet hatte und daher vom FBI als Serienkiller auf die Liste der meistgesuchten Gewalttäter gesetzt worden war. Als der durch die Schüsse alarmierte Antonio D’Amico, der mit Versace seit 15 Jahren fest liiert war, die Treppenstufen erreichte, war der Mörder längst über alle Berge. Cunanan konnte zwar vom FBI gut eine Woche später aufgestöbert werden, seiner Festnahme entzog er sich allerdings durch Suizid. So blieben die Beweggründe für sein brutales Handeln im Dunkeln.
„Es ist Die Pflicht, Regeln zu brechen"
Die Gedenkmesse für Versace im Mailänder Dom glich einem Staatsakt. 2.000 Trauergäste erwiesen dem schon zu Lebzeiten legendären, gutaussehenden und mit seinem Reichtum ganz offen protzenden Modeschöpfer die letzte Ehre. An der Spitze der Trauergäste Promis wie Prinzessin Diana, Pop-Star Elton John, Chanel-Ikone Karl Lagerfeld oder Versaces einziger echter italienischer Designer-Rivale Giorgio Armani.
Auch wenn es ziemlich kitschig-klischeehaft klingen mag, so lässt sich Versaces Leben in Kurzform doch wie ein modernes Märchen zusammenfassen: vom kleinen Aushilfsschneider in der süditalienischen Provinz zum berühmten, visionären Modezar in der Glamour-Metropole Mailand. Zwar hatte es vereinzelt auch kritische Stimmen gegeben, die Versaces schrill-farbenfrohe, vor Sinnlichkeit und Sexualität strotzenden Kreationen, bei deren Anblick sich die Gedanken leicht eher Richtung Ausziehen statt Ankleiden verirren konnten, als vulgär und frauenfeindlich deklariert hatten. Die einflussreiche britische Modekritikerin Suzy Menkes von der „International Herald Tribune" konnte sich mit dieser Meinung gegen ihre Konkurrentin Anna Wintour von der amerikanischen „Vogue" nicht durchsetzen. Letztere feierte Versace vielmehr für seine extravaganten Designs, seine pompöse Dekorationsflut, die opulenten Prints und die grelle Farbgebung.
Mit dem Kopf der Medusa als Markenzeichen leitete Versace Ende der 1970er-Jahre ein neues Modezeitalter ein. Nach den mit einem expliziten Weltbild aufgeladenen Klamotten der Hippies oder Punker konnte Versace, der wegen seiner schier lodernden Arbeitswut und seinen funkelnden Kreationen häufig auch als „couturier flamboyant" bezeichnet wurde, die weit verbreitete Sehnsucht nach einer spielerischen, allein auf Spaß ausgerichteten Mode stillen. Bei seinen Entwürfen legte er sich keinerlei Schranken auf: „Ich denke, es liegt in der Pflicht eines Designers", sagte Versace einmal, „zu versuchen, Regeln und Grenzen zu brechen."
Lange vor Tom Ford, der Gucci damit in den 1990er-Jahren wiederbeleben konnte, hatte Gianni Versace das Motto „Sex sells" von Anfang an zu einer seiner wesentlichen Leitlinien erhoben. Damit grenzte er sich ganz bewusst von seinem stilistisch auf asketische Eleganz setzenden Landsmann Giorgio Armani ab. „Armani zieht die Ehefrau an, Versace die Geliebte" – dieser Satz machte in Modekreisen bald die Runde. Versace soll es Armani gegenüber noch weitaus drastischer ausgedrückt haben: „Weißt du, ich kleide die Nutten ein und du die Betschwestern."
Versace entwickelte auf der schmalen Kammlinie zwischen Geschmack und Anstößigkeit einen unverkennbaren Stil, wobei er Übertreibungen regelrecht zelebrierte. Kein anderer trieb es mit dekorativen Details so auf die Spitze wie Versace, der geradezu besessen war von Nieten, Zierriemen, Couture-Sicherheitsnadeln, goldenen Medusa-Knöpfen, Gliederketten oder Schnallen. Und niemand hatte Textilien in solch laute Farben getaucht. Bei den Prints mixte Versace geradezu wild Motive aus dem italienischen Barock und der griechischen Antike mit Zeitgenössischem wie der Pop Art samt Konterfeis von Marilyn Monroe oder James Dean. Und allgemein führte er der verblüfften Modewelt vor, wie wenig Stoff beispielsweise bei seinen Medusen-Hotpants oder Lolita-Röckchen eigentlich nötig ist, um eine Frau damit anzukleiden. Sein Verdienst war es auch, die in der High Fashion bis dahin verpönte Jeans auf dem Laufsteg salonfähig zu machen.
Erste Präsentation in Provinznest
Zu Versaces berühmtesten Entwürfen zählten das „Oroton-Kleid" von 1982, das dank eines eigens entwickelten, Metalldurchwirkten Materials wie flüssiges Gold funkelte, ein mit psychedelischen Drucken geschmücktes Hemd von 1989 oder ein von der SM-Szene inspiriertes Kleid aus der skandalumwitterten Bondage-Kollektion des Jahres 1992. Versace gilt nicht nur als modisches Kreativ-Genie, sondern er revolutionierte die Branche auch durch innovatives Marketing. So läutete er Anfang der 1990er-Jahre die Ära der Supermodels ein, indem er Schönheiten wie Linda Evangelista, Claudia Schiffer oder Naomi Campbell exklusiv dank hoher Gagen für sein Label auf dem Catwalk stolzieren ließ. Und er hatte als Erster erkannt, dass sich der Bekanntheitsgrad seines Brands durch Promis, die bei den häufig wie Rockkonzerten konzipierten Shows in der Front Row platziert wurden, durch die Verpflichtung von Stars wie Madonna als Werbefiguren oder durch das Gestalten von Bühnen-Outfits bekannter Musiker wie Elton John deutlich erhöhen ließ.
Giovanni Maria „Gianni" Versace wurde am 2. Dezember 1946 in Reggio Calabria als Sohn eines Haushaltsgeräteverkäufers und seiner ein eigenes Schneideratelier samt angeschlossener Boutique betreibenden Mutter Francesca geboren. Von Kind an schaute er seiner Mutter beim Nähen über die Schulter, absolvierte nach dem Abitur eine Schneiderausbildung im heimischen Umfeld, kümmerte sich um den Stoffeinkauf des Familienunternehmens und begann schließlich ein Architekturstudium, das er jedoch ohne Abschluss 1968 zugunsten einer Tätigkeit als freier Designer für diverse italienische Modehäuser abbrach.
1972 verlegte er seinen Wohnsitz nach Mailand, wo er in den folgenden Jahren für die längst vergessenen Labels Callaghan, Genny und Complice arbeitete. Noch bevor er 1978 zusammen mit seinem älteren Bruder Santo seine eigene Marke Versace in Milano gründete, konnte er seine Entwürfe unter Mitwirken von Star-Model Jerry Hall im Januar 1978 erstmals im westfälischen Provinznest Lippstadt präsentieren, wo der seinerzeit sehr erfolgreiche Textilhändler Albert Eickhoff ein exklusives Modegeschäft geführt hatte. Ein Jahr später stand schon die erste Prêt-à-porter-Show an, zudem eröffnete Versace seine erste Boutique in Mailand. Nach seinem modischen Durchbruch in den 1980er-Jahren entwarf Versace auch Kostüme für berühmte Opern- und Balletthäuser. 1985 wurde ihm die große Ehre zuteil, dass er als erster Modeschöpfer überhaupt seine Kreationen im Londoner „Victoria und Albert Museum" vorstellen durfte.
Schwester neue Chef-Designerin
1989 gründete er die preisgünstigere Zweitlinie „Versus", die von seiner Schwester Donatella betreut wurde. Im gleichen Jahr wagte Gianni mit seinem „Atelier Versace" den Schritt in die kostenintensive Haute Couture und nahm ab 1990 an den prestigeträchtigen Pariser Haute-Couture-Shows teil. An die Seite der Damenmode hatte sich eine Menswear-Kollektion gesellt, bei der er den Herren der Schöpfung die Pastellfarben schmackhaft machen wollte. Das Versace-Imperium wurde immer größer, weil sich auch Parfüm, Schmuck, Uhren, Geschirr oder extravagante Einrichtungsgegenstände bestens dank des Medusa-Logos verkaufen ließen.
Nach Giannis Tod übernahm Donatella die Position der Chefdesignerin, in seinem Testament hatte Versace seine damals elfjährige Nichte Allegra zur Haupterbin mit einem Unternehmensanteil von 50 Prozent eingesetzt, während sich Santo mit 30 Prozent und Donatella mit 20 Prozent begnügen mussten. 2018 wurde Versace für 2,2 Milliarden Dollar von der Michael Kors Holding übernommen.