In Wien gibt das Restaurant „Habibi & Hawara" Geflüchteten eine Chance. Das Essen schmeckt, aber überleben kann das Projekt bisher nur durch einen solventen Gönner.
Dienstagvormittag, 10 Uhr: Nicht mehr lange bis zum Mittagsgeschäft. In der Küche des „Habibi & Hawara" im dritten Wiener Bezirk brutzelt es schon. Gefüllte Paprika, Reis, Taboulé, Falafel: Alles muss fertig sein, wenn hungrige Geschäftsleute ab 11 Uhr die Gastwirtschaft stürmen. Munir Hosh, der syrische Koch, baut das kalte Büffet auf: Kichererbsen, Champignons, Zucchini, Feta und Oliven, dazu ein österreichischer Kartoffelsalat.
Zwischen all dem Trubel wirkt Majd Bashour wie eine Insel der Ruhe. Sie trägt ein schwarzes Top und einen weißen Blazer, an ihrer Halskette hängt ein goldenes Kreuz. Die 48-Jährige sitzt in der Ecke des Speisesaals und klickt sich durch die Personallisten des „Habibi & Hawara". 2015 entkam sie dem syrischen Bürgerkrieg, indem sie zu ihrer Schwester nach Wien zog. Sieben Jahre später leitet sie nicht nur die Personalabteilung eines Restaurants mit 60 Angestellten und fünf Filialen. Als Gesellschafterin gehören ihr auch fünf Prozent der Firma.
Es ist eine Erfolgsstory, von der viele Asylbewerber träumen: nicht nur Schutz und ein neues Zuhause finden, sondern auch eine auskömmliche Arbeit. Doch für Majd Bashour war der Weg dorthin schwer: In Syrien hatte sie als Führungskraft in einem großen Telekommunikationskonzern gearbeitet. In Österreich bekam sie zwar schnell eine Arbeitserlaubnis, ihre Qualifikationen wollte aber niemand anerkennen. „Ich habe direkt einen Sprachkurs begonnen", sagt sie in perfektem Deutsch, „und mich bei allen möglichen NGOs und internationalen Organisationen beworben." Vergeblich. 21 Jahre Berufserfahrung waren in Europa nichts wert.
Ausbildung und Karrierechance
Dass sie nun doch einen guten Job gefunden hat, verdankt sie einem Zufall. In ihrer Kirche erfuhr die gläubige Christin vom „Habibi & Hawara": ein Gasthaus, das Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund eine Chance gibt. Ein Ort, der Ausbildungsplätze, Integrationskurse und Karrieremöglichkeiten unter einem Dach anbietet. „Erst wenn man eine Arbeit hat, fühlt sich das Leben normal an", sagt Bashour. „Erst dann ist es richtige Integration."
Das Restaurant existiert seit der letzten großen Flüchtlingswelle im Jahr 2015. Habibi heißt „Liebling" auf Arabisch, Hawara bedeutet „Freund". 80 Prozent des Personals hat einen Migrationshintergrund, die Angestellten stammen aus zehn verschiedenen Ländern. „Neue Heimat, neue Freunde, neue Arbeit", sagt Majd Bashour. Am Herd seien ohnehin alle gleich, und was könne die Menschen besser verbinden als ein leckeres Essen! Auch in anderen europäischen Metropolen wie Berlin, Rom oder Venedig gibt es ähnliche, wenngleich kleinere Projekte. In Schaffhausen hat das Schweizerische Arbeiterhilfswerk das Restaurant „essKultur" ins Leben gerufen. Dort arbeiten 15 Frauen und Männer aus unterschiedlichen Ländern, ihr Motto lautet „Mit einer Prise Heimat gewürzt".
Wer als Gast das „Habibi & Hawara" betritt, merkt zunächst nichts von dem integrativen Ansatz. Zwar hängt an der Wand eine Bildergalerie der Angestellten und hinter der Theke ein Schild mit der Aufschrift „Make Menschlichkeit Great Again". Doch wer nicht weiß, dass hier ehemalige Asylbewerber angestellt sind, muss schon genau hinschauen. Es gibt kein Werbebanner über der Tür; die Kundschaft soll nicht bloß aus Mitleid hingehen, sondern weil ihnen das Essen schmeckt. Auch sollen die Angestellten möglichst nur Deutsch vor den Gästen sprechen.
Gründer hat auch Biobauernhof
In den USA haben „Refugee Restaurants", die explizit mit diesem Status werben, nicht nur Lob hervorgerufen: Wo liegt der Unterschied, fragen Kritiker, ob sich ein Restaurant als Flüchtlingsparadies bezeichnet oder als normales Lokal? Schließlich schuften in der Gastronomie fast immer Migrantinnen und Migranten als schlecht bezahlte Arbeitskräfte, ganz gleich, welchen Aufenthaltsstatus sie genießen. Ist ein Betrieb, der sich „Habibi" nennt, da wirklich anders?
Majd Bashour findet schon. Schließlich hätten die Menschen dort die Chance aufzusteigen – bis hin zur Gesellschafterin, wie sie. Von 60 Angestellten haben nach Angabe des Unternehmens aktuell sechs diesen Status, davon vier Personen mit Migrationshintergrund. „Die Leute können auch ohne Erfahrung bei uns anfangen", versichert Bashour. „Außerdem bieten wir psychologische Unterstützung an." Das dürfe man nicht vergessen, gerade bei traumatisierten Menschen, die aus einem Kriegsgebiet kommen.
Aus der Küche lugt Diala Warda hervor. Die 43-Jährige stammt aus Aleppo. „Eine wunderschöne Stadt", sagt sie, „jedenfalls war sie das mal." Die ehemalige Lehrerin kam 2014 mit ihrer Familie nach Österreich, im Habibi arbeitet sie als Konditorin. Auch ihre Studienabschlüsse wurden nicht anerkannt. „Also habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht", sagt Warda und lacht. „In Syrien habe ich schon immer ganz viel gebacken, wenn Familienfeste anstanden." Nun serviert sie Baklava und andere Süßspeisen der Wiener Kundschaft – allerdings in europäisierter Version. „Bei uns zu Hause ist viel mehr Zucker drin", sagt sie. „Und die Österreicher mögen es nicht so fettig."
Der Gründer des Restaurants ist kein Migrant: Martin Rohla residiert in einem Büro in der Wiener Innenstadt, den Stephansdom hat er vom Fenster aus direkt im Blick. Rohla ist Unternehmer, Großinvestor und Millionär; er hält Anteile an 30 Firmen und sitzt in der Jury von „Zwei Minuten, zwei Millionen", der österreichischen Version von „Die Höhle des Löwen". Ihm es ist wichtig, sein Geld vor allem in soziale oder nachhaltige Projekte zu stecken, weshalb ihm auch ein Biobauernhof gehört. Der Name seiner Beteiligungsfirma: Good- shares.
„Essen schmeckt hervorragend"
2015, auf dem Höhepunkt des syrischen Bürgerkriegs, gründete er das „Habibi & Hawara". „Ich will damit kein Geld verdienen", beteuert Rohla. Stattdessen gehe es ihm um die Selbstermächtigung der Menschen. In seinem Kopf reift bereits die nächste Idee, ein Franchise-Konzept in der Systemgastronomie, wie bei „McDonald’s", nur dass Geflüchtete in diesem Fall mit 50 Prozent beteiligt werden sollen. Und dann wäre da noch seine neueste Kreation, das „Drusi & Hawara", ein Betrieb, der Fortbildungen für Ukrainerinnen und Ukrainer anbietet. Der Andrang halte sich allerdings bisher in Grenzen, sagt Rohla, da viele bereits in ihre Heimat zurückgekehrt seien. Vorbildliche Integration, motiviertes Personal und ein gutherziger Gönner: Es klingt fast schon zu gut, um wahr zu sein. Und tatsächlich: Selbst der Investor räumt ein, dass nicht alles glatt läuft. Zum einen ganz banale Dinge: Menschen mit höchst unterschiedlichen Bildungs- und kulturellen Hintergründen in einem Betrieb zusammenzuführen, ist manchmal recht mühsam. Auch finanziell läuft das „Habibi & Hawara" offenbar nicht so, wie es ein Businessplan bei „Zwei Minuten, zwei Millionen" versprechen würde. Rund 1,5 Millionen Euro hat Rohla bereits in das Restaurant gesteckt; Gewinne hat es noch keine gemacht. „Es würde gut laufen, wenn wir nicht die hohen Kosten für die Ausbildung hätten", sagt Rohla. Aber er will auch nicht am falschen Ende sparen. Also investiert er weiter, verfeinert das Konzept, bringt ein Habibi-Kochbuch und einen Habibi-Wein auf den Markt, wirbt Personal von bekannten Restaurants ab. Nur: Mit Geflüchteten ohne Vorerfahrung funktioniert eben auch ein Flüchtlingsrestaurant nicht, das hat Rohla inzwischen gelernt. Doch die Mühe ist es ihm wert: „Bei uns gehen sogar FPÖ-Wähler essen", schwärmt der Investor. „Da bekommen sie Bier von einer Frau mit Kopftuch ausgeschenkt und merken, dass das gar nicht so schlimm ist." Im „Habibi & Hawara" betritt um Punkt 11 Uhr der erste Gast das Lokal. Benedikt Hansen, 29, ist als Veranstaltungstechniker regelmäßig in der Gegend. „Das Essen schmeckt hervorragend und ist verhältnismäßig günstig", findet der Stammgast. 10,90 Euro kostet das Mittagsbüffet, am liebsten mag er den Okra-Eintopf. Und der integrative Ansatz? „Finde ich sehr zu begrüßen", sagt Hansen. „Wenn der Mensch zum Nichtstun gezwungen wird, sucht er sich seine Beschäftigung. Da ist mir ein gutes Essen deutlich lieber."