Gut Ding braucht Weile, lehrt ein altes Sprichwort. Der neue Armuts- und Reichtumsbericht für das Saarland hätte folglich ein besonders „gut Ding" sein können, denn die Veröffentlichung ließ lange auf sich warten. Er zeigt jedoch die strukturellen Probleme, die durch aktuelle Krisen verschärft werden.
Immer wieder mal war die Veröffentlichung des Berichts angekündigt, dann aber verschoben worden. Nach dem Regierungswechsel hat nun der neue Sozialminister Magnus Jung (SPD) das Werk vorgestellt, an dem seine Vorgängerin Monika Bachmann (CDU) ziemlich laborierte. Im Bericht sind die Folgen der jüngsten Entwicklungen wie Corona oder jetzt der Krieg in der Ukraine mit seinen Konsequenzen noch nicht erfasst. Trotzdem liefert er eine valide Basis und zeigt politischen Handlungsbedarf, weil er die strukturellen Probleme aufzeigt. Minister Jung hatte bereits zuvor als sein Ziel für diese Legislaturperiode die Halbierung der Armut im Saarland ausgegeben und das bei der Vorstellung des Berichts noch einmal bekräftigt. Allerdings mit Hinweis auf die aktuellen Entwicklungen, deren Auswirkungen derzeit nicht wirklich absehbar sind, auch wenn natürlich einige Szenarien diskutiert werden.
Unabhängig davon die ist Halbierung der Armutsquote schon in Normalzeiten ein überaus ehrgeiziges Ziel. Nach dem Bericht ist etwa jede sechste Person von Einkommensarmut gefährdet. Ein Zustand, der sich über die Jahre einigermaßen verfestigt hat. Das bedeutet, dass rund 160.000 Menschen pro Monat jeweils 60 Prozent oder weniger des landesweiten Einkommens-Medians beziehen, in harten Zahlen heißt das im Saarland: weniger als 1.010 Euro. Diese Zahlen erfassen, wie gesagt, noch nicht die sozialpolitischen Schäden der Corona-Pandemie, denn der Untersuchungszeitraum des Berichts endet 2019 beziehungsweise 2020. Man kann also von mehr armutsgefährdeten Menschen ausgehen. Im Vergleich zu den letzten Jahren ist eine Steigerung der Armutsrisikoquote – bezogen auf das Einkommen – zu sehen. Die Quote resultiert aus dem Verhältnis der Summe armutsgefährdeter Menschen zur Gesamtbevölkerung. 2005 lag sie bei rund 14 Prozent, 2020 bei ungefähr 16 Prozent. Laut Jung entwickelte sich das Saarland in vielen Punkten nicht wie der bundesweite Durchschnitt, so auch in diesem. Seit 2005 liegen die Quoten gleichbleibend oberhalb des bundesweiten Durchschnitts. Er erklärte weiter: „Armut ist insgesamt ein sehr relevantes Phänomen im Saarland, aber es verteilt sich regional sehr unterschiedlich." So hat St. Wendel mit rund sechs Prozent die niedrigste Quote, während Saarbrücken beinahe das Dreifache, und damit die höchste Quote, aufweist.
Besonders stark betroffen sind beispielsweise Ausländer, fast jeder zweite von ihnen gilt als armutsgefährdet. Das kann mit ihrer hohen Erwerbslosigkeit einhergehen. Auch kinderreiche Familien und Alleinerziehende gehören zu dem gefährdeten Teil, was oftmals mit zu niedrigem Arbeitseinkommen oder Arbeitslosigkeit der Elternteile in Verbindung steht. Zudem trete bei Paaren mit zwei Kindern seit 2017 zunehmend Einkommensarmut auf. Einen überproportionalen Anstieg des Armutsrisikos von circa vier Prozent gab es 2013 bis 2019 bei Kindern und Jugendlichen. Beinahe jedes vierte Kind unter 18 war nach dem Bericht 2019 relativ arm. Trotz eines leichten Rückgangs der Risikoquote war 2020 noch rund jedes fünfte Kind betroffen. Hier wird man auf den Zusammenhang zwischen armutsgefährdeten jungen Menschen ohne eigenes Einkommen und armutsgefährdeten Familien aufmerksam gemacht. Im Bericht ist auch von Vererbung der Armut die Rede. Allerdings würden die schulischen Abschlüsse Jugendlicher ebenso eine große Bedeutung haben. Demnach sind Menschen mit einem Berufsabschluss oder einem akademischen Abschluss seltener von Armut betroffen. Auffällig ist auch, dass die Einkommensrisikoquote von Menschen ohne Arbeit, die aber aktiv nach einer suchen, bereits vor 17 Jahren mit fast 46 Prozent hoch war und bis 2019 noch auf über 58 Prozent stieg. Darüber hinaus leiden alte Saarländer stark unter Armut, wobei Seniorinnen gefährdeter sind als Senioren. Zwar gelten mehr als zwei Drittel von ihnen als vermögend. Da es sich jedoch meist um Wohneigentum handelt, steigt das Armutsrisiko nach Abzug der Wohnkosten deutlich, sodass rund 20 Prozent relativ arm sind. Dieser Wert bezieht sich als einziger auf den bundesweiten Median.
Jung kündigte an, bei der Bekämpfung der Armut besonders die entsprechenden Quartiere wie Malstatt oder Burbach in den Blick zu nehmen (siehe auch Interview).
Der Bericht liefert auch über den Reichtum im Saarland interessante Daten: Jede 16. Person ist demnach einkommensreich und sechs bis acht Prozent einkommens- und vermögensreich. Als nur vermögensreich galten 2018 280.000 Saarländer. Außerdem wurde 2017 in der Einkommenssteuerstatistik veröffentlicht, dass es 131 Einkommensmillionäre im Saarland gibt. Als einkommens- oder vermögensreich werden Personen bezeichnet, die über 200 Prozent des jeweiligen Medians verfügen.
Die Diakonie Saar hat in ihrer Stellungnahme die Entwicklung innerhalb des Berichtszeitraums präzise zusammengefasst: „Die gute Nachricht: Die Armutsquote ist nahezu gleich geblieben. Die schlechte Nachricht: Die Armutsquote ist nahezu gleich geblieben." Der Bericht bestätige zudem die Erkenntnis: „Das Risiko, von Armut betroffen zu sein, steigt deutlich an, je geringer die Qualifikation ist."
Sozialverbände fordern derzeit vor allem kurzfristige Hilfen. Die Situation von Armutsbetroffenen und Menschen an der Armutsgrenze habe sich vor allem durch die Teuerung „deutlich verschärft". Das belegen die steigenden Zahlen der Beratungs- und Hilfesuchenden bei Beratungsdiensten, in der Wohnungsnotfallhilfe und vor allem bei den Tafeln. Deshalb müssten auch die Sätze angehoben werden, „mindestens um einen Betrag der die Inflation ausgleicht".
Bundeskanzler Scholz hat diese Themen mit zur Chefsache gemacht, eigens seinen Urlaub unterbrochen, um unter anderem zu versichern: „You’ll never walk alone. Niemand wird mit seinen Probleme alleine gelassen. Kein Bürger und auch kein Unternehmen."