Kanzler Olaf Scholz dürfte kaum erwartet haben, dass die „Ampel" eine harmonische Veranstaltung wird. Profilierungsversuche der Partner waren absehbar. In der Krise erwarten die Menschen aber eine klare Linie.
Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beginnt politischer Unfug schon bei Begrifflichkeiten. „Übergewinnsteuer" ist so ein Wort, das der Kanzler nicht mehr hören kann. Weil das aus seiner Sicht schon aus der Wortschöpfung heraus keinen Sinn ergibt. Bei einem Unternehmen gibt es Gewinn oder Verlust, aber keinen Übergewinn oder umgekehrt Unterverlust. Der Hanseat ist da sehr penibel, wird immer wieder aus seinem Umfeld berichtet. Doch die „Übergewinnsteuer" ist nun mal als Begriff gesetzt, und was Scholz am meisten ärgert: Er wird diesbezüglich von Co-Parteichefin Saskia Esken getrieben. Esken fordert gerade in diesen Tagen der explodierenden Energiekosten die „Übergewinnsteuer" und legt es darauf an, dass sie damit den Kanzler ein ums andere Mal in Erklärungsnot bringt. Gerade als ehemaliger Bundesfinanzminister kennt Scholz die steuerrechtlichen Fallstricke für eine zusätzliche Gewinnabgabe nur für bestimmte Unternehmen sehr genau. Doch davon will Esken nichts hören. Es ist kein Geheimnis, dass sich die beiden nicht besonders mögen. Immerhin hat die Partei-Linke dem heutigen Bundeskanzler im Dezember 2019 den Parteivorsitz vor der Nase weggeschnappt. Eine Episode auf dem Weg von Olaf Scholz, der letztlich zur Kanzlerschaft führte. Es gibt Gräben, die sich nicht einfach zuschütten lassen.
Abgesehen von SPD-internen Diskussionen rumpelt es in der gesamten Koalition ziemlich heftig. Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag war kaum trocken, da legte ausgerechnet der kleinste Koalitionspartner, die FDP, schon mal kräftig los und beharrte von Anfang an auf der Einhaltung der Schuldenbremse ab spätestens kommendem Jahr. Egal was kommt, so Bundesfinanzminister Christian Lindner, seines Zeichens bekanntlich auch FDP-Chef. In Anbetracht der massiven Energiepreis-Belastungen der Bürger will Lindner kein drittes Entlastungspaket, sondern über die Glättung der steuerlichen Progression etwas Entlastung für die „Mitte der Gesellschaft" schaffen. Der Bundeskanzler bekundete zwar Wohlwollen, aber so zurückhaltend, dass man nicht den Eindruck haben konnte, dass es vorab eine Verständigung mit Lindner gab.
Selbst wirtschaftskonservative Finanzexperten bescheinigen diesem Lindner-Konzept keine tatsächlichen Hilfen, untere Gehaltsgruppen, Rentner oder Studierende haben nichts davon, spüren aber die Inflation besonders. Familien mit Kindern würden frühestens in einem Jahr Entlastungen durch die Neuordnung der steuerlichen Progression tatsächlich in ihrem Geldbeutel bemerken. Also wieder eine Notbremse des Kanzlers, der seinerseits ein drittes Entlastungpaket ankündigte, was wiederum allem Anschein nach nicht mit seinem FDP-Finanzminister abgesprochen war.
FDP auf Profilsuche in der Koalition
Die ewig quer schießende FDP auf der Suche nach Profil in der Koalition ist das Eine. Wenn zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte: in diesem Fall die Grünen. Es ist schon erstaunlich. Die Grünen mussten als Koalitionspartner in den letzten Monaten ein ums andere Mal wichtige Positionen aufgeben. Ihre Grund-DNA: Abschaltung der Kohle- und Atomkraftwerke oder keine LNG-Flüssiggas-Terminals in Deutschland wurden kassiert. Doch die Grünen sind in den Umfragen weiter im Aufwind. Während der SPD-Bundeskanzler mit seiner Partei in der Beliebtheit unter die Räder kommt. Eigentlich hätte es umgekehrt kommen müssen, doch die beiden Grünen-Politiker Robert Habeck und Annalena Baerbock dominieren als Erst- und Zweitplatzierte die Beliebtheitsskala beim Publikum, weit vor dem Kanzler, mit derzeit wenig Aussichten, dass sich das in den kommenden Monaten ändert. Weiter steigende Energie- und Lebenshaltungskosten werden nicht bei grünen Ministern oder Ministerinnen abgeladen, auch nicht bei den Liberalen, sondern beim Kanzler.
Dabei könnte das Kanzleramt mit einigem Geschick auch den Koalitionspartner bei seiner Umwelt- und Klima-Ehre packen. Ein Beispiel für so eine bislang verpasste Chance des Kanzlers ist das Thema Fliegen: Warum wird bis heute auf Kerosin- oder Flugbenzin keine Energiesteuer erhoben wie bei Benzin, Diesel und Heizöl? In Zeiten des Energiesparens wird das weiterhin überhaupt nicht thematisiert, wobei das gerade bei Umweltschützern eines der Leitmotive war. Während jeder Autofahrer direkt nach dem Sommerurlaub auf der notwendigen Fahrt zur Arbeit spätestens ab dem ersten September wieder voll besteuert wird, gilt in der Luftfahrt weiterhin der generelle Tankrabatt bei der Energiesteuer. Ein Ritual aus Jahrzehnten wird nicht angetastet, obwohl es längst an der Zeit wäre, die täglichen Pendler mit den Urlaubern beim Sprit steuerlich gleichzustellen. Doch auch das ist eine Frage, die Olaf Scholz offenbar seinen Koalitionspartnern lieber nicht stellt. Mit der grundsätzlichen Debatte über eine Energiesteuer auf Flugtreibstoffe könnte der Ampel-Bundeskanzler schnell in die Offensive gegenüber den Grünen kommen. Während Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Habeck als Energie-Krisenmanager Punkte sammelt und seine Parteifreundin Baerbock als Außenministerin taffe Auftritte hinlegt, wirkt ihr Regierungschef wie Deutschlands oberster Verwaltungsangestellter, aber eben nicht als Taktgeber. Dazu kommt, dass Scholz aus der eigenen Partei Minister berufen hat, von denen sich einige nicht so recht profilieren konnten. Ein Wackelposten ist Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Die SPD-Frau hätte sich spätestens nach der Zeitenwenderede ihres Chefs und dem Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr als echte Macherin darstellen können. Doch zahlreiche ihrer Auftritte missglückten, in ihren Aussagen zu Panzern und Feldhaubitzen wurde schnell klar: Lamprecht ist auch über ein halbes Jahr nach Amtsantritt noch in der Einarbeitungszeit. Diesbezüglich nicht weniger glücklich ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Spätestens das Foto von Kiew auf dem Balkon von Bürgermeister Klitschko mit einem Sektglas in der Hand ließ Zweifel an ihrem Feintuning aufkommen. Dazu der höchst umstrittene Karl Lauterbach. Der Gesundheitsminister ist nicht ganz unschuldig an der massiven Kritik an seiner Person. Kein Bundesminister hat es vor ihm geschafft, in einer so kurzen Amtszeit so viele Widersprüche, Ungereimtheiten im Umgang mit unterstellten Behörden und verwirrende Anordnungen zu geben wie er.
Grüne profitieren, auch wenn sie viele Positionen aufgeben
Doch auch die Grünen haben den Minister in ihrer Riege, die nicht wirklich brillieren. Umweltministerin Steffi Lemke, die ja auch noch für nukleare Sicherheit und vor allem Verbraucherschutz zuständig ist. Zwei Themengebiete, die die 54-Jährige in den letzten Wochen praktisch täglich hätte bespielen können, es aber nicht tat. Zum Streckbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke war nur wenig, zu den explodierenden Lebensmittelpreisen gar nichts von ihr zu hören. Dann ist da noch Lisa Paus. Gerade als Familienministerin wäre es ihre Aufgabe gewesen, in Zeiten einer selten gekannten galoppierenden Inflation wortreich für die Entlastung der Familien zu kämpfen. Doch auch Paus ist eher zurückhaltend. Dann gibt es noch den Sonderfall Cem Özdemir. Dass er Landwirtschaftsminister wurde, ist dem Umstand geschuldet, dass er aus parteistrategischen Gründen in eine politische Pole Position gebracht werden musste. Immerhin soll er im kommenden Jahr Winfried Kretschmann als Ministerpräsident in Baden-Württemberg nachfolgen. Er kümmert sich um seinen Job, aber eben eher ohne Fortune. Dass die drei blassen Bundesminister den Grünen nicht so auf die Füße fallen, ist der Strahlkraft von Baerbock und Habeck zu verdanken. Doch im Fall der eher unterdurchschnittlich agierenden SPD-Bundesminister fehlt eine solche Lichtgestalt. Bundeskanzler Scholz wiederholt zwar Mantra artig: „You never walk alone", doch damit können nur die Wenigsten etwas anfangen, wenn er nicht schnell konkret wird und endlich Akzente setzt.