Während Rauchen als Hauptursache für die Ausbildung von Lungenkrebs angesehen wird, war der Grund für die Erkrankung bei Nichtrauchern bislang ungeklärt. Fehlabläufe bei körpereigenen Prozessen sollen laut einer Studie ursächlich sein.
Mit weltweit jährlich mehr als zwei Millionen Neuerkrankungen und rund 1,8 Millionen Toten gilt Lungenkrebs inzwischen als der mit Abstand größte Killer unter den Karzinomen. In Deutschland müssen sich jährlich rund 50.000 Menschen mit der belastenden Diagnose auseinandersetzen, bei rund 45.000 Personen pro Jahr ist Lungenkrebs für den Tod verantwortlich. Die Krankheit tritt bei Männern noch immer öfter auf als bei Frauen. Sie ist bei den Männern auch die zentrale krebsbedingte Todesursache, bei den Frauen nach dem Brustkrebs schon die zweithäufigste. In mehr als 100 Studien wurde das Rauchen als Hauptursache für die Entstehung von Lungenkarzinomen nachgewiesen, daneben gelten Kontakte mit als krebserregend klassifizierten Giftstoffen oder schädliche Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung inklusive Feinstaub als weitere Risikokriterien. Dennoch weisen die meisten Lungenkrebs-Patienten eine persönliche Vorgeschichte in Zusammenhang mit Tabak-Konsum auf. Aber daneben gibt es einen in den letzten Jahren stetig wachsenden Anteil von Erkrankten, die noch nie zur Zigarette gegriffen hatten. Schätzungsweise zehn bis 25 Prozent der von der Krebsart Betroffenen haben noch nie geraucht. Dieses Phänomen tritt bei Frauen deutlich häufiger auf als bei Männern und manifestiert sich zudem in einem früheren Alter als bei typischem Raucher-Lungenkrebs.
Mangels fundierter wissenschaftlicher Untersuchungen bezüglich dieses Phänomens blieb reichlich Raum für Spekulationen. Das Passivrauchen war am häufigsten als Erklärungsansatz aufgetaucht, beispielsweise in einem Artikel der „Ärzte Zeitung“ aus dem Jahr 2017. Dass nichtrauchende Frauen besonders stark, bis zu dreimal häufiger als nichtrauchende Männer, von der Erkrankung betroffen waren, wurde noch vor wenigen Jahren dadurch zu deuten versucht, dass sie vermeintlich dem schädlichen Qualm ihrer rauchenden Partner ausgesetzt waren, weil lange Zeit der Raucheranteil bei den Männern weitaus höher als bei den Frauen war. Neben dem Passivrauchen wurden auch noch weitere Risikofaktoren wie genetische Mutationen samt DNA-Veränderungen, erblich-familiäre Vorbelastungen oder Umwelt-Schadstoffe wie Radon ursächlich für die Ausbildung von Nichtraucher-Lungenkrebs genannt.
Bis zu 25 Prozent Nichtraucher
Nun hat jedoch eine im Fachmagazin „Nature Genetics“ veröffentlichte epidemiologische Studie von Forschenden des renommierten US-amerikanischen National Cancer Institute in Bethesda unter Federführung der Epidemiologin Dr. Maria Teresa Landi und ihres Kollegen Dr. Tongwu Zhang wichtige Ergebnisse zu Lungenkrebserkrankungen bei Nichtrauchern hervorgebracht. Sie untersuchten dafür Karzinom-Proben von 232 Patienten überwiegend europäischer Abstammung mit nicht-kleinzelligem (also schon größerem) Lungenkrebs, die noch nie in ihrem Leben geraucht hatten und bei denen auch noch keine medizinische Behandlung begonnen hatte. Unter den Tumoren bildeten die Adenokarzinome (die häufigste Art von Lungenkrebs) mit 189 Befunden die Mehrheit, dazu kamen noch 36 sogenannte Karzinoide und sieben weitere Tumor-Typen. Die entnommenen Zell-Proben wurden von den Forschenden einer komplexen Genomanalyse unterzogen. Dadurch wollte man etwaigen Mutationen oder Fehlern im genetischen Code auf die Spur kommen, die ein unkontrolliertes Zellwachstum auslösen und letztlich zur Entstehung von Krebs führen können.
Die Forscher konzentrierten sich bei der Analyse der Tumorgenome vor allem auf die Suche nach sogenannten Mutationssignaturen. Das können beispielsweise Schäden sein, die durch natürliche Aktivitäten im Körper bei fehlerhafter DNS-Reparatur, bei oxidativem Stress oder durch die Exposition mit Karzinogenen entstehen. Mutationssignaturen bergen wie ein Archiv die Aktivitäten des Tumors, können daher Auskünfte über schon erfolgte Mutationen und Hinweise auf die Ursachen des Tumors geben. Anhand eines in der Lungenkrebsforschung schon vorliegenden und ständig erweiterten Katalogs möglicher Mutationssignaturen konnten die gewonnenen Ergebnisse abgeglichen werden. Da alle Probanden Nichtraucher waren, war es nicht weiter verwunderlich, dass keine typischen, mit Tabakkonsum verbundenen Mutationssignaturen gefunden werden konnten, nicht einmal bei den 62 Probanden, die Passivrauchen ausgesetzt gewesen waren. Dennoch warnten die Forscher diesbezüglich ausdrücklich vor voreiligen Schlüssen. „Wir brauchen eine größere Stichprobe mit detaillierten Informationen zur Exposition“, so Dr. Landi, „um die Auswirkungen des Passivrauchens auf die Entwicklung von Lungenkrebs bei Nichtrauchern wirklich zu untersuchen.“ Doch noch viel wichtiger war die Entdeckung, dass ein Großteil der Tumorgenome spezifische Mutationssignaturen aufgewiesen hatte, die mit Schäden durch endogene, also natürliche Prozesse im Körper der Betroffenen wie Kopierfehler, oxidativen Stress oder unzureichende DNS-Reparatur in Verbindung gebracht und daher nicht mit äußeren Einflüssen erklärt werden konnten. Bei knapp der Hälfte der Tumore konnten die Forscher eine Signatur ermitteln, die auf Schädigungen infolge oxidativen Stresses hindeutet.
Anschließend machten sich die Forschenden daran, drei Subtypen von Lungenkrebs bei Nichtrauchern zu ermitteln, denen sie aus der Musik übernommene Namen gemäß der Anzahl der genomischen Veränderungen gegeben hatten: „Piano“, „Mezzo Forte“ und „Forte“. „Wir haben festgestellt, dass es verschiedene Subtypen von Lungenkrebs bei Nichtrauchern gibt“, so Dr. Landi, „die unterschiedliche molekulare Merkmale und Entwicklungsprozesse aufweisen und sich deutlich von typischen Lungentumoren bei Rauchern unterscheiden. In Zukunft können wir vielleicht unterschiedliche Behandlungen auf der Grundlage dieser Subtypen anbieten.“
Tumore sind sehr unterschiedlich
Subtyp „Piano“: Dieser Subtyp konnte in der Hälfte aller untersuchten Tumore nachgewiesen werden und war damit am weitesten verbreitet. Er weist die wenigsten Mutationen auf, wird meist durch Mutationen in Lungenstammzellen ausgelöst, wächst nur langsam und lässt sich schon Jahre vor der Diagnose mit Entartungen nachweisen. „Die Piano-Tumore entwickeln sich aus adulten Stammzellen, die ihren Ruhezustand verlassen“, so Dr. Landi. Eine zentrale Rolle scheint dabei eine Veränderung des Gens UBA1 zu spielen, das an der Reparatur von DNS-Schäden beteiligt ist. Da der „Piano“-Subtyp viele Treibermutationen aufweist, wird er als schwierig behandelbar eingestuft.
Subtyp „Mezzo-Forte“: Der im Vergleich zu „Piano“ deutlich schneller wachsende und mehr Mutationen aufweisende Subtyp „Mezzo Forte“ konnte 30 Prozent der Tumore zugewiesen werden. Er ist durch spezifische Chromosomen-Veränderungen gekennzeichnet und wies in mehr als der Hälfte der Proben Mutationen im Wachstumsfaktor-Rezeptor-Gen EGFR auf, wodurch das Tumorwachstum beschleunigt werden kann.
Subtyp „Forte“: Der ebenfalls schnell wachsende Subtyp „Forte“ konnte bei 20 Prozent der Nichtraucher-Tumor-Proben nachgewiesen werden. Er weist eine Verdopplung des gesamten Genoms auf, was auf Probleme bei der Zellteilung hinweist. Die Genomverdopplung kann auch häufig bei typischen Rauchertumoren registriert werden.
In der Regel, so die Forschenden, entstehen sowohl „Mezzo-Forte“ als auch „Forte“ nur aus einer entarteten Vorgängerzelle. „Dies könnte ihre Identifizierung mit nur einer Biopsie vereinfachen und ihre Therapie erleichtern“, erklärt Dr. Landi. Wie überhaupt die Studien-Ergebnisse laut den Wissenschaftlern einen neuen Ansatz zur gezielten Behandlung von Lungenkrebs bei Nichtrauchern bieten können: „Unsere Analyse belegt“, so Dr. Landi, „dass es bei Nichtrauchern erhebliche Unterschiede zwischen den Tumoren geben kann“. Und weiter: „Für die unterschiedlichen Subtypen, die wir unterscheiden, gibt es möglicherweise unterschiedliche Ansätze zu Vorbeugung und Behandlung.“ So könne der langsam wachsende „Piano“-Subtyp Ärzten und Kliniken ein ausreichendes Zeitfenster eröffnen, um Tumor-Vorläuferzellen frühzeitig zu entdecken und zu behandeln. Und im Kampf gegen die nur wenige wichtige Haupttreiber-Mutationen aufweisenden Subtypen „Mezzo-Forte“ und „Forte“ könnten gezielte Behandlungen wie speziell darauf zugeschnittene Chemotherapien erfolgversprechend sein.