Nach den Plätzen vier und drei will Trainer Jaron Siewert in seinem dritten Jahr bei den Füchsen um mindestens einen Platz in der Tabelle klettern und die Champions League erreichen.
Im Profisport braucht jeder seine kleine Insel, um sich zurückzuziehen, Kraft zu tanken und auf andere Gedanken zu kommen. Bei Jaron Siewert ist diese Insel seine Familie. Sein kleiner Sohn begrüße ihn „mit einem Lachen, egal wie es gelaufen ist", seine Frau sei ihm „ein starker Rückhalt" und schaffe es, „nach Niederlagen und auch Siegen immer die richtigen Worte zu finden". Und auch sein Hund „kümmert sich nicht darum, ob ich gewonnen oder verloren habe, solange ich mit ihm rausgehe, das Essen hinstelle und ihn streichle." Für ihn sei es „enorm wichtig, so einen Rückzugsort zu haben, wo man fernab vom Leistungsdruck funktionieren kann." Siewert weiß: Für ihn als Trainer der Füchse Berlin nimmt der Druck in der kommenden Spielzeit 2022/23 zu. Die Erwartungshaltung ist größer – die Lust auf Erfolge aber auch. „Ich gehe mit großer Vorfreude in die Saison", sagte Siewert, „und freue mich darauf, wieder anzufangen, neue Gesichter zu sehen und endlich loszulegen." Als Dritter der Vorsaison kann es für die Hauptstädter, die sich prominent verstärken konnten, nur ein Saisonziel geben: möglichst die Champions-League-Qualifikation.
In der Königsklasse war der Club zuletzt 2013 vertreten. Dafür ist Platz eins oder zwei nötig, auch der Meistertitel wird also nicht schon im Vorhinein abgeschrieben. Zumal der jüngste Triumph des SC Magdeburg gezeigt hat, dass die große Dominanz der Nordclubs THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt gebrochen scheint. „Magdeburg hat gezeigt, was möglich ist", sagte Siewert beim Trainingsauftakt und schürte damit zusätzliche Hoffnungen auf einen ähnlichen Coup der Berliner.
Siewert hat die Kritiker widerlegt
Es gibt Trainer, die vor den ersten Spielen tiefstapeln, um die Fallhöhe überschaubar zu halten. Nicht so Siewert. Der 28-Jährige ist ehrgeizig – und passt auch deshalb zu den ambitionierten Plänen der Füchse. „Das Ziel muss sein, oben anzugreifen. Keiner sagt: Platz zwei ist ein super Ziel. Am Anfang geht man von der Spitze aus", hatte Siewert schon bei seinem Dienstantritt vor zwei Jahren gesagt: „Wenn es dann am Ende nicht funktioniert, muss man sehen, woran es noch gehapert hat. Grundsätzlich gehen wir aber ins Training, um die Besten zu sein." Nach den Plätzen vier und drei will der Shootingstar auf der Trainerbank in seinem dritten Jahr bei den Berlinern noch mal mindestens um einen Rang in der Tabelle nach oben klettern. Wenn möglich sogar zwei.
Der Coach prophezeit einen „extrem harten Fight um die oberen Plätze", bei denen die Füchse von Beginn an mitmischen wollen. Siewert, der trotz seines sehr jungen Alters schon viele Trainerjahre auf dem Buckel hat, weiß, was es dafür braucht: „Harte Arbeit." Der gebürtige Berliner und frühere Jugendcoach der Füchse gilt als Perfektionist, der in der Trainingslehre und der taktischen Ausrichtung nichts dem Zufall überlässt. Doch selbst wenn seine Matchpläne selten aufgehen, die Punkte aber dennoch auf das Konto wandern würden, wäre er zufrieden. Gegen „so eine richtige Glückssaison", sagte Siewert, „würden wir uns nicht wehren." Dafür seien aber die Auftaktspiele besonders wichtig: „Es bedarf eines guten Starts, man muss in einen Flow kommen."
Umso gespannter verfolgte der Trainer die Spielplan-Veröffentlichung der Handball-Bundesliga (HBL) Mitte Juli. Die Füchse starten am 4. September mit einem Heimspiel gegen Frisch Auf Göppingen, darauf folgt das erste Auswärtsspiel bei der HSG Wetzlar, ehe wieder in der Max-Schmeling-Halle der TVB Stuttgart zu Gast ist. Der erste große Härtetest wartet in Ligaspiel vier (15. September), wenn es zum Duell bei der SG Flensburg-Handewitt kommt. „Es ist ein sehr interessantes und knackiges Auftaktprogramm", analysierte Siewert, der davor warnte, den Blick jetzt schon jetzt auf Flensburg zu richten. „Göppingen wird diese Saison ebenfalls international spielen, Wetzlar hat eine super Runde gespielt und ist noch stärker geworden. Auch Stuttgart wird keine leichte Aufgabe mit Silvio Heinevetter im Tor", so Siewert.
Doch kleinmachen müssen sich die Füchse nicht, sie zählen vor der kommenden Saison dank der auf dem Papier gelungenen Transferpolitik zu den Titelkandidaten. „Ich glaube, dass wir unsere Hausaufgaben rund um das Team gemacht haben", meinte Geschäftsführer Bob Hanning, „dass wir einen sehr guten Kader zusammengestellt haben, der sportlichen Erfolg möglich macht." Einen enormen Qualitätsschub soll Mathias Gidsel mitbringen, der dänische Jungstar gilt als kommender Welthandballer, schon jetzt waren mehrere internationale Topclubs hinter dem 23-Jährigen her gewesen. Doch die Füchse hatten schon vor einem Jahr den Zuschlag erhalten. Warum? Das wollte auch Hanning in einem Vier-Augen-Gespräch von Gidsel wissen. Dessen Antwort verrät viel über seine Einstellung: „Weil ihr euch am meisten bemüht habt. Und zum anderen, weil ich etwas gewinnen will, was ich nicht geschenkt kriege."
Auch Dari und Kirejew sind Verstärkungen
Neben Gidsel stellen auch der schwedische Kreisläufer Max Darj und der russische Nationaltorwart Wiktor Kirejew Verstärkungen dar. Linksaußen Tim Freihöfer soll sich nach seinem erfolgreichen Leihjahr beim 1. VfL Potsdam in der Bundesliga beweisen. Die Abgänge von Marian Michalczik, Viran Morros, Tim Matthes und Johan Koch sind verkraftbar. Der ohnehin exquisite Kader der Füchse hat also noch mal ein Upgrade bekommen. „Ich als Trainer kann mich erst mal glücklich schätzen", sagte Siewert, „aber jetzt müssen wir natürlich liefern. Und er will liefern. In der Sommerpause schaltete er nur kurz vom Handball ab, acht Tage in Essen mit Freunden und Familien, um dort die Hochzeitsfeier mit seiner Frau Lina nachzuholen – das war’s auch fast schon an Urlaub. Er könne „nur für ein, zwei Tage den Handball mal vergessen", gab Siewert zu, „er ist schon sehr präsent in meinem Leben, denn es gibt immer etwas zu planen oder zu organisieren, auch im Urlaub."
Vor allem, wenn man wie er so ehrgeizig und erfolgsbesessen ist. Das ist eine weitere Parallele zu Julian Nagelsmann, mit dem Siewert auch wegen des jungen Alters immer wieder verglichen wird. „Das nervt nicht", sagte Siewert betont gelassen, „und die Vergleiche und Fragen dazu sind weniger geworden." Genauso wie die Fragen nach möglichen Autoritätsproblemen wegen seines Alters. Die scheint es wirklich nicht zu geben, auch wenn Routinier Hans Lindberg zum Beispiel zwölf Jahre älter ist als der Trainer. Sein Erfolgsrezept: bei sich bleiben.
Und als zweifacher Familienvater kommt er bei der Mannschaft auch noch mal anders rüber als ein Heißsporn ohne Lebenserfahrung. „So kann ich mich in meine älteren Spieler leichter hineinversetzten und kann nachvollziehen, warum ein Kinderarztbesuch vielleicht mal wichtiger ist, als pünktlich beim Training zu sein", erklärte Siewert.