Die aus Stuttgart stammende Meeresbiologin Michaela Richter arbeitete acht Monate auf der Malediven-Insel Kuramathi. FORUM-Autorin Heidrun Lange hatte sie zu der Zeit besucht und ihr bei der Arbeit zugeschaut.
Bevor Michaela Richter in die Unterwasserwelt auf der Insel Kuramathi abtaucht, setzt sie ihre Schnorchelbrille auf, zieht Flossen an und hält die Unterwasserkamera in der Hand. Das macht sie täglich. Mal geht es mit Tauchern hinaus ins offene Meer, mal mit Schnorchlern ins Hausriff. „Wer selbst einmal tauchen oder schnorcheln war, der weiß wie glücklich das macht, aber auch wie ehrfürchtig diese Unterwasserwelt ist", schwärmt die aus der Nähe von Stuttgart stammende Meeresbiologin.
Die zwei Kilometer lange Insel ist dicht mit Kokospalmen, Büschen und bis zu 30 Meter hohen uralten Banyan-Bäumen bewachsen. Doch Michaelas Arbeitsweg ist kurz. Sie muss nicht über die gesamte Insel laufen. Vom inseleigenen ECO-Center sind es nur ein paar Schritte, dann kann Michaela in eine andere Welt abtauchen. Sie findet es toll, die vielen bunte Fische, aber auch Schildkröten, Haie, Manta-Rochen oder Delfine in nächster Nähe um sich herum zu haben. Oft nimmt sie Gäste mit. Diese bekommen eine kurze Einweisung: „Bitte nicht auf dem Riff stehen bleiben und nichts anfassen." Kurz unter der Wasseroberfläche wird es bunt: Blaue und gestreifte Doktorfische spielen mit bunten Clownfischen wie Freunde fangen. Eine Muräne steckt den Kopf aus einer Steinhöhle und zieht diesen sofort wieder ein. Anscheinend wittert sie Gefahr. Ungefährliche Haie schwimmen gemächlich am Riff vorbei. Michaela hält einige Szenen mit der Kamera fest. Sie zeigt auf eine blau schimmernde Muschel, die sich während ihrer Zeit auf Kuramathi prächtig erholt hat. Plötzlich sieht eine Schnorchlerin eine Karettschildkröte, die in einer Algenwiese gemütlich grast. Sie kommt sogar ein Stück näher. Fast so nah, dass man sie anfassen könnte. Doch Michaelas warnende Worte sind nicht vergessen: nichts anfassen. Wir beobachten die Schildkröte, bis sie kurz nach oben schwimmt, Luft holt und wieder abtaucht.
Die Riffe am Rasdhoo-Atoll auf den Malediven sind bekannt für die hohe Population an Meeresschildkröten. Fünf verschiedene Arten gibt es hier. Sie können bis zu 90 Jahre alt werden. Vorausgesetzt, es passiert ihnen nichts. Oft werden Meeresschildkröten gefunden, deren Darm voller Plastik ist. Im ECO-Center ist dokumentiert, dass eine Meeresschildkröte einen Angelhaken in der Flosse hatte. Sie wurde aufs Boot geholt, der Haken entfernt, und dann durfte sie wieder zurück ins Meer. Eine gerettete Oliv-Bastardschildkröte wurde mit einem Peilsender ausgestattet, um ihre künftigen Bewegungen zu überwachen, und sofort zu helfen, wenn sie wieder als Beifang in einem Fischernetz landet und zu ertrinken droht oder am Plastikmüll erstickt. Alle Mitarbeiter, die mit Booten unterwegs sind, erhielten eine Einweisung, wie man Schildkröten rettet und die Reste der Fischernetze entfernt. Nur so können sich die stark gefährdeten Meeresschildkröten wieder erholen.
Das zerbrechliche Ökosystem schützen
Viele Gäste fragen die 33-Jährige, warum die Korallen nicht mehr so bunt sind wie vor einigen Jahren. „Ich muss ihnen immer wieder sagen, dass die Erwärmung des Ozeans mittlerweile immer häufiger auftritt. Korallen reagieren darauf extrem sensibel. Schon bei einer um nur einen Grad erhöhten Wassertemperatur beginnen die Korallen bleich zu werden und nach wenigen Wochen abzusterben", erklärt Michaela. Die Fachleute des ECO-Centers, das es seit 2000 gibt, wollten die Hintergründe der Korallenbleiche verstehen, und lernen, wie man das zerbrechliche Ökosystem besser schützen kann, so die Expertin. „Die Lichtintensitäts-Temperaturmesser, die rund um die Insel verteilt sind, wurden erneuert. Denn es scheint, dass die Bleichen in immer kürzeren Abständen stattfinden. Die Korallen haben einfach nicht genügend Zeit, sich neu zu bilden. Alle Veränderungen, wie und in welchem Zeitraum die Wassertemperatur ansteigt, werden in der Datenbank eingespeichert. Das soll helfen, die Korallenbleiche besser zu verstehen.
Michaela erklärt nicht nur, sie sammelt abgebrochene, aber lebendige Stücke der Korallen des Riffs ein und befestigt sie an Metallgestellen, wo die Korallen weiter wachsen und selbst irgendwann Kolonien bilden können. Ein langwieriger Prozess, doch durchaus lohnend.
Eine Sicherheit für Schnorchler und gleichzeitig Schutz der Korallen sind die zwölf gekennzeichneten Schnorchelkanäle rund um die Insel. Die Gäste werden gebeten, diese freigegebenen Pfade, die den Zugang zum Riff erleichtern und es schützen, zu benutzen. Entlang der äußeren Riffkante wurden einige Schwimmringe verankert, an denen sich Schnorchler festhalten und ausruhen können, und sich nicht mit den Flossen oder Füßen auf dem Boden des Riffs abstützen.
Insel hat eigenes Müllmanagement
Im Traumurlaub Müll sammeln? Das wurde und wird gut angenommen, weiß Michaela. An der Westseite der Insel liegt eine lang gezogene Sandbank, die bei Ebbe den Blick weit in den Ozean freigibt und bei Sonnenuntergang wie eine Postkartenidylle aussieht. Dort entfernten sie an einem Nachmittag zahlreiche angeschwemmte Plastikflaschen. In Kooperation mit der sehr nahe gelegenen lokalen Insel Rasdhoo organisiert Michaela regelmäßig Clean-ups beim Schnorcheln und Tauchen. Auf einer unbewohnten Insel wurden viele Säcke mit Flaschen, Tüten, Plastikdeckeln, sogar Kanistern gefüllt. Unrat, der teilweise über den Ozean von weither kommt.
Im Resort Kuramathi, das ein eigenes Müll-Management betreibt, wird alles getrennt. Die Plastikflaschen werden mit dem Boot nach Malé gebracht und von der gemeinnützigen Umweltorganisation Parley, die sich auf den Schutz der Ozeane konzentriert, entgegengenommen und recycelt. Adidas nutzt das daraus gewonnene Garn, um Schuhe oder Kleidungsstücke herzustellen. Glasflaschen werden zu feinem Granulat zermahlen, mit Beton vermischt und als Baumaterial weiter verwendet. In speziellen Programmen werden im „Bageecha Kids Club" bereits die Kleinen für den Ozean und für die Umwelt sensibilisiert. Am späten Nachmittag zeigt die Meeresbiologin Michaela Richter den Kindern unterm Mikroskop, dass sich Krebse von Algen ernähren, das wiederum notwendiges Futter für die Fische ist. „Aufklärung über Umweltschutz ist sicherlich ein guter Weg, allerdings nur möglich, wenn auch die heimische Bevölkerung mit uns an einem Strang zieht. Wir suchen Kontakt zu lokalen Schulen und Jugendgruppen auf den Inseln". Von klein an sollen die Kinder viel über globale Erwärmung, CO2-Ausstoß und mögliche verheerende Folgen für ihre Inselwelt der Malediven lernen. „Denn nur so kann die wunderschöne Natur langfristig geschützt und erhalten bleiben", erklärt die Biologin.
Mittlerweile ist Richter wieder zurück in Stuttgart. Acht Monate war sie auf Kuramathi. Sie denkt oft an die Insel zurück. Es wird sicher noch lange dauern, bis wieder ein unversehrtes Riff auf der Insel entstanden ist und Urlauber, Gäste, Schnorchler und Taucher eine farbenkräftige Unterwasserwelt vorfinden.