Polizei, Kommunen, Flüchtlinge, Olympia. Über einen Mangel an aktuellen Herausforderungen kann sich Innen- und Sportminister Reinhold Jost nicht beklagen. Eine Bestandsaufnahme nach gut drei Monaten in neuer Funktion.
Reinhold Jost kennt das Regierungsgeschäft. Seit acht Jahren sitzt er am Kabinettstisch und sagt über sich: „Die Lust am Verändern ist geblieben." Bedarf an Veränderung gibt es in seinen neuen Aufgabenfeldern reichlich. Mit dem Regierungswechsel ist der SPD-Politiker und bis dahin Umwelt- und Verbraucherschutzminister nun zuständig für Inneres, Bauen und Sport, und somit Nachfolger von Klaus Bouillon (CDU), mit dem er in der Vergangenheit in der Großen Koalition an einigen Stellen durchaus gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet hat. Was nicht bei allen Genossen große Freude ausgelöst hat. Baustellen im wörtlichen und im übertragenen Sinn hat Jost von seinem ehemaligen Ministerkumpel ausreichend geerbt. Polizei und Kommunen sind nur zwei Stichworte.
Bevor sich Jost in die aktuellen Debatten insbesondere um die Polizei stürzt („Habe nicht vor, mich an allen Wortgefechten zu beteiligen"), bricht er erst einmal eine Lanze für seinen Vorgänger. Der habe einiges für die Polizei erreicht: Ausstattung, Ausrüstung, große Neubauprojekte. Insgesamt neun sogenannte Sicherheitspakete hatte Bouillon gegen Ende der Legislaturperiode selbst bilanziert.
Das ändert aber nichts an strukturellen und damit eingehergehenden personellen Herausforderungen. Die SPD hatte im Wahlkampf Abhilfe versprochen. 150 Polizeianwärter pro Jahr sollten wieder zu einem Aufwuchs der Personalstärke führen. Aber schon der erste Haushaltsentwurf der SPD-Regierung rief die CDU-Opposition auf den Plan, standen darin doch deutlich weniger Anwärter drin. Die Diskussionen um die Anzahl gehört seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, zum obligatorischen parlamentarischen Streitthema.
Dauerstreit um Polizeistellen
Die Materie erweist sich bei näherem Hinsehen als komplex. Bei den aktuellen Zahlen sieht die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Trendwende, auch wenn sie natürlich wegen chronischer Unterpersonalisierung gerne „ein Vielfaches" gesehen hätte. Den rund 120 Anwärterinnen und Anwärtern stünden deutlich weniger Pensionierungen im nächsten Jahr gegenüber, macht also ein Plus. Aber das ist nur ein Teil der komplexen Wirklichkeit.
Jost zeigt sich unter anderem besorgt über die Abbrecherquote bei der Polizeiausbildung, um die zehn Prozent. Damit relativiert sich die Aussagekraft der Neueinstellungen. Jost formuliert etwas plakativ: „Ich will weniger Verbrecher, aber auch weniger Abbrecher." Eine Idee ist etwa, in einer Fachoberschule Polizei bereits Grundzüge der Arbeit zu vermitteln, damit auch jungen Menschen die Entscheidung erleichtert wird, sich für diesen Beruf zu entscheiden. Dabei könnten auch Hospitanzen bei der Polizei dienen.
Zugleich sieht sich die Polizei nicht erst seit gestern der generellen Herausforderung sinkender Bewerberzahlen gegenüber – bei einem gleichzeitigen Zuwachs an Aufgaben.
Mit dem Nachwuchsproblem steht das Saarland nicht allein, meint Jost und verweist dabei nicht nur auf andere Bundesländer, sondern auch auf die Luxemburger Nachbarn. Die hätten von 200 Stellen nur 120 besetzen können, und das bei sicherlich anderen finanziellen Spielräumen. Der gelegentlich vorgetragenen Forderung, Standards bei Einstellungen abzusenken, um damit mehr Interessenten den Zugang zu ermöglichen, erteilt Jost eine klare Absage.
Von der Belastung hat sich der neue Minister bei Besuchen in den Inspektionen ein unmittelbares Bild machen können. Mancher komme „nicht mehr aus der Uniform raus".
Statt angesichts der Situation beim Finanzminister um mehr Stellen zu kämpfen, will Jost zunächst an Strukturen ran. Dass ausgebildete Polizisten auch schon mal mit reinen verwaltungstechnischen Aufgaben betraut sind, damit folglich im Einsatz fehlen, ist keine grundlegend neue Situation. Auch nicht, dass es in gewachsenen Systemen Doppel- und in Einzelfällen vielleicht sogar Dreifachstrukturen gibt. Jost vermutet folglich noch Potenzial und will das mit einer entsprechenden Analyse sichtbar machen. Vorrangiges Ziel sei dabei weder, Personal abzubauen noch die Forderung nach mehr Personal zu begründen, sondern Abläufe zu optimieren. In den Strukturen gerät man in eine Gemengelage aus Beamten, Tarifbeschäftigten und Verwaltung. Wer da ran will, wird sich auf „Zores und Palaver" gefasst machen müssen, ahnt der Minister.
Kommunen finanziell noch mehr unter Druck
Etliche der aktuellen Probleme haben weit zurückliegende Ursachen. Eine davon ist zum Teil die Schuldenbremse, eine andere ein Gutachten der Beratungsfirma PwC von vor etwas mehr als zehn Jahren. Grundannahme darin: eine sinkende Bevölkerungszahl im Saarland – und damit sinkende Kriminalitätszahlen. Was die Gutachter nicht auf dem Schirm hatten, sind beispielsweise neue Deliktfelder wie Kriminalität im Internet, von Betrug bis Kinderpornografie. Dafür braucht es mehr und vor allem speziell ausgebildetes Personal.
Die zweite große Baustelle ist die grundsätzliche Situation der Kommunen, aktuell zusätzlich auch die Frage der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Rund 10.500 Menschen haben bis Mitte Juli das Saarland erreicht, bislang konnten gut 9.300 auf Kommunen verteilt werden, jetzt aber sei man „am Anschlag". Vorgänger Bouillon habe zwar in der Aufnahmestelle Lebach mit und seit dem großen Flüchtlingszuzug vor sieben Jahren „großartiges geleistet", unterstreicht Jost, aber die Kapazitätsgrenze sei erreicht. Gleichzeitig sinke die Bereitschaft deutlich, weiteren Wohnraum in Kommunen zur Verfügung zu stellen. Was Jost auf jeden Fall vermeiden will, ist, dass etwa Hallen zur Verfügung gestellt werden müssen.
Ansonsten ist die leidige Baustelle der kommunalen Finanzen weiter offen. Die Diskussion um eine Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs ist unlängst noch einmal verschärft worden, nachdem der Landkreis Merzig-Wadern eine mögliche Klage gegen das bestehende System in Aussicht gestellt hat. Wenig verwunderlich, denn der Kreis würde wohl bei einer Neuregelung profitieren, andere eben nicht. Die Diskussion zieht sich folglich eben hin, Jost erwägt im Zweifel, mit einer aktuellen Begutachtung zur Versachlichung beizutragen und setzt ansonsten auf das Motto, das er schon in früherer Tätigkeit fast mantrahaft formuliert: miteinander reden statt übereinander.
Aktuell stehen den Kommunen aber noch andere massive Herausforderungen ins Haus, insbesondere die geradezu explodierenden Energiepreise. Nach der jüngsten Steuerschätzung könnten die Saar-Kommunen zwar mit etwa 80 Millionen Mehreinnahmen rechnen, aber das sei angesichts der Entwicklung eben „trügerisch", meint der Minister. Eine erste Maßnahme ist, dass bei Genehmigung der kommunale durch die Finanzaufsicht im Innenministerium die zusätzlichen Energiekosten durch Preissteigerung nicht angerechnet würden. Das ist kurzfristig eine Erleichterung bei der Aufstellung der Haushalte, an der extremen Belastung, die auf Kommunen zukommen, ändert das aber nichts. Dazu kommt die Situation bei kommunalen Versorgern, den Stadtwerken.
Für den auch für Sport zuständigen Minister gibt es aber neben den aktuellen Brandherden auch eine Perspektive, die erfreulicher aussieht. Olympia und die Paralympics 2024 in Paris, oder, wie Jost es süffisant formuliert, „diesem Vorort von Saarbrücken". Wie schon die Regierungschefin angekündigt hat, will die Landesregierung einiges in Bewegung setzen, um von diesem sportlichen Weltereignis in weniger als zwei Bahnstunden Entfernung zu profitieren. Die Hermann-Neuberger-Sportschule als mögliches Trainings- und Vorbereitungszentrum oder touristische Möglichkeiten werden bereits jetzt in Gesprächen mit möglichen internationalen Partnern und Verbänden ausgelotet. „Wir wollen diese Chance nutzen", unterstreicht Reinhold Jost in einer Art, die signalisiert: Der Ex-Umweltminister ist auch in diesem neuen Aufgabenfeld längst angekommen.