Mit zunehmendem Alter taucht Neil Young (76) tiefer in sein eigenes Archiv ein. Am 8. Juli erschien endlich die sagenumwobene Platte „Toast", die er vor 22 Jahren mit Crazy Horse eingespielt hat. Auch weitere historische Aufnahmen hat er noch auf Lager.
Sie heißen „Chrome Dreams", „Time Square", „Johnny’s Island" oder „Early Daze" – seit Jahrzehnten werden in Neil-Young-Fankreisen Informationen über mythische Alben wie heiße Ware gehandelt, wenn der Sänger und Gitarrist hier und da Details über verlorene Projekte fallen lässt. Besonders die Tatsache, dass sie nie veröffentlichte Songs enthalten, facht die Gerüchteküche immer wieder an. Tatsächlich hat Young oft geniales Material im Lauf seiner 55 Jahre währenden Karriere geschrieben und aufgenommen, aber dann in den Giftschrank gelegt.
Platte über gebrochene Herzen
Letztes Jahr schrieb der Mann mit der Zottelfrisur in seiner virtuellen Tageszeitung „The Times Contrarian" ausführlich über ein vergessenes Album, das er im Jahr 2000 mit seiner Lieblingsbegleitband Crazy Horse in San Francisco aufgenommen hat: „Die Musik auf ‚Toast‘ handelt von einer Beziehung", so der Kanadier. „In vielen scheiternden Beziehungen gibt es eine Zeit lange vor der Trennung, in der es einem der beiden Beteiligten, womöglich sogar beiden, dämmert, dass es vorbei ist. Um diese Zeit geht es." Am 8. Juli hatte das Warten ein Ende. Der Grundton von „Toast" ist trübe, streckenweise sogar hoffnungslos, und so laufen die Songs vor elektrisierender Anspannung fast über. Zwar beginnt das Ganze mit dem noch recht reizvollen Beziehungsstück „Quit", aber der unbequeme Sänger feuert dem geneigten Hörer bereits ein entschiedenes „Don’t say you love me" entgegen. Im Folgenden rumpeln Crazy Horse durch fette Songs wie „Standing In The Light of Love" und „Goin’ Home" und singen harmonische Chöre. Dagegen klingen die E-Gitarren, als wären die Verstärker überdreht und die Anlage verrostet. Im forsch rockenden „Timberline" hadert ein arbeitsloser Holzfäller mit seinem Glauben, und im epischen „Gateway of Love" träumt Neil Young von einer weniger schmerzhaften Zukunft. Der Text wirkt erschreckend aktuell. „How Ya Doin’?" lautet nicht nur eine beliebte Floskel des Sängers bei seinen Live-Shows, sondern auch ein düsterer Song auf „Toast". Kaum weniger hoffnungslos mutet der Rausschmeißer an. In „Boom Boom Boom" heißt es ernüchternd: „All I got is a broken heart, and I don’t try to hide it when I play my guitar."
Auch nach 22 Jahren noch besonders
Das Album „Toast" ist nach einem Aufnahmestudio in San Franciscos Künstlerviertel Mission benannt, das in den Sixties „Coast Recorders" hieß. Später befanden sich in dem historischen Gebäude nacheinander die Live-Clubs „Troubadour North" und „The Bording House", wo Neil Young in den Siebzigern häufig aufgetreten ist. Der Hinterausgang führt auf eine Gasse, wo die Musiker in den Session-Pausen immer rauchten. Drinnen war es so stickig, dass Crazy Horse stets die Tür offen ließen, bis sie eines Tages Ratten kommen und gehen sahen. „Toast" ist vielleicht eine der am meisten unterschätzten Crazy-Horse-Platten aller Zeiten, mit vielen Songs, die von Neil Young ursprünglich verworfen und später mit Booker T. and the MG’s für das Album „Are You Passionate" neu aufgenommen wurden. Anstatt nach einer erfrischenden Abwechslung zu klingen, wurde diese ungewöhnlich soulige Platte zu einer verworrenen, ziellosen Angelegenheit. Neil Young befand sich damals in einer Phase, in der er etliche mittelmäßige Versuche unternommen hatte, aber „Toast" war tiefer, düsterer und dunkler als gewohnt. „Im Gegensatz zu allen anderen war es so traurig, dass ich es nicht herausbringen konnte", erinnert er sich. „Ich habe es einfach übersprungen und an seiner Stelle ein anderes Album aufgenommen. Ich konnte es damals nicht verarbeiten." Young hatte diese Lieder schlichtweg vergessen, verdrängte sie aus seinem Gedächtnis und lebte sein Leben weiter.
Das Material auf „Toast" kommt auch 22 Jahre danach noch frisch, spielfreudig und unkonventionell daher. Es ist genau die klassische Crazy-Horse-Platte, auf die man seit Jahren gewartet hat. „Es muss gesagt werden, dass Crazy Horse hier eine Tiefe zeigt, die ich noch nie zuvor gesehen oder gehört habe", sagt Neil Young. „Die beste Gruppe, die ich je getroffen habe. Das ist ein Höhepunkt. Wohin sie mich gehen ließen, wohin sie mich brachten, war unglaublich. Ich konnte nicht bleiben." Zwei der insgesamt sieben Songs sind zehn beziehungsweise 13 Minuten lang. Solche ausufernden Stücke machen ihm und Crazy Horse viel Spaß. „Da geht es einfach nur darum, dass wir spielen, unseren Job machen und es genießen, bis wir fertig sind", sagt der Sänger. „Manchmal geht das schnell, und manchmal dauert es eben etwas länger. Das ist nichts, worüber wir uns groß den Kopf zerbrechen." Man würde meinen, dass bei so viel Spontaneität im Studio jemand Regie führen und entscheiden müsste, wie lange gespielt wird. „Nein, das bin immer ich", so Young. „Ich beginne als erster, und die Band folgt mir dann. Und wenn ich das Gefühl habe, dass es reicht, höre ich auf und mit mir die Band".
Weitere Alben in der Schublade
Wunderbar berauscht am eigenen Habitus, kündigt der umtriebige Künstler weitere Veröffentlichungen an. Darunter „Road Of Plenty" mit elektrisierendem Rock aus der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Das Album enthält laut Young unter anderem eine Monster-Version des Songs „Eldorado", mitgeschnitten im Oktober 1986 in Minneapolis bei einer schweißtreibenden Show mit Crazy Horse. Mit deren Ex-Gitarrist Frank Poncho Sampedro sowie Drummer Steve Jordan (Rolling Stones) und Bassist Charley Drayton machte der Wahlkalifornier drei Jahre später während einer Studioprobe „verdammt geile Musik" – wie eine 17-minütige Version von „Sixty to Zero" oder der Originalfassung von „Fuckin’ Up". Außerdem hat der 76-Jährige ein weiteres unveröffentlichtes Crazy-Horse-Studioalbum mit dem Titel „Early Daze" in petto, neben einem Crazy-Horse-Konzertmitschnitt aus den Jahren 2012 und 2013 mit dem Titel „Live Alchemy", einem Live-Album der CSNY-Shows von 1970 bis 1971 im „Fillmore East", einem Buffalo-Springfield-Boxset, der dritten 10-CD-Box der „Archives"-Reihe, und acht Filmen. So viel scheint sicher: Neil Young wird auch mit 80 Jahren noch nach Gold schürfen.