Nach einem Jahrzehnt der Midi-Dominanz und als modischer Gegenpol zum aktuell ebenso mega-angesagten Micro-Skirt haben die Designer diesen Sommer die maximale Saumlänge wiederentdeckt. Damit feiert der Maxi-Rock ein Comeback in der Mode.
Darauf muss frau erst mal kommen: Denn ausgerechnet Heidi Klum, für die in ihrer umstrittenen Show „Germany’s Next Top-Model" kein Rocksaum an ihrem Körper zu kurz sein kann, als Protagonistin für den aktuellen Maxi-Trend herauszustellen, wie es die deutsche Ausgabe des Magazins „Elle" jüngst getan hat, ist schon ziemlich bizarr. Mal abgesehen davon, dass sich kein Designer dieser Welt auch nur einen Deut darum scheren dürfte, was die gebürtige Bergisch Gladbacherin in ihrer US-amerikanischen Wahlheimat beim Alltagsspaziergang am liebsten zu tragen pflegt. Weil Frau Klum eben keineswegs ein (ehemaliges) Supermodel ist, wie es die „Elle" mal wieder fälschlich und in Wiederholung der in hiesigen Klatschblättern dauerhaft verbreiteten Meinung behauptet hat. Diesbezüglich kann frau getrost dem Urteil des verstorbenen Modepapstes Karl Lagerfeld vertrauen: „Für mich war sie nicht top." Weil König Karl sie schlichtweg nicht einmal in einer Liga mit deutschen Laufsteg-Ausnahmekönnerinnen wie Claudia Schiffer, Nadja Auermann oder Tatjana Patitz gesehen hatte. Zudem war der von Heidi Klum getragene Maxi-Skirt in bequemem A-Linien-Schnitt und dezenter Farbgebung zu schlichten Sandalen und der obligatorischen XXL-Sonnenbrille nicht gerade ein besonders gelungener Kreativ-Entwurf. Dabei wurde die Marke auch gar nicht erst genannt, sondern blieb meilenweit hinter aktuell wesentlich interessanteren Skirts in Röhren-Optik zurück.
Atemberaubende Maxis bei Dior
Internationale Medien richteten den Blick in Sachen Maxi-Comeback dann auch vor allem in Richtung Jennifer Lopez. Die hatte sich doch tatsächlich getraut, einen Jeansrock in maximaler Länge vorzuführen, während auf den Laufstegen für diesen Sommer unverändert die Denim-Midi-Variante dominiert hatte. Okay, das war schon ziemlich mutig und etwas Neues, das es lange nicht mehr gegeben hat. Vor allem musste Lopez für das Aufspüren des langen Denim-Pieces fraglos etwas Aufwand betreiben. Laut der englischen Ausgabe von „InStyle" könnte sie beim in den 1990er-Jahren gehypten Spezialisten „Delia" fündig geworden sein, der nach überwundener Insolvenz unlängst wieder mit einem neuen Katalog zur Stelle war. Tatsächlich stammte der von J-Lo highwaisted bis über den Bauchnabel zu einem Rollkragenpullover im Cropped-Schnitt getragene Rock im Patchwork-Style aus der Kollektion von Dior. Das Pariser Traditionshaus hatte atemberaubende Maxis sogar in seiner Haute-Couture-Schau für den Sommer 2022 eingebaut. Aktuell sind schöne Maxi-Denim-Röcke neben den Dior-Exemplaren in tiefdunklem Blau beispielsweise in den Sommerkollektionen von Free People oder Dia & Co vertreten. „Ganz klar, J-Lo ist ein Maxi-Fan", so die „InStyle", „aber sie ist bei Weitem nicht die Einzige. In den letzten Monaten wurden Rachel Brosnahan, Kate Hudson und Emily Ratajkowski alle in Maxiröcken gesehen, was beweist, dass der Look bei Prominenten und ihren Stylisten beliebt ist".
Statt den aktuellen Maxi-Trend mit einzelnen Promi-Ladys in Verbindung zu bringen, wurde mehrheitlich in diversen Fashion-Publikationen auf die Netflix-Erfolgsserie „Bridgerton" verwiesen und ein Zusammenhang mit dem sogenannten Regencycore hergestellt. Allerdings würde das bedeuten, dass sich die Designer für eine mögliche Inspiration ziemlich viel Zeit gelassen hatten, schließlich war das Format mit seiner ersten Staffel schon Ende 2020 an den Start gegangen. Viel einfacher lässt sich das Comeback des Maxi-Rocks wohl damit erklären, dass in jüngster Zeit die 90er- und Nuller-Jahre wieder verstärkt auf den Bildschirm der internationalen Kreativchefs zurückgekehrt sind. Und dass diese dabei auf den seit gut einem Jahrzehnt kaum noch beachteten Rock mit langem Saum gestoßen waren. Sie dürften die Chance gewittert haben, dem vor allem von Miuccia Prada aktuell besonders gepushten Trend zum Micro-Mini eine modische Antipode entgegenstellen zu können. Weil viele Frauen weltweit scheinbar nur ungern ihre Beine in den ultrakurzen Röcken dieses Sommers präsentieren möchten.
Toll für die Frauen, dass sie diese Saison in Sachen Rock zwischen zwei Extremen ihre Wahl treffen können. „Der Maxi-Rock bildet in dieser Saison das erfrischende Gegenstück zu den kurzen Mikro-Röcken", so die deutsche „Vogue", „und wird 2022 in sämtlichen Ausführungen getragen. Die Maxi-Modelle aus den 90er-Jahren sind zurück auf den Laufstegen und zeigen auch heutzutage noch, wie lässig und elegant sie zugleich wirken können". Auch für die deutsche „Elle" ist der Maxi-Rock 2022 „der lässig-elegante Modetrend, der aus den 90ern zurück ist". Wobei das Magazin seine Leserinnen an den grünen Seiden-Maxi (zur farblich passenden, nicht ganz zugeknöpften und den Bauchnabel freilassenden Bluse) erinnerte, den Schauspielerin Gwyneth Paltrow in der Charles Dickens-Verfilmung „Große Erwartungen" 1998 getragen hatte (wer immer mit dem Streifen heute noch etwas anfangen kann).
Lange Modelle auf Laufstegen zurück
Bei Chanel kommt der Maxi als schlichte Röhrenversion in Schwarz daher. Khaite präsentierte eine transparente Glitzer-Version, die durch die Kombi- nation mit einem Oversize-Hoodie eine leichte Grunge-Attitüde erhalten hatte. Aber auch ein röhrenförmiges Plissee-Skirt hat das New Yorker It-Label in seinem aktuellen Sortiment. Auch das französische Modehaus Givenchy setzt auf die Röhren-Variante aus schwarzer Seide, das Gleiche gilt für Nina Ricci, wobei auch dieses Label einen bewussten Stilbruch durch die Kombination mit Bustier-Top und Oversize-Blazer vorgeschlagen hat. Auch Crop-Tops oder übergroße Hemden als Partner können das Outfit mühelos Richtung Coolness abwandeln. Wem mehr der Sinn nach A-Linien-Schnitten steht, der wird bei Gucci, Giambattista Valli oder Tory Burch bestens bedient werden.
Auch die Marken Staud, Erdem, Altuzarra, Peter Do, Chloé, Coperni, Our Legacy, Bevza oder Saint Laurent mischen beim Maxi-Comeback kräftig mit, wobei gelegentlich pfiffige Cut-outs oder eine dezente Drapierung den Minimalismus der Röcke aufbrechen können. Nicht zu vergessen sind einige Label-Geheimtipps, die Maxi schon seit jeher zu ihrem persönlichen Markenzeichen gemacht haben – beispielsweise die italienischen Brands La DoubleJ und Forte Forte oder das Haus Plan C. Vor allem dem Schuhwerk wird in so ziemlich allen Publikationen die Aufgabe übertragen, den kaum abgewandelten Look aus den 90er-Jahren für 2022 alltagstauglich zu machen. „Flache Schuhe. Gerne mit klobiger Sohle oder als Platforms", so die deutsche „Elle", „das treibt den 90er-Look dieses Modetrends auf die Spitze". Natürlich gehen auch Sandalen oder Turnschuhe. An Material ist alles vertreten, was frau sich nur wünschen kann, von Seide über Mesh oder Sommerstrick bis hin zu Tüll ‒ da war doch was? Ach ja, Sarah Jessica Parkers alias Carries Tutu-Rock. Und wer etwas mehr Bein zeigen möchte, sollte sich für geschlitzte Maxi-Varianten entscheiden.