Es ist eine ziemlich einmalige „Überlagerung" von Krisen, die die Politik vor Herausforderungen stellt. Corona, Inflation und Energiepreise sind einige aktuelle Stichworte dafür. Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird auch in der Landespolitik zu einem zentraleren Thema.
Er wirkt bei rekordverdächtigen hochsommerlichen Temperaturen vergleichsweise entspannt – und trotzdem gleichzeitig hochkonzentriert. Sein Terminkalender ist eng getaktet, die Bandbreite der Themen, mit denen er sich auseinandersetzt, beachtlich. Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit weist das Schild am Eingang des Ministeriums aus, an dessen Spitze Magnus Jung nun seit drei Monaten steht. Ein Ministerium, in dem die großen Probleme und Herausforderungen aufschlagen, oder genauer, deren gesellschaftlichen Folgen. Als Gesundheitsminister muss er mitten in der Sommerwelle die Vorbereitungen auf den nächsten Corona-Herbst auf den Weg bringen. Als Sozialminister sieht er sich mit einer Entwicklung konfrontiert, deren soziale Folgen noch nicht wirklich abzusehen sind, aber jetzt schon klar ist, dass es eine Herausforderung mit besonderer Dimension wird.
Magnus Jung hat nach dem Regierungswechsel Ende April ein Haus übernommen, das nach allgemeiner Beobachtung nicht unbedingt als das schlagkräftigste in der Vorgängerregierung galt. Dabei stand das Gesundheitsministerium spätestens seit Auftreten der Pandemie im besonderen Fokus. Das zumindest hat sich nicht geändert, eher im Gegenteil. Das Saarland liegt in dieser ersten heftigen Sommerwelle mit an der Spitze der Bundesländer, was Infektionszahlen – und die Folgen – betrifft. Und was im Herbst zu erwarten ist, darüber gibt es allenfalls Szenarien. Bei den derzeitigen Unklarheiten, Stichwort Diskussion um ein neues Infektionsschutzgesetz, ist es den zuständigen Landesministern nur begrenzt möglich, Vorbereitungen voranzutreiben. Undankbarer könnte eine Aufgabe, die vor Augen steht, kaum sein.
Gleichzeitig stehen die aktuellen Entwicklungen, unter anderem als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, derzeit ganz oben auf der Agenda der Sozialpolitik. Dass eine exorbitante Teuerungsrate und explodierende Energiekosten erhebliche soziale Folgen nach sich ziehen wird, sind Themen, die seit Wochen die Schlagzeilen beherrschen und die Politik auf allen Ebenen massiv beschäftigen. Nicht alles wird der Staat auffangen und ausgleichen können, betont Bundeskanzler Olaf Scholz, um gleichzeitig mit dem berühmten Zitat „You’ll never walk alone" das Versprechen abzugeben, niemanden mit den Problemen allein zu lassen. Für die Länder, und damit auch den saarländischen Sozialminister, gibt es bei diesen großen Baustellen unter anderem das Problem, das Magnus Jung mit der schlichten Feststellung auf den Punkt bringt: „Es geht nicht ohne den Bund." Die Formulierung eines neuen Infektionsschutzgesetzes (das derzeitige läuft im September aus) ist Bundessache, ebenso die Sozialgesetzgebung, und damit auch die immer wieder strittige Frage der Finanzierung.
„Sozial gerecht" erhält neuen Stellenwert
Die Warnung vor einer „Spaltung der Gesellschaft" ist nicht neu und inzwischen auch kein Alleinstellungsmerkmal mehr von bestimmten politischen Gruppen oder Parteien. Aber je inflationärer solche Begriffe gebraucht werden, umso nichtssagender wird die Warnung. Das wird umso problematischer, wenn sich Entwicklungen tatsächlich zuspitzen. Und das ist derzeit objektiv der Fall.
Sozialpolitik steht vor vielen gleichzeitigen Herausforderungen. Es gibt die schon in der Vergangenheit einigermaßen verfestigte strukturelle Situation von Armut und Armutsgefährdung, die auch im gerade vorgelegten Armuts- und Reichtumsbericht für das Saarland noch einmal umfassend dargestellt worden ist, woraus die Landesregierung Schlussfolgerungen für Schwerpunkte ihrer Arbeit setzen will. Zugleich gibt es die bekannten aktuellen Entwicklungen, die kurzfristige Maßnahmen erfordern. Darüber hinaus gibt es aber auch die latente Herausforderung in Folge der Transformation der Wirtschaft unter Überschriften wie Digitalisierung und Klimawandel. Zwangsläufig wird es auch dabei nicht nur Gewinner geben.
„Soziale Gerechtigkeit" hat längst einen anderen Stellenwert gewonnen. Was damit gemeint ist und wie es in praktische Politik umgesetzt werden soll und kann, wird in Teilen neu formuliert werden müssen.
Zum vollständigen Bild gehört aber auch die andere Seite, die der erlebten praktischen Solidarität. In außerordentlichen Zeiten findet diese viel öffentliche Aufmerksamkeit, um aber dann vergleichsweise schnell wieder in den Schlagzeilen Platz machen zu müssen für all die anderen Streit- und Konfliktthemen. Das Saarland darf sich, bei allen bekannten Problemen, nach wie vor einer Sonderstellung in Sachen gelebter Solidarität erfreuen. Und die wird nach allem, worauf wir uns absehbar einstellen müssen, in besonderer Weise gefordert sein. Dafür hat auch die Politik eine Verantwortung (siehe Interview Minister Jung ab Seite 4).