Hollywoodstar Chris Pine spricht mit uns über seinen Film „The Contractor", warum er Schauspieler geworden ist und was ihm Ruhm und Reichtum bedeuten. Was dabei überrascht, sind seine erfrischende Offenheit und seine philosophischen Abschweifungen.
Mr. Pine, wenn Sie Drehbücher lesen, entsteht da schon Ihr eigener Film im Kopf?
Natürlich studiere ich zuerst meine Rolle und achte vor allem auf den Text. Aber bei guten Drehbüchern entstehen auch gleich Bilder im Kopf. Und dabei
frage ich mich schon, wie diese oder jene Szene später auf der Leinwand wirken wird. Diesmal hat mich eine Sequenz total fasziniert, die am Ende des Drehbuchs beschrieben wird. Meine Figur schwimmt am Rande einer Öl-Raffinerie aus einer dreckigen Wasserlache langsam aufs offene Meer hinaus und sieht eine leere Cola-Dose vorbeitreiben. Ich dachte: Was für ein starkes Bild, das den Zustand der Welt, in der wir uns befinden, so treffend auf den Punkt bringt!
Diese Sequenz gibt es in „The Contractor" aber gar nicht.
Ja, leider wurde sie herausgestrichen. Trotzdem fand ich das Drehbuch sehr gut, und es hat mich auch überrascht. Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte nämlich ziemlich oberflächlich oder gar banal: Der US-Elitesoldat James Harper, den ich spiele, wird nach einer Kriegsverletzung unfreiwillig aus der Armee entlassen und steht plötzlich vor dem Nichts. Er ist hoch verschuldet und weiß nicht mehr, wie er für sich und seine Familie sorgen soll. Also schließt er sich für viel Geld einer privaten Militärfirma an und gelangt nach Osteuropa, um dort eine gefährliche Mission durchzuführen, die natürlich total aus dem Ruder läuft. So etwas Ähnliches haben wir schon oft gesehen …
Wie recht Sie haben.
Aber beim zweiten Lesen hat mich die Komplexität der Geschichte sehr beeindruckt. Im Grunde genommen ist „The Contractor" nämlich eine Charakterstudie, eine sehr aufschlussreiche Zustandsbeschreibung der amerikanischen Nation im Kleid eines Actionthrillers. Und die Action-Sequenzen sind wirklich großartig! Was mich aber noch viel mehr gereizt hat, war, wie dieser Film zeigt, wie wir unsere Lebensgeschichte zurechtbiegen, um uns die Welt irgendwie zu erklären und unsere Rolle darin.
Geschichten zu erzählen ist doch etwas eminent Menschliches. Immerhin arbeiten Sie in einer Branche, die ausschließlich davon lebt …
Ja, aber ich sehe das in einem größeren Zusammenhang. Das Erzählen von Geschichten – von Mensch zu Mensch, von einer Generation zur nächsten – hat ja über die Jahrtausende unsere Lebensphilosophie geprägt, und natürlich auch unser historisches Gedächtnis. Genauso sind ja auch die Ideen in die Welt gekommen: die Idee „Demokratie", die Idee „Amerika", Ethik, Moral, Gerechtigkeit und so weiter. Das sind alles immaterielle Dinge, die vorher nicht in der Welt waren, und die man auch nicht anfassen konnte, anders als ein Stück Holz oder einen Stein.
Glauben Sie wirklich, der durchschnittliche Kinozuschauer, der ein Ticket für einen Action-Reißer mit Chris Pine gelöst hat, macht sich darüber Gedanken?
Natürlich will und soll ein Film vor allem unterhalten. Und dieses Versprechen löst „The Contractor" ganz sicher ein. Es gibt viel harte Action im Film. Dabei wird nicht nur geschossen; sehr blutige Nahkämpfe und spannende Verfolgungsjagden sind auch mit dabei. Und dieser James Harper ist wahrlich kein netter Typ. Er versucht zwar, sich und seine Familie zu schützen – aber um welchen Preis! Er ist ein Killer, der Leben auslöscht. Aber es gibt darin eben noch weitere Ebenen. In den ersten 30 Minuten passiert nicht viel. Das ist eigentlich ein sensibel inszeniertes Familienporträt. Wir sehen, wie James, gesundheitlich schwer angeschlagen, aus der Armee entlassen wird. Er hat keine soziale Absicherung mehr. Keine Perspektive. Mental ist er fast völlig fertig. Das passiert also in den USA mit Soldaten, die verwundet aus dem Krieg zurückkommen? Eingesaugt und ausgespuckt? Ich hoffe wirklich, das öffnet den Zuschauern die Augen! Wenn sich auch die Leute darüber Gedanken machen, habe ich meinen Job getan.
James Harper definiert sich durch den Werte-Kodex der US-Armee, wo Pflichtgefühl, Vaterland und Ehre eine zentrale Rolle spielen. Wie würden Sie sich selbst definieren?
Das ist eine große Frage, die eigentlich eine lange Antwort erfordert. Aber generell gesprochen finde ich es sehr wichtig, dass ich immer noch sehr offen für Neues bin. Und neugierig. Ich will dazulernen, mehr wissen. Über die Welt, die Menschen und auch über mich selbst. Mein Motto ist: in reverencia semper – in Ehrfurcht, allezeit! Ich weiß so wenig, aber ich staune täglich über die Welt. Oder anders gesagt: Ich lebe die Frage.
Sie kommen aus einer Familie von Schauspielern. Gab das den Ausschlag, dass Sie selbst einer wurden? Hatten Sie nie andere Ambitionen?
(lacht) Mir stand die ganze Welt offen! Ich hatte so viele Optionen, dass ich sie gar nicht zählen konnte. Ich habe mich dann auch hier und dort ausprobiert, aber ich war in nichts wirklich gut. Was ich allerdings ganz hervorragend konnte, war Bücher lesen. Als junger Mann habe ich mich sehr für die englische Literatur interessiert. An der University of California in Berkeley habe ich dann auch meinen Bachelor of Arts in Englisch gemacht. In Berkeley bin ich in eine Theatergruppe gegangen und habe schon bald auf der Bühne gespielt. Aber ich bin sicher nicht aus dem Grund Schauspieler geworden, um die Familienfahne der Schauspielerei hochzuhalten. Sicher, meine Eltern waren Schauspieler, und dadurch bin ich gewiss unterbewusst beeinflusst worden. Aber auch die Schattenseiten des Berufs habe ich früh mitbekommen. Wenn keine Engagements da waren, kein Geld auf der Bank, die ganzen Existenzsorgen eben. Mir ist die Schauspielerei einfach passiert, das war wohl mein Schicksal (lacht). Und das habe ich nie infrage gestellt, sondern schnell akzeptiert.
Sie glauben an die Macht des Schicksals, an Karma …
… ja, ich glaube ganz fest daran, dass die Energie, die man aussendet, wieder zu einem zurückkommt. Wenn ich also positive Schwingungen aussende, dann schickt mir das Universum hoffentlich gute Dinge. Und ich bin mir auch sicher, dass alles, was einem passiert, einen bestimmten Grund hat. Nichts im Leben geschieht zufällig. Wichtig ist, daraus etwas zu lernen und daran zu wachsen. Ich habe definitiv eine sehr spirituelle Einstellung zum Leben.
Im August werden Sie 42 Jahre alt. Seit 20 Jahren sind Sie im Filmgeschäft. Blicken Sie doch einmal kurz zurück. Was geht Ihnen da durch den Kopf?
Ich bin sehr glücklich darüber, dass alles so fantastisch gut für mich gelaufen ist. Wenn Sie mir vor 20 Jahren prophezeit hätten, dass ich so eine Karriere haben würde, ich hätte Sie für verrückt erklärt. Schon seit längerer Zeit bin ich in der Position, nur die Angebote anzunehmen, die ich wirklich annehmen will. In Hollywood Nein sagen zu können ist ein großer Luxus.
Dieses Standing haben Sie wohl vor allem Ihrer Mitwirkung als Captain Kirk in dem neu aufgelegten „Star Trek"-Franchise zu verdanken, nicht?
(lacht) Natürlich. Mich treiben schon lange keine Gagen-Forderungen an. Zu Beginn meiner Karriere war ich natürlich sehr motiviert, möglichst viel Geld zu verdienen. Denn finanzielle Sicherheit bedeutet doch vor allem: Freiheit. Jetzt habe ich mehr als genug Geld. Ich brauche mir wirklich keine Zukunftssorgen zu machen. Meine Prioritäten haben sich im Laufe der Zeit also sehr verändert. Zwar will ich mit meiner Arbeit immer noch unterhalten, das ist mir nach wie vor wichtig. Aber der Fokus liegt eindeutig darauf, dass ich auch den künstlerischen und kreativen Aspekt nicht außer Acht lasse.
Das kann auch heikel werden. Denn alles, was Sie machen, geht ja dann auf Ihre Kappe, oder?
Genau, und dafür übernehme ich die volle Verantwortung. Aber das mache ich sehr gern. Ich habe alles erreicht – und sogar weit übertroffen –, was ich mir als junger Mann gewünscht habe. Wissen Sie, großer Erfolg ist vielschichtig. Man ist dann auch in einer Position, zu delegieren. Viele alltägliche Verrichtungen werden mir abgenommen. Aber da, wo es zählt, bin ich zur Stelle und übernehme. Sie haben mich vorher gefragt, wie ich mich selbst definiere. Die Wahrheit ist, dass ich mich eigentlich total neu definieren muss. Und das ist tatsächlich viel angsteinflößender, als es früher für mich war. Die Welt ist weit offen. Das ist ein echtes Abenteuer. Und die Verantwortung, es auch gut zu bestehen, liegt einzig und allein bei mir.