Karlsbad ist Tschechiens wichtigste Spa-Stadt, Anziehungspunkt für Literaten, Künstler und Politiker – und ein Schmuckstück, eingebettet in den reizvollen Kaiserwald. Das weiß nicht nur die feine Gesellschaft – auch Normalsterbliche schätzen den Jungbrunnen.
Wie jeden Abend wird es voll im Restaurant „Belle Epoque" des „Grandhotels Pupp". Das Essen ist unverschämt gut, die Gäste illuster und aus aller Welt. Am Tisch ganz am Ende des Saales sitzen vier ältere Herren mit junger weiblicher Begleitung. Sie sprechen Bayerisch. Kuren im Westböhmischen Triangel Karlsbad, Marienbad und Franzensbad sind etwas Besonderes. Das wusste schon der Geheimrat aus Weimar.
Auch ihn, Johann Wolfgang von Goethe, lockten die aus 2.000 Meter Tiefe hochsprudelnden 72 Grad heißen Thermalquellen: Zwischen 1785 und 1823 kurte er dreizehnmal in der Stadt an der Tepla. Hier suchte und fand er Heilung von Magen- und Gichtbeschwerden, ließ seine Nervosität merklich nach, bei anhaltender Lust an der Gesellschaft feiner Damen.
Goethe verliebte sich hier unsterblich
Der bereits 74-Jährige stellte ihnen gern nach, unsterblich verliebte er sich in die attraktive, hochaufgeschossene Baronesse Ulrike von Levetzow, die er im damals noch jungen, aufstrebenden Marienbad kennengelernt hatte. Von Erfolg war sie allerdings nicht, die späte Leidenschaft, die „Marienbader Elegie", Wehklage über das verlorene „Paradies" der Liebe, gibt davon Zeugnis. Stefan Zweig bezeichnete sie als das schönste lyrische Gedicht deutscher Zunge. Die damals 19-Jährige selbst bekannte nach vielen Jahren: „keine Liebe war es nicht"; sie verstand sich eher auf das Spiel mit dem reifen Dichter. Für Goethe war es ein emotionaler Absturz.
Auch wer es nicht auf solche Abenteuer abgesehen hat, dürfte mit Karlsbads Bädern glücklich werden. Vorbildlich ist der Service, die Fürsorge der Fango-Feen diskret. Im berühmten Bad I lockt das luxuriöse Becken Kaiser Franz Josephs, heute darf gegen Gebühr jedermann da rein. Kleopatra hätte wahrscheinlich Bad V gewählt: Entspannen und Regenerieren in Milch und Öl ist dort angesagt.
Im 19. Jahrhundert war Karlsbad, wie auch Marienbad, mit seinen bonbonfarbenen Häuserfassaden Catwalk der blaublütigen, internationalen Society. Dementsprechend prominent ist die Liste der Kurgäste auch im „Pupp": ganz oben stehen gekrönte Häupter wie Maria Theresia, Peter der Große, Franz Joseph mit seiner Sissi, die sich alle mit ihrem umfangreichen Hofstaat für Monate einquartierten. Mozart kurierte hier so manches Zipperlein, Sigmund Freud seine Darmprobleme, Schiller soll sein Leben um 14 Jahre verlängert haben; er soll täglich 18 Becher Heilwasser getrunken haben. Und was machte Casanova in einem Kurort? Natürlich die weiblichen Gäste Tag und Nacht in Atem halten.
Doch mehr als nur Heilanstalt war Karlsbad Kultur- und Vergnügungszentrum. Für Aufregung und heilsamen Klatsch sorgten etwa indische Maharadschas, wenn sie auf prachtvollen, bunt ausstaffierten Elefanten bis zum Portal des Grandhotels schaukelten. Oder als König Edward VII. von England in Hosen mit Bügelfalte erschien – am nächsten Tag sah man alle Männer mit Bügelfalte. Kurios, was Beethoven passierte: er war für ein Konzert im Hause „Pupp" gebucht, musste sich aber erst ausweisen, was zur Folge hatte, dass das musikalische Event verschoben werden musste. Diese und andere Namen großer Persönlichkeiten und weltbekannter Stars entdeckt man auf den Stolpersteinen des „Walk of Fame" vor dem „Pupp"-Portal. Sophia Loren, Gina Nationale, Claudia Cardinale, Franz Kafka, Louis Armstrong, Gorbatschow, Papst Franziskus, selbst Putin chillten oder kurten im Fünf-Sterne-Ambiente und prägten die 300 Jahre Hotelgeschichte mit.
Seit die Mehrzahl der Gebäude im Kurbereich sensibel saniert und restauriert wurden, sieht und spürt man nach der sozialistischen Tristesse wieder den alten Pomp – auf den Uferpromenaden rechts und links des Flusses Tepla leuchten Fassaden, Giebel, Türmchen in erster, zweiter, dritter Linie. Endlich sind die drei Kurorte auf die Unesco-Kulturerbe-Liste aufgenommen worden – seitdem kommen unzählige Asiaten als Tagestouristen.
Dagegen wirkt das zentral gelegene, aus CSSR-Zeiten stammende Kurhotel „Thermal" eher wie ein Fremdkörper in der Nähe des wunderschön blühenden Stadtparks. Gestritten wurde lange über den Abriss des unansehnlichen Kolosses aus Stahl und Beton – das für die Öffentlichkeit freie Thermalbad sowie der große Veranstaltungssaal gaben schließlich den Ausschlag für die Erhaltung.
Ursprünge gehen auf Karl IV. zurück
Zum Glück versöhnt Karlsbads üppiger Mix aus Rokoko, Klassizismus, Empire und Jugendstil mit solchen Bausünden. Spaziert man durch die prachtvolle Altstadt kommt’s einem vor, als würde man durch Ischl, Gastein und Reichenau gleichzeitig streifen. Das Kurviertel der böhmischen Thermen-Metropole bietet ein einzigartiges Ensemble historischer K-.u.-k.-Architektur. Die Sparkasse sieht aus wie ein Palast, das Theater wie eine Zitronentorte. Sahnestücke kommen hinzu, im Zentrum beeindruckt die imposante Mühlbrunn-Kolonnade mit den wuchtigen Säulen, wo dreimal täglich fleißig das heiße Quellwasser getrunken wird.
Seine Heilkraft war wahrscheinlich schon den alten Römern bekannt. Die Ursprünge von Karlovy Vary reichen rund 700 Jahre zu Karl IV. zurück. Der geriet bei einer Jagd mit der frisch verletzten Hand in das sprudelnd heiße Wasser und konnte der Heilung praktisch zusehen. Somit gilt der deutsche Kaiser Karl IV. als Begründer eines der größten und traditionsreichsten Kurorte der Welt – und als ihr erster Gast. Die Besucher heute können das Wasser aus zwölf heißen, alkalischen Glaubersalzquellen gratis genießen, doch auch die „dreizehnte Quelle" sprudelt noch: nämlich der Karlsbader Kräuterlikör Becherovka.
Und da sind noch Hollywoods Lieblinge, die jeden Sommer zum traditionellen Filmfestival anreisen und von denen die meisten im „Pupp" residieren. Das bildete im Übrigen die Vorlage für den tragikomischen Film „Grand Budapest Hotel". Michael Douglas speiste zumeist im Restaurant „Embassy", Hobby-Winzer Gérard Depardieu steckte mal hier, mal da die Charakternase in mährischen Rotwein. Die Diven Sharon Stone und Scarlett Johansson ließen sich beim Flanieren auf Schritt und Tritt bewundern, Woody Harrelson schlurfte barfuß durchs „Pupp". Spät am Abend trifft sich dort alles in der „Becher"-Bar. Der Name kommt nicht von „bechern" – gemeint ist der Becherovka.
Und auf wen sollte man anstoßen? Auf den unglücklich verliebten Geheimrat Goethe – oder vielleicht auf Daniel Craig. 2006 brillierte er in und am Grandhotel als James Bond in „Casino Royale". Womit? Natürlich mit einem Wodka Martini – geschüttelt, nicht gerührt.