Gegen das Gas-Kalkül des Kremlchefs hilft nur radikale Energieeinsparung
Süffisant, zynisch, schulmeisterlich: Wenn der russische Präsident Wladimir Putin über den Westen redet, ist von allem ein bisschen dabei. „Ihr habt Probleme mit Gasknappheit? Dann nehmt doch einfach die Pipeline Nord Stream 2": Dieses vergiftete Angebot unterbreitete er den Europäern in der vergangenen Woche. Putin blendete dabei genüsslich aus, dass das russisch-deutsche Röhrensystem durch die Ostsee wegen des Ukraine-Krieges nicht ans Netz ging.
Man soll sich nicht täuschen lassen. Der Kremlchef hat einen Popanz aufgebaut, um die Gaslieferungen durch die ältere Pipeline Nord Stream 1 drastisch zu drosseln. Die vorübergehend aus dem Verkehr gezogene Gasturbine von Siemens Energy war nur ein Vorwand, um auf die Bremse zu treten. Putin macht sich einen Spaß daraus, den Westen zappeln zu lassen. Erst steigerte er den Gasdurchfluss nach der jährlichen Routine-Wartung von null auf 40 Prozent der Maximalkapazität. Seit vergangenem Mittwoch sind es nur noch 20 Prozent.
Es ist ein bewusst inszeniertes Wechselbad der Gefühle. Putin kann morgen oder nächste Woche einen Grund (er)finden, um den Gastransfer zu kappen. Der russische Präsident veranstaltet ein großes Verwirrspiel, um die Nerven der Bevölkerung in den EU-Ländern zu strapazieren. Er legt es darauf an, dass die ersten Regierungen schwach werden, weil sich gesellschaftlicher Druck aufbaut, wenn der Preis für Unternehmen und Verbraucher zu hoch wird. Putin will den Westen spalten. Sollte die Sanktionsfront bröckeln, hätte er sein Ziel erreicht.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat dies erkannt. Er benennt die Gefahren unmissverständlich: Putin sei ein „Unsicherheitsfaktor im Energiesystem". Der Gasdurchfluss von heute könne den Gas-Stopp von morgen bedeuten, warnt der Grünen-Politiker.
Doch Habeck ist nicht nur Klartext-Redner, wenn es darum geht, den Ernst der Lage zu beschreiben. Doch nun reicht es ihm nicht mehr, der erste Energieeinspar-Prediger der Nation zu sein. Wohl aus der Erfahrung heraus, dass Appelle nur begrenzt wirken. Der Wirtschaftsminister greift nun zu Vorschriften für Privathaushalte und Unternehmen. Dass Hausbesitzer künftig private Pools im Winter nicht mehr mit Gas beheizen dürfen, ist wohl noch am ehesten zu verschmerzen.
Doch verbindliche Heizungschecks für Wohnungseigentümer sind ein Einschnitt. Eine Wartung der Heizungsanlage kostet Geld, kann aber bis zu 15 Prozent der Energie einsparen und entlastet langfristig das Budget. Das Gleiche gilt für den Austausch ineffizienter Heizungspumpen. Dass die in manchen Mietverträgen enthaltene Klausel, in der Wohnung für eine Mindesttemperatur zu sorgen, künftig entfallen soll, darf man als zumutbar betrachten. Habeck schaltet den Energieeinspar-Turbo ein – auch bei Firmen. Wenn Räume, in denen sich Menschen nicht länger aufhalten, im Winter kalt bleiben, mag dies im Einzelfall ungemütlich sein. Aber mit entsprechend warmer Kleidung lässt sich Abhilfe schaffen.
Habecks Ansatz ist richtig: Die Menschen in Deutschland und Europa dürfen nicht wie das Kaninchen auf die Schlange nach Moskau starren. Jetzt ist es wichtig, gemeinsam in einem Breitband-Paket zu handeln und die Initiative zurückzugewinnen. Das Fernziel der ökologischen Transformation hin zu mehr Energie aus Wind, Sonne, Biomasse und Wasserstoff muss mit noch mehr Tempo angepackt werden.
Gleichzeitig ist die Diversifizierung der Wirtschaft Trumpf, um die Abhängigkeit von Russland herunterzufahren. Es ist dem ehemaligen Grünen-Chef Habeck hoch anzurechnen, dass er über seinen ideologischen Schatten springt und dabei auch lang geltende Tabus knackt. Er holt nicht nur Kohlekraftwerke aus der Reserve, sondern ab dem 1. Oktober auch die verpönten Braunkohlekraftwerke. Es ist der neue Pragmatismus in Kriegszeiten. Sehr wahrscheinlich wird es am Ende auch zu einer befristeten Laufzeitverlängerung für die drei noch aktiven Atomkraftwerke kommen.
Habecks Krisen-Katalog mag dem einen oder anderen als zu hart erscheinen. Aber in der Summe sind die Maßnahmen besser zu verkraften als der Notfall-Plan Gas. Die Bundesnetzagentur müsste dann die Rationierung für die Wirtschaft vornehmen. Es wäre ein Keulenschlag für viele Betriebe – mit unkalkulierbaren Konsequenzen. Besser jetzt vorbeugen.