Auch 60 Jahre nach dem Tod der Sex-Ikone ranken sich Verschwörungstheorien um das, was in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1962 geschehen ist. War es wirklich Selbstmord? War es ein Versehen? Oder wurde die US-Schauspielerin ermordet?
Einige Tage nachdem sie für einen Präsidenten „Happy Birthday, Mister President …" gesungen hat, ist das blonde Sexsymbol tot. Niemand scheint sich so richtig für die Todesursache zu interessieren. Nur ein neugieriger Schriftsteller, der dringend eine Geschichte braucht, um seine Schreibblockade zu durchbrechen, fragt nach und nervt. Am Ende findet er heraus: Es ist einfach dumm gelaufen für die Frau, die gar keine echte Blondine, aber eine Kultfigur war. Erst hat ihr einer ihrer größten Fans heimlich eine Droge verabreicht, um sie gefügig zu machen. Sie schafft es dennoch unbeschadet nach Hause. Dort wartet der Präsident. Und weil sie nicht hören will, dass der mit ihr Schluss macht und hysterisch wird, verabreicht ihr der Begleiter des Politikers eine Beruhigungsspritze. Eine ungute Mischung: Die Schönheit kollabiert. Sie ruft mit letzter Kraft ihre Psychiaterin an. Die verpasst der zuckenden Patientin noch eine Spritze. Eine tödliche Kombination – von der die Ärztin aber nichts weiß. Sie fühlt sich schuldig am Tod der Schönen und versucht, ihn zu verschleiern.
Immer noch Stoff für Filme und Dokus
Eine unglückliche Verkettung von Umständen, die eine Tote und viele unglückliche Menschen zurücklässt. Schuld waren irgendwie alle Beteiligten, aber doch auch wieder keiner von ihnen. Das war 2011 die Antwort des Franzosen Gérald Hustache-Mathieu auf die Frage „Who killed Marilyn?" In seinem gleichnamigen Film verlegt er das Drama, das sich in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1962 und in den Tagen davor in Los Angeles abgespielt hat, in einen kleinen eiskalten Ort in Frankreich. Indem er aus der Ikone Marilyn Monroe eine lokale Schönheit und aus JFK, dem Präsidenten der USA, JFB, einen französischen Regional-Präsidenten, macht, kann er sich unterhaltsam auf juristisch sicherem Boden bewegen, am Ende alles auflösen und für Klarheit sorgen.
Wie das ist, wenn sich ein Filmemacher nicht in eine fabelhafte Parallelwelt begibt, um der Frage nachzugehen, wie Marilyn Monroe zu Tode kam, zeigt der vor einigen Wochen auf Netflix veröffentlichte Dokumentarfilm „The Mystery of Marilyn Monroe: The Unedited Tapes" des irischen Journalisten Anthony Summers und der Regisseurin Emma Cooper. In den 80er-Jahren hat er Hollywood-Insider und Vertraute der Schauspielerin interviewt und ein Buch daraus gemacht. Nun, 60 Jahre nach dem Tod von Norma Jeane Baker, dem Mädchen aus Los Angeles, das Marilyn Monroe wurde, lässt der Journalist uns in seinem Film in die bisher unveröffentlichten Original-Tonbandmitschnitte seiner Interviews reinhören. War es, wie es in den offiziellen Untersuchungen heißt, wirklich Selbstmord? Ist Marilyn Monroe mit 36 Jahren aus Versehen gestorben? Oder wurde sie ermordet? Eine Auflösung wie im Film des Franzosen Gérald Hustache-Mathieu liefert Anthony Summers am Ende nicht. Aber er bietet zumindest – mit aller Vorsicht auf juristisch vermintem Gelände – eine Erklärung für die Ungereimtheiten in der Darstellung der Behörden und überlässt es am Ende den Zuschauerinnen und Zuschauern, über Schuld oder Unschuld der Beteiligten zu urteilen.
Über die Rolle der Kennedy-Brüder vor allem. Marilyn Monroe hatte Beziehungen zu beiden: John und Robert. Für Treffen der Politiker mit dem Filmstar stand unter anderem das Haus des Schauspielers Peter Lawford, einem Schwager der Kennedys, in Malibu zur Verfügung. Zumindest beschreibt es Anthony Summers so in seinem Film. Den Kennedys sei die Affäre jedoch zu heiß geworden. Aus politischen Gründen. Die Ehe mit dem Schriftsteller Arthur Miller habe Marilyn Monroe verändert, sagt Summers. Durch Miller sei Monroe an Mitglieder der kommunistischen Partei geraten, habe mit deren Ideen zumindest teilweise sympathisiert. In einer Zeit, in der in den Vereinigten Staaten die Kommunistenjäger immer mehr Macht gewannen und in einer paranoiden Stimmung Karrieren beendet werden konnten, wenn auch nur der Verdacht bestand, dass jemand in diesem Kalten Krieg nicht zu hundert Prozent auf der richtigen Seite stand, wurde Marilyn Monroe zum Problem.
Was, wenn die Affäre öffentlich würde? Was, wenn der Vorwurf erhoben würde, dass der Präsident und der Justizminister mit der verführerischen Schauspielerin nicht nur das Bett, sondern auch geheime Informationen teilten? Summers erzählt, dass dieser Verdacht nicht unbegründet war. Marilyn Monroe habe von den geheimen Atomtests in der Wüste von Nevada gewusst. Angeblich spionierte das FBI die Schauspielerin aus, um zu verhindern, dass sie geheime Informationen etwa an kubanische Agenten weitergab. Mussten die Kennedys deshalb die Reißleine ziehen?
Detektiv auf Monroe angesetzt
Einen weiteren Grund für die These, dass die Brüder ihre Affären mit dem Filmstar beendet haben, um ihre Karriere zu retten, sieht Summers in der Feindschaft zwischen Robert Kennedy und Jimmy Hoffa. Von 1957 bis 1959 war Robert Kennedy Chefberater eines Komitees, das illegale Machenschaften in den Gewerkschaften untersuchte. Ins Visier gerieten unter anderem die Transportarbeitergewerkschaft Teamsters und die Mafiakontakte von deren Vorsitzendem Jimmy Hoffa. Auch als Justizminister widmete sich Robert Kennedy ab 1960 dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Hoffa, berichtet Summers, habe einen Privatdetektiv auf Marilyn Monroe angesetzt, um Robert Kennedys Ruf zu ramponieren. Der Detektiv soll unter anderem das Haus in Malibu und Marilyns Wohnung verwanzt haben. Belege dafür liefert Summers nicht. Nach dem Tod der Schauspielerin seien sowohl die Ermittlungsergebnisse des FBI als auch die Abhörbänder des Detektivs verschwunden.
Summers deutet an, dass der Geheimdienst nach dem Tod Marilyn Monroes „aufgeräumt" und keinen Geringeren als den Justizminister selbst vom Ort des Geschehens weggebracht hat. Robert Kennedy soll sich, so berichtet Summers, am Tag vor ihrem Tod mit Marilyn Monroe getroffen und sich noch in Kalifornien aufgehalten haben, während sie starb. Nach dem Treffen mit Kennedy sei Marilyn „in einem fürchterlichen Gemütszustand" gewesen, sagt Summers mit Hinweis auf Aussagen des Psychiaters. Dass die Kennedys sie verstoßen haben, habe die ohnehin labile Schauspielerin schwer getroffen.
Dass sich Marilyn Monroe mit einer Überdosis an Barbituraten, also Medikamenten mit einschläfernder Wirkung, umgebracht hat, wie es im Gutachten der Staatsanwaltschaft heißt, hält Summers für die Wahrheit. Offen lässt er, ob sie die Menge absichtlich oder aus Versehen überdosiert hat. Wegen der extrem hohen Dosis geht der offizielle Abschlussbericht von Selbstmord aus.
Aber was ist mit den Ungereimtheiten im Zeitablauf? Monroes Psychiater, Ralph R. Greenson, sagte aus, dass er nachts von der Haushälterin gerufen worden sei, weil zwar Licht in Marilyns Zimmer brannte, es aber abgesperrt war. Er habe daraufhin das Fenster von außen eingeschlagen. Um 3.50 Uhr stellte der dazu gerufene Hausarzt den Tod von Marilyn Monroe fest. Ein Pathologe setzt später den Todeszeitpunkt zwischen 20.30 und 22.30 Uhr am Abend an. Summers erklärt diese zeitlichen und andere Ungereimtheiten (es ist sogar von einem Rettungswagen die Rede) mit den Aufräumarbeiten des Geheimdienstes. Der beseitigte Spuren, die auf die Kennedys hinwiesen und flog den Justizminister aus. Nicht, um einen Mord, sondern um die Affäre zu vertuschen.
Geschäftsfrau mit Tablettensucht
Ob offizieller Abschlussbericht oder die Recherchen eines irischen Journalisten – Verschwörungstheoretiker lächeln natürlich nur müde, wenn gesagt wird, Marilyn habe ihr Leben selbst beendet oder sich zumindest so sehr betäuben wollen, dass sie es nicht mehr spürte. Dabei reicht ein Blick auf ebendieses ungewöhnliche Leben, um zu sehen, dass es genau auf diesen Moment zugelaufen ist: Mit 29 Jahren vertraute sich Marilyn erstmals einem Psychiater an, weil sie offenbar Angst hatte, dass sie wie andere Mitglieder ihrer Familie vor einer psychischen Erkrankung nicht gefeit war. Da war sie bereits weltberühmt, hatte schon 26 Filme gedreht, darunter „Asphalt-Dschungel", „Niagara", „Blondinen bevorzugt", „Wie angelt man sich einen Millionär?", „Fluss ohne Wiederkehr" und „Rhythmus im Blut". Die Psychoanalyse half Marilyn auf ihrem ehrgeizigen Weg, nicht nur ein Glamour-Girl zu sein, sondern eine ernsthafte Schauspielerin zu werden. Obwohl sie bereits ein Mega-Star war, belegte sie Kurse an einer der bedeutendsten Schauspielschulen, dem New Yorker Actors Studio. Sie gründete eine eigene Produktionsfirma, wurde also auch Geschäftsfrau.
Aber da waren auch die verdammten Pillen. Arthur Miller beschrieb seine Frau als unberechenbar und hilflos, kindlich. Er bemitleidete sie und offenbar irgendwann auch sich selbst wegen ihres Medikamentenkonsums. Im Januar 1961 wurde die Ehe geschieden. Es war Marilyns dritte. Ihr erster Ehemann, James Dougherty, kam mit der Verwandlung von Norma Jeane Baker zu Marilyn Monroe nicht zurecht. Ihr zweiter Ehemann, der Baseballstar Joe DiMaggio, beendet seine Karriere, als ihre so richtig Fahrt aufnahm. Je mehr sie bewundert wurde, desto eifersüchtiger wurde er. Arthur Miller schließlich schien Monroe, die selbst sehr belesen war, sich unter anderem mit Freud, Beckett und Flaubert beschäftigte, gutzutun. Er sei für sie Vaterersatz und Beschützer, aber auch jemand, für den sie bereit war, ihre Karriere zu beenden, schreiben ihre Biografen. Drei Fehlgeburten, immer mehr Tabletten, Mitleid statt Liebe – auch diese Ehe endete in Streit und Leere.
Eine Leere, die die Frau, die ab 1955 mit neuem Ehrgeiz schauspielerisch unter anderem durch „Das verflixte 7. Jahr", „Manche mögen’s heiß" und „Misfits – Nicht gesellschaftsfähig" Filmgeschichte geschrieben hat, immer wieder zu überwinden versuchte. Auch durch ihre Beziehung zu den Kennedys, den beiden starken und bedeutenden Männern von der Ostküste.
Es gibt Menschen, die vom Fluch der Kennedys sprechen. Dem Fluch, der auf einer Familie lastet, die fünf ihrer Mitglieder durch Attentate verlor, zwei ihrer Hoffnungsträger durch Flugzeugabstürze und auch darüber hinaus das Unglück in vielen Formen anzuziehen scheint. Wobei es nicht nur die Kennedys selbst traf. Bei einem Autounfall, den Ted Kennedy, der Bruder von John und Robert, überlebte, kam dessen Beifahrerin ums Leben. Auch für Marilyn Monroe, Pop-Ikone, Weltstar und Sexsymbol, so scheint es, endete die Beziehung zu den Kennedys tödlich – in dem Moment, als diese Verbindung gegen ihren Willen gekappt wurde. Diese weitere große Leere hat Marilyn nicht überlebt. Ihr letzter und vielleicht bekanntester öffentlicher Auftritt war der am 19. Mai 1962. Das war der Abend, an dem sie auf der Geburtstagsgala von John F. Kennedy sang: „Happy Birthday, Mister President …"