In Brüssel tummeln sich nicht nur Nationalvertretungen, sondern auch schon seit vielen Jahren Regionalvertretungen, um ihre Belange auf europäischer Ebene zu verdeutlichen. David Lindemann, Chef der saarländischen Staatskanzlei, über die Aufgaben der Brüsseler Dependance.
Herr Lindemann, wie kam es denn eigentlich zu der Gründung der SaarlandVertretung in Brüssel?
Das ist ein Prozess, der in den Achtzigern losgegangen ist. Die Länder haben sich im Zuge der fortschreitenden europäischen Integration zunehmend eigene Möglichkeiten zur Repräsentation, abseits der Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland, gewünscht. So hat es dann schrittweise die Entwicklung gegeben, dass sich jedes Land eine eigene Vertretung mit eigenem Büro zugelegt hat. Das wurde am Anfang noch kritisch vom Bund beäugt, weil es eigentlich keine Außenvertretung der einzelnen Länder geben kann. Mittlerweile ist es aber gute Praxis im Föderalismus, dass jedes Land in unterschiedlichen Organisationsformen in Brüssel vertreten und präsent ist. Das Saarland war dabei ein Vorreiter und noch vor Hamburg als erste regionale Vertretung aus Deutschland in Brüssel präsent.
Mittlerweile gibt es über 200 Regionalvertretungen in Brüssel. Was macht denn so eine Vertretung genau?
Die Vertretung hat zwei zentrale Funktionen: Das ist einmal das Monitoring, also ein Frühwarnsystem über europäische Projekte, Gesetzesvorhaben, Fördertöpfe und alles, was sich in Brüssel und in der EU insgesamt abspielt. Weiterhin gibt es eine zweite Funktion, die sich mit Lobbying beschreiben lässt. Das bedeutet, die Vertretung macht sich für die Interessen der Region im europäischen Gesetzgebungsprozess stark, man schafft Vernetzungen und sucht nach passenden Ansprechpartnern. Zur Wahrheit gehört auch, dass in Brüssel als Schmelztiegel aller europäischen Nationalstaaten viele Mitarbeiter der Kommission aus anderen Ländern überhaupt keine Vorstellung davon haben, was es zum Beispiel im Saarland an besonderen Eigenheiten gibt und was das Saarland ausmacht. Da fungiert die Landesvertretung als Botschafter für unsere Region.
Die Saarland-Vertretung teilt sich ihr Gebäude in Brüssel mit der grenznahen französischen Region Grand Est. Soll damit die Großregion zwischen Frankreich, Luxemburg und Deutschland gefördert werden?
Ja, der Gedanke entspringt der Vision der Großregion. Brüssel ist dabei auch kein Einzelfall. Wir teilen uns ebenfalls das Büro in der französischen Hauptstadt Paris und gewähren der Region Grand Est auch in unserem Berliner Büro ein Gastrecht. Das heißt, unsere Kooperation ist sehr gut eingespielt und funktioniert auch gut. Die Vernetzung in Grenzräumen birgt den Vorteil, dass wir dadurch in Brüssel noch mal deutlich sichtbarer werden und bessere Möglichkeiten für Förderungen erhalten. Früher war es bei Projekten auf der europäischen Ebene zum Beispiel immer so, dass zwei bis drei unterschiedliche Regionen daran teilnehmen mussten, um den europäischen Kontext der Maßnahme darzustellen. Mittlerweile ist diese Zahl auf vier bis fünf gestiegen, auch weil sich die Kooperationen enorm intensiviert haben. Da birgt es natürlich einen riesigen Vorteil, wenn man bei neuen Ideen oder Projekten direkt über einen kurzen Gang durch den Flur nachfragen kann, ob die direkten Partner hinter der Grenze Lust haben mitzumachen.
Können Sie ein paar Projekte nennen, an denen die Vertretung zurzeit aktiv arbeitet?
Aktuell gibt es zum Beispiel verschiedene Bemühungen den grenzüberschreitenden Nah- und Fernverkehr zu verbessern und in Kooperation mit Luxemburg die Pendlerproblematik zu entschärfen. Außerdem versuchen wir bei Rettungsdienstleistungen Verbesserungen für die Bürger in der Region zu erreichen und Beschränkungen, die es durch nationale Grenzen gibt, abzubauen. Daneben spielen Wasserstoff, besonders im Hinblick auf unsere grenzüberschreitende Wasserstoffstrategie, und die Erforschung und Förderung von autonomem Fahren eine große Rolle. Kurz gesagt, an Projekten wird es uns nicht fehlen. Durch den Regierungswechsel an der Saar arbeiten wir aktuell eher daran, unsere Priorisierung zu überarbeiten, da die Landesvertretung eines kleinen Bundeslands wie dem Saarland natürlich nur begrenzte Kapazitäten hat, die wir möglichst zielgenau einsetzen wollen.
Das hört sich so an, als wäre Europa schon fast überall dort drin, wo heute auf Länderebene relevante politische Entscheidungen getroffen werden.
Ja, man muss sich einfach vergegenwärtigen, dass Europa beziehungsweise die Europäische Union an vielen Stellen hilfreich mitauftreten kann. Deswegen ist es ja so wichtig, eine gut funktionierende Regionalvertretung zu haben, die uns mit den richtigen Ansprechpartnern in Brüssel vernetzt. Die Herausforderungen Europas und auf Länderebene sind in der Tat nahezu deckungsgleich. Deshalb hat sich das Saarland auch dazu entschieden, die Zuständigkeit für Europa in der Staatskanzlei anzusiedeln, weil wir der Auffassung sind, dass die Fragen der Europäischen Union oft eine innere Angelegenheit sind, die nahezu alle Fachbereiche betrifft. Deswegen gehört die Zuständigkeit für Europa auch dahin, wo die Regierungsarbeit zwischen allen Fachressorts koordiniert wird. Damit ist auch ausdrücklich eine Aufwertung europäischer Themen gewollt und verbunden.
Wenn man an Europa denkt, denkt man schnell an Fördertöpfe. Lässt sich beziffern, wie viel Geld das Saarland jährlich durch EU-Mittel zur Verfügung gestellt bekommt?
Es ist sehr schwer, auf eine solche Frage eine konkrete Antwort zu geben, weil es so viele unterschiedliche Finanzierungsmittel durch die EU gibt. Neben fest zugewiesenen Mitteln, zum Beispiel im Rahmen von Strukturfonds, gibt es eine Vielzahl von einzelnen Bewilligungen, wie aktuell unter anderem die IPCEI-Förderung für wichtige Projekte von gesamteuropäischer Bedeutung. Deswegen ist es schwer, zu einem bestimmten Stichtermin eine genaue Zahl zu nennen.
Man sollte aber nicht der Vorstellung auf den Leim gehen, dass es in der EU immer nur um Geld gehen würde. Es gibt auch Anliegen, die viel mehr mit den Regularien der einzelnen Mitglieder zu tun haben als mit Geld. Ein Beispiel ist hier der schon erwähnte grenzüberschreitende Rettungsdienst, dessen Umsetzung uns nichts kosten würde. Hier ist es eher von Bedeutung, sich im Grenzgebiet konkret abzusprechen, und Lösungen für die vielen kleinen Hindernisse zu finden, damit der französische Rettungsdienst auch unsere Krankenhäuser anfahren kann und umgekehrt und so eine noch effizientere Flächenabdeckung der bestehenden Rettungswachen gewährleistet wird.
Sehen Sie bei der Zusammenarbeit zwischen den Regionen und mit der EU noch Verbesserungspotenzial?
Natürlich kann man da immer schnell viele Ansprüche formulieren, die Arbeit vor Ort und der Informationsfluss von der EU an die Regionen sind aber insgesamt schon gut. Umgekehrt fällt es den Regionen, allen voran natürlich den etwas Kleineren, im europäischen Kontext manchmal schwer, bei den Beamten der Kommission mit den eigenen Anliegen automatisch Gehör zu finden. Da wäre mehr Offenheit oder mehr Ernsthaftigkeit insbesondere für die Belange der Kleinen wünschenswert.
Hat die Saarland-Vertretung eigentlich auch eine Funktion für die in Brüssel lebenden und arbeitenden Saarländer?
Ja, auch um die wird sich selbstverständlich gesorgt. Es gibt, betreut von der Regionalvertretung, ein Netzwerk von in etwa 120 Saarländern in Brüssel, das wirklich gut funktioniert und angenommen wird. Besonders für Neuankömmlinge bietet das Netzwerk die Chance, sich schnell zu vernetzen und relevante Bekanntschaften aufzubauen. Um darauf zuzugreifen ist nichts weiter nötig, als sich in der saarländischen Landesvertretung zu melden. Eine tolle Möglichkeit, um als temporärer oder dauerhafter Exilsaarländer Kontakt zu Menschen aus der Heimat aufrechtzuerhalten und sich neue Möglichkeiten in Brüssel zu eröffnen.
Zum Abschluss: Denken Sie, dass die besondere Rolle der Regionalvertretungen genug gewürdigt wird in der Öffentlichkeit, oder geht deren großer Beitrag in der Regel eher unter?
Leider spielt die saarländische und insgesamt die regionale Arbeit in Brüssel bislang noch eine eher untergeordnete Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung, was ich sehr bedauere. Dabei bietet die Landesvertretung ein riesiges Potenzial, um über europäische Themen von einem regionalen Standpunkt zu berichten, da sie die breite Palette an für uns interessanten Themen intensiv mitbearbeitet. Die Berichterstattung auf Landesebene ist aber oft meist national geprägt, sodass der europäische Standpunkt für gewisse Entscheidungen manchmal ins Abseits gerät. Dabei wäre es im Rahmen der europäischen Integration umso wichtiger, dass auch dieser besser sichtbar wird. Und da könnte die Landesvertretung als idealer Informationsträger sowohl für die Presse als auch für die Bürger auftreten, auch um relevante Hintergründe zu erfahren, beispielsweise, warum sich ein Land bei aktuellen Beschlüssen so entschieden hat und nicht anders. Diese Expertise über Themen, die oft eine eigene öffentliche Diskussion wert wären, geht leider viel zu oft im Konzert der täglichen Schlagzeilen unter, wenn sie überhaupt dort stattfindet. Hier gibt es definitiv noch viel Luft nach oben, und ich hoffe, wir können den Bürgern Lust darauf machen, sich künftig mehr Zeit für die europäische Ebene und ihre Hintergründe zu nehmen.