Im „Miss Wu" wird auf die entspannte Dahlemer Art aufgetischt, derzeit meist auf der großen Terrasse. Zhongmin Greger-Wu serviert authentische, pikante und häufig vegetarische Gerichte, die die Gäste bald vielleicht schon selbst nachkochen können.
Zwischen Lavendelbüschen und Tomatenkante geht’s auf der Terrasse von „Miss Wu" ausgesprochen familiär und gastlich zu. In dem Eckgebäude an der Königin-Luise-Straße kommt authentische chinesische Küche „nach Hausfrauenart" auf die Tische. Inhaberin Zhongmin Greger-Wu, die alle der Einfachheit halber Miss Wu nennen, nimmt die Gäste in Empfang – viele kennt sie ohnehin. Ein Blick zur Mitarbeiterin rechter Hand oder ein Zuruf zur anderen linker Hand, schon werden Wünsche nach einem bestimmten Platz oder besonderen Gerichten, wo immer möglich, erfüllt. Es herrscht ein heimeliges Trattoria-Gefühl auf die entspannte chinesisch-Dahlemer Art.
Weil Miss Wu an diesem Abend erst einmal im Service unabkömmlich ist, setzt sie uns einen guten Freund als Ersatzgastgeber zur Seite, „der Ihnen fast genauso viel erzählen kann wie ich". Und schon ist sie wieder weg, um „chinesische Tapas" à la gebackene Ährenfische oder Dumplings zu holen. Dass im „Miss Wu" authentische Küche aus der Gegend von Shanghai und Hangzhou in die Schalen kommt, hat sich herumgesprochen. Nur eines mag Greger-Wu gar nicht so gern: Sauer-Scharf-Suppe. Zu konventionell. „Die wollte ich gar nicht anbieten, aber die Gäste wollten das."
Manches steht gar nicht auf der Karte
Wo doch die chinesische Küche so viel Interessanteres zu bieten hat! So steht die Suppe des Anstoßes also seit acht Jahren mit einer Wan-Tan- und einer Gemüsesuppe in friedlicher Koexistenz auf der Karte. Für Abwechslung, nicht zuletzt für die zahlreichen Stammgäste, sorgt die halbjährlich wechselnde Zusatzkarte „Spezielle Gerichte vom Chefkoch".
Von dort stammen auch die süßsauren Rippchen nach Shanghai-Art, sanft gesäuerte Rettich-Sticks und ein Kimchi nach chinesischer Art. „Das ist mit Zitrone abgeschmeckt", sagt der kulinarische Begleiter. „Vielleicht auch kürzer gezogen als das koreanische." Manches steht gar nicht auf der Karte und wird trotzdem serviert. Eingelegte Eier oder gebratene Baozi mit Schweinefleisch und Dill etwa. Im Gespräch darüber stellen der Begleiter und der Freund des Hauses fest, dass sie beide taiwanesische Wurzeln haben. Das beantwortet aber nicht die offenen kulinarischen Fragen, etwa nach der Zubereitung der eingelegten Eier – ein auch in Taiwan populäres Street Food. „Moment, ich frage meine Mama", sagt der eine. Die spricht: „Die Eier werden mindestens eine Stunde in Sojasauce eingelegt. Je länger, desto intensiver werden sie."
Und desto besser, sind sich beide einig. „Meine Mutter hat immer gleich mehr davon gemacht. Sie wurden nach und nach aufgegessen", sagt der Begleiter. Wichtig: „Es kommt darauf an, wie lange die Eier gekocht werden. Nicht jeder mag es, wenn sie ganz hart sind." Unsere sind medium-hart, bröckeln noch nicht. Erinnerungen wecken und gleichermaßen Erinnerungen schaffen – wie kann das besser gelingen als bei einem gemeinsamen Essen? So ein Erleben wie an unserer Tafel ist genau im Sinne von Zhongmin Greger-Wu.
Mir haben es vor allem die fein gesäuerten, knackig-erfrischenden Rettich-Stäbchen angetan. Sie lassen sich mit Stäbchen greifen, ohne dass gleich großer Klecker-Alarm ausbricht. Denn unter lauter Essstäbchen-Profis greift beim italienischen Feinschmecker-Fotografen und mir leichte grobmotorische Nervosität um sich. An manchen Stellen wählen wir lieber die für unsere Hände unfallfreie Gabel-Version. Wir pieken die Baozi auf und tunken die Dumplings mit ihrer gebräunten Unterseite in die würzige Sauce. Köstlich!
Stammkundschaft auch im Lockdown
Wir schauen uns nach Dillstauden in den Beeten um, sehen aber keine. Ob das Kraut aus dem Schrebergarten von Miss Wu stammt? Gut möglich. Dort wächst einiges, was sich hinterher in Töpfen und Pfannen wiederfindet. „Ich ziehe Bohnen, lange Bohnen, noch mehr Tomaten und chinesischen Mais." Zhongmin Greger-Wu steht nicht jeden Tag in ihrer Restaurantküche. Dafür sind der Chefkoch und seine zwei Assistenten zuständig. „Ich koche für besondere Anlässe." Für eine Familienfeier etwa oder für größere Gruppen, die unbekanntere Gerichte ausprobieren möchten. „Wenn wir ein Budget vereinbart haben, frage ich: Vertrauen Sie mir?" Fast immer klappt das.
Die Tomaten in ihren Bambus-Gebinden vor Ort sind denn auch eher zum Naschen vom Strauch gedacht, als dass sie sich im Essen wiederfinden. „Ich habe mindestens zehn verschiedene Sorten angepflanzt. Schwarze, rote, gelbe, große und kleine, runde und längliche." Bei so viel Liebe zum Produkt und dessen Anbau werden die Gerichte im Restaurant selbstredend ausschließlich frisch nach der Bestellung zubereitet.
Die Terrasse verbreitet mit ihren bis zu 80 Plätzen in mehreren Nischen kuschelige Weitläufigkeit. Winters sieht das mit 40 Plätzen im Gastraum anders aus. Doch man kennt einander. Weiß, dass es um 18 und 20 Uhr zwei Durchgänge gibt. „Unsere Gäste sind sehr nett und nehmen ihr Essen mit, wenn sie sehen, dass es sehr voll ist." Die gegenseitige Wertschätzung trug „Miss Wu" durch die Lockdowns, als es lediglich einen Außer-Haus-Verkauf gab. „Viele Gäste haben häufig bestellt, damit wir durchkommen." „Stimmt", sagt die nahebei wohnende Freundin, die mir das Lokal empfahl und in der Zeit wenig Lust zum täglichen Kochen hatte. „Wir haben dort oft unser Essen geholt."
Während wir plaudern, schweben weitere Köstlichkeiten ein: „Gebratene Auberginen mit Schwarzbohnen-Chili-Sauce (scharf)", ein „100-Prozent Sichuan"-Hühnchen mit Kreuzkümmel und Szechuan-Pfeffer. Gebratenes Rindfleisch mit Frühlingszwiebeln und Pepperoni in Barbecue-Sauce. Zwei kleine, schmucke rote Chilis liegen obenauf. „Die legen Sie besser beiseite", warnt der Service. „Die sind echt scharf." Viele Gerichte bei „Miss Wu" sind pikant, aber nicht überscharf. Der Mapo-Tofu mit Rinderhack etwa, zumal wir immer Reis dazu nehmen. Aber auch er trägt das Feuer von mindestens Szechuan-Pfeffer und Chilis in sich.
Viel Vegetarisches auf der Karte
„Der Mapo-Tofu ist ganz typisch, gar nicht eingedeutscht", urteilt der Begleiter. Er liegt fluffig-weich in einer angedickten, leicht geleeartigen Sauce. Wir erleben Geschmeidigkeit in verschiedensten Ausprägungen auf der Zunge, keinen Kontrast von Stücken und Brühe. Eine Schale mit Zanderfilet und Sauerkohl „sehr scharf" kommt als letzte auf den Tisch. Wir knuspern uns an den Fisch heran, sind aber zurückhaltend bei den rot leuchtenden Chili-Stückchen. „Es geht sehr um die unterschiedlichen Texturen", meint der Freund des Hauses.
Stimmt. Die mit Kartoffelmehl angestäubten und gebratenen Auberginen-Schnitze etwa bleiben außen lange blasig-knusprig, sind aber innen fruchtig-weich und mild. Dazu kommt die mehlig-kompakte Struktur der Böhnchen plus die leichte Schärfe. Dieser Teller ist ein Gaumenfest. Vegetarische Gerichte haben ohnehin von Anfang an im „Miss Wu" in größerer Anzahl ihren festen Platz sowohl auf der Haupt- wie auch auf Chefkoch-Karte.
Wir teilen in bester chinesischer Manier diese schöne Auswahl und nehmen uns nach Gusto. Doch gegen 22.30 Uhr gehen selbst am wärmsten Sommerabend die Lichter auf der Terrasse aus. Eine Kerze beleuchtet uns noch eine Eiskugel lang. Mit der Eisdiele „Il Pistacchio" um die Ecke herrscht gute Nachbarschaft, und wir freuen uns über eine Holunder-, Pistazien- und Schokoladenkugel.
Asiatische Desserts wie „Frittierte Milch" oder Sesambällchen von der Karte könnten dagegen bald schon von den Gästen selbst gemacht werden. Zhongmin Greger-Wu plant, in Zukunft eigene Kochkurse anzubieten. Die Gäste hatten das selbst angeregt. „Man kann zum Beispiel Klebreis in süß oder salzig mit Bohnenpaste machen oder Mochi." Noch überlegt sie, wie sich das jenseits der Restaurantküche umsetzen ließe.
Es ist wohl keine schlechte Bilanz, die Miss Wu nach acht Jahren in Dahlem zieht: Die Gäste wollen von ihr lernen, wie authentische chinesische Küche funktioniert und sie selbst nachkochen. Falls bei aller munteren Umtriebigkeit Zeit bleiben sollte, werden womöglich die Rezepte veröffentlicht. „Vielleicht schreibe ich irgendwann mal sogar ein Kochbuch." Ich bin mir sicher: Halb Dahlem und „Miss Wu"-Fans warten genau darauf.