Der deutsche Fußball trauert um eines seiner größten Idole: Uwe Seeler ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Mit „Uns Uwe" geht eine Ikone und vor allem ein wunderbarer Mensch.
Es sind bemerkenswerte Worte: „Ich finde das Schönste im Leben ist normal zu sein. So bin ich und so will ich auch bleiben." Das sagte einer über sich, dessen enorme Beliebtheit auf genau dieser Haltung fußte: normal zu sein. Uwe Seeler, der die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1966 als Kapitän in das legendäre WM-Endspiel auf den Rasen von Wembley geführt hatte, ist in der vergangenen Woche im Alter von 85 Jahren gestorben. „Uns Uwe" kam am 5. November 1936 zur Welt, sein fußballerisches Talent dürfte ihm der Vater in die Wiege gelegt haben: Erwin Seeler war ebenfalls Stürmer und bis in die 1940er-Jahre einer der populärsten Fußballer Hamburgs – die ganz großen Erfolge blieben allerdings aus. Dafür dürften er und Mutter Anny spätestens ab 1954 vor Stolz geplatzt sein. Der 17-jährige Uwe spielte bereits seit acht Jahren in der Jugend des Hamburger Sport-Vereins, ehe sein Förderer Günter Mahlmann ihn zu HSV-Cheftrainer Martin Wilke schickte. Seeler nutzte seine Chance sofort: In seinem ersten Oberliga-Spiel, die Bundesliga gab es damals noch nicht, schoss er beim 3:0 gegen den VfB Oldenburg das zwischenzeitliche 2:0. Drei Wochen zuvor empfahl er sich beim 8:2-Pokalderby-Erfolg gegen Holstein Kiel bereits mit vier Toren. Dieser Trend sollte anhalten: In den folgenden Oberliga-Jahren hörte Seeler nicht auf zu treffen, zwischen 1954 und 1962 erzielte er 267 Tore in 237 Einsätzen.
Lukrative Angebote aus Italien
Einer, der dieses Potenzial früh erkannt hat, war Bundestrainer-Ikone Sepp Herberger. Direkt nach dem WM-Triumph von Bern 1954 nominierte Herberger den 17-jährigen Seeler für die A-Nationalmannschaft. Beim Debüt im Oktober 1954 blieb er beim 1:3 gegen Frankreich allerdings torlos. Seinen Durchbruch schaffte der junge Stürmer während der WM 1958 in Schweden: Gemeinsam mit den DFB-Legenden Helmut Rahn und Hans Schäfer bildete Seeler den Angriff. In den Gruppenspielen gegen Argentinien und Nordirland gelang ihm jeweils ein Treffer, allerdings verletzte er sich beim Halbfinal-Aus gegen Gastgeber Schweden, weshalb er am Spiel um Platz drei gegen Frankreich nicht teilnehmen konnte. Doch Uwe Seeler, der sich auf und neben dem Platz immer durch seinen Kampfgeist ausgezeichnet hatte, erholte sich bald und traf wieder, wie er wollte. Bundestrainer Herberger setzte weiterhin auf den jungen Angreifer, über den er einmal sagte: „Es gibt zweifellos spielerisch weitaus bessere Spieler. Aber keiner besitzt das Talent wie Uwe Seeler, auf engstem Raum gegen die stärkste Bewachung so viel Wirkung zu erzielen." Das entging auch den Fachleuten in Italien nicht, die Serie A war damals die erste Liga, die internationale Stars mit viel Geld lockte. Dass Seeler das 1,2-Millionen-D-Mark-Angebot von Inter Mailand 1961 ablehnte und sich für „unser Häuschen, unsere Familien und unsere sichere Zukunft" entschied, machte ihn endgültig zum Volkshelden. So war es nur konsequent, dass Seeler 1961 ersatzweise erstmals als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft auflief. In seinem ersten Spiel mit der Binde am Arm traf Seeler beim 5:1 gegen Dänemark dreifach – alle drei Tore machte der nur 1,68 Meter große Stürmer mit dem Kopf. Zur WM 1962 in Chile kehrte jedoch der etatmäßige Kapitän Hans Schäfer zurück in die Mannschaft. Erst nach der WM, bei der Seeler erneut zwei Tore in der Gruppenphase schoss, aber das 0:1 im Viertelfinale gegen Jugoslawien nicht verhindern konnte, wurde Seeler endgültig Spielführer des Nationalteams. Und als solcher führte er das deutsche Team in eines der legendärsten Spiele der deutschen Fußball-Geschichte: Das Endspiel der WM 1966 in England ist bis heute unvergessen, der Ausgang bekannt. Dank des Wembley-Tors, mit dem sich in Großbritannien Geoff Hurst unsterblich gemacht hat, blieb Uwe Seeler der WM-Titel verwehrt.
„Nur ein Steak am Tag essen"
Auch in der Bundesliga erreichte Seeler Heldenstatus. In 476 Pflichtspielen für den HSV erzielte der Torjäger aus Hamburg-Eppendorf 404 Tore und gilt damit als einer der besten Fußballer seiner Zeit. 137 Tore und 36 Vorlagen stehen für ihn in der Bundesliga zu Buche. In Erinnerung werden die Kopfbälle des nimmermüden Angreifers bleiben, besonders das Hinterkopftor 1970 im WM-Viertelfinale in Mexiko zum 2:2 für Deutschland gegen England.
„Uns Uwe" war eine Fußball-Ikone von unglaublicher Strahlkraft. Das ging weit über die Landesgrenzen hinaus. 1961 kam ein Millionen-Angebot von Inter Mailand. Das schlug er aus und blieb in Hamburg. Sein Credo: „Man kann nur ein Steak am Tag essen." Trainer Helenio Herrera, der drei Tage mit Seeler verhandelt und immer mehr Gehalt draufgepackt hatte, war am Ende geschockt. Noch nie, gestand er, habe er jemanden erlebt, der auf so viel Geld verzichtete. So spielte Seeler weiter bei den Hanseaten, arbeitete dazu als Repräsentant für Adidas und fuhr an die 70.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto. „Das Schönste auf der Welt ist doch, normal zu sein", sagte der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes später. „Ich bin stinknormal, und das gefällt mir." Der HSV war für Seeler bis zu seinem Tod eine Herzenssache. Er unterbrach sogar seine Urlaube in seinem Nordseedomizil in St. Peter-Ording, um die Heimspiele des Teams zu sehen. So verdarb er sich in den mageren Bundesliga-Jahren manches Wochenende – und das von Ehefrau Ilka gleich mit.
Inbegriff der Bescheidenheit
Die Familie stand für den „Dicken" oder „Mäuschen", wie seine Ilka ihn liebevoll nannte, stets im Mittelpunkt. In jungen Jahren nahmen die ehemalige HSV-Handballerin und die drei Töchter viel Rücksicht auf den erfolgreichen Nationalstürmer. Vor Punktspielen war er so nervös, dass die Kinder auf Strümpfen durch das Haus schleichen mussten. Später organisierten sie nicht nur seinen Kalender und managten die vielen Termine – sie waren auch sein Rückhalt. Ihren Mann nannte Ilka den ruhigeren, ausgeglichenernen Part in der Ehe. 63 Jahre waren sie verheiratet. Schon in jungen Jahren machte Seeler schmerzhafte Erfahrungen mit dem Tod. Vater Erwin, ein Hamburger Schutenführer, und Bruder Dieter starben früh. Im Alter machten ihn die zunehmenden Beerdigungen in seinem Freundeskreis immer nachdenklicher. Bei einem unverschuldeten Autounfall vor dem Elbtunnel wurde er im Sommer 2010 so schwer verletzt, dass er in den vergangenen Jahren mehrmals am Rücken operiert werden musste. Auf dem rechten Ohr hörte er nichts mehr. Später bekam er einen Herzschrittmacher. Den geliebten Golfsport und das Radfahren musste er aufgeben, Spaziergänge mit dem Hund aber blieben ihm.
Deutschlands erster Fußballer des Jahres war in den vergangenen Jahren in seinem Haus in Norderstedt mehrmals gestürzt. Einmal hatte er sich dabei die rechte Hüfte und drei Rippen gebrochen. Ihm war daraufhin ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt worden. Danach musste er einen Gehstock nutzen. Bei einem Sturz in diesem Jahr hatte er sich einen Finger gebrochen und das rechte Schienbein aufgerissen. Jammern wollte er aber nie. „Es könnte besser sein. Aber ich bin zufrieden", antwortete er stets auf besorgte Fragen.
Er war ein Inbegriff an Bodenständigkeit, Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Treue. Die Popularität des einstigen Torjägers par excellence gründete sich nicht nur auf dem sportlichen Ruhm mit Hinterkopftoren und Fallrückziehern, sondern auch auf seine menschlichen Qualitäten. Das zeigt sich auch darin, wie viel Anteilnahme der trauernden Familie zuteil wird. Wurde Uwe Seeler nach den größten Fehlern in seinem Leben gefragt war die Antwort immer die gleiche: „Ich bereue nichts im Leben, aber ein-, zweimal hätte ich auf meine Frau hören sollen: Wir hätten tatsächlich kein Schwimmbad bei uns im Haus bauen müssen; und Ilka hat mir damals auch davon abgeraten, das Präsidentenamt anzunehmen."
So war Uwe Seeler eben. Er hatte immer auch eine Menge Humor. Wenn er mit seinen alten Freunden zusammentraf, blühte auch in den letzten Jahren regelmäßig der Flachs. Hier ein Spruch für Kumpel Horst Schnoor, da ein augenzwinkernder Seitenhieb auf Eddy Münch und dort eine Spitze für Dieter Matz. Und natürlich immer mal wieder ein fast spitzbübisches Lächeln für seine Ilka. Wen wundert es da, dass er, einmal zum Thema Tod befragt, breit grinsend antwortete: „Keine Angst, auch im Himmel wird Fußball gespielt …" Ruhe in Frieden, Uwe Seeler. Und gutes Spiel.