Sie ist die erste Landtagspräsidentin im Saarland – und die jüngste. Heike Becker (46) setzt auf mehr Transparenz, mehr Bürgerbeteiligung und einen offenen Landtag, der nicht wartet, bis Bürger zu Besuch kommen.
Frau Becker, Sie haben zu Beginn einige Schwerpunkte in Ihrer Antrittsrede genannt. Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Das Thema Bürger:innenrat Klima. Das Erweiterte Präsidium hat mich beauftragt, auch in den sitzungsfreien Wochen dieses Thema zu vertiefen. Der Bürger:innenrat wird keinen legislativen Charakter haben. Er wird so initiiert und etabliert, dass er der Arbeit des Hohen Hauses zuträglich sein wird. Natürlich werden wir uns auch Expertise aus anderen Regionen einholen, die mit solchen Vorhaben schon gestartet sind. Das ist ein Punkt neben der Transparenz und dem Offenen Haus, an den wir mit Riesenschritten vorangehen.
Ist das nicht ein zweischneidiges Schwert, wenn nämlich Erwartungen geweckt werden, die nicht zwingend alle erfüllt werden können?
In einem Bürger:innenrat werden unterschiedliche Perspektiven beleuchtet und es kommt Fachexpertise hinzu. Wir wollen im Saarland den Weg gehen, dass die Ergebnisse im Landtag noch einmal beraten werden. Da kann auch darüber gestritten werden. Das ist aber ein wichtiger Aspekt der Bürgerbeteiligung in der Demokratie.
Sie haben die Aufgabe der Landtagspräsidentin in einer inzwischen außergewöhnlichen Situation eines Parlaments mit nur drei Fraktionen und einer absoluten Mehrheit übernommen. Was sind für Sie die größten Herausforderungen?
Die großen Aufgaben, vor denen das Land steht. Da möchte ich neben Klima auch ansprechen, was uns in einer Sondersitzung zum Thema Ford beschäftigt hat, nämlich die großen Veränderungen in unserer Industriestruktur. Das ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam fraktionsübergreifend zu lösen haben. Als Parlamentspräsidentin sehe ich die Verpflichtung, das gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen so zu beackern, dass es für die Menschen im Land zu guten Ergebnissen führt. In meinem Amt bin ich überparteilich und deshalb ist es mein Anliegen, dass wir uns als Parlament dieser Aufgaben gebührend annehmen.
Wie schwierig ist es, mit den ehemaligen Koalitionspartnern und der jetzigen Opposition zu verhandeln und Gemeinsamkeiten zu organisieren?
Die bisherige Zusammenarbeit ist konstruktiv und bleibt auf sachlicher Ebene. Natürlich wird auch gestritten, das gehört zur Demokratie dazu. Ich kann in der Kürze der Zeit, in der ich in diesem Amt bin, feststellen, dass das alles sehr im Sinne der Saarländerinnen und Saarländer erfolgt. Darüber bin ich froh.
Parlamentsarbeit funktioniert nach bestimmten Regeln. Gleichzeitig hat sich die gesellschaftliche Diskussion weiterentwickelt, auch mit bestimmten Erwartungshaltungen an die Kommunikation. Welche Spielräume gibt es, das Parlament, wie man sagt, „lebendiger" zu machen?
Das fängt schon mit der Frage an, wie Ergebnisse von Debatten oder Ausschüssen in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Wir forcieren sehr stark barrierefreie Zugänge über unsere Internetseiten. Dabei wird auch das Thema einfache Sprache eine Rolle spielen. Wir prüfen derzeit, wie man am Beispiel eines Ausschusses Drucksachen in einfache Sprache übersetzen kann. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten das anzugehen: Ziehen wir auswärtigen Sachverstand heran? Wie schulen wir unser eigenes Personal, dass es step by step die Aufgabe auch eigenverantwortlich übernehmen kann? Was für mich Bürgerbeteiligung und offener Landtag auch bedeuten: Wir nennen uns das Hohe Haus. Ich wünsche mir, dass es keine großen Hürden gibt, dass Menschen auch aktiv den Zugang zu uns suchen, zu mir als Präsidentin, aber auch zu allen Abgeordneten. Da haben wir selbst eine Bringschuld. Deshalb gehe ich als Präsidentin – so wie vorher schon als Abgeordnete – auf Sommertour, zeige mich vor Ort. Politik, wie man sagt, zum Anfassen. Das sind Instrumente, von denen ich überzeugt bin. So bringt man Politik den Menschen näher. Also nicht nur hier der offene Landtag, zu dem die Menschen kommen können, sondern selbst zu den Menschen gehen. Im Parlament selbst haben wir die Redezeiten verkürzt. Die Erfahrung in den ersten Sitzungen: Es ist richtig lebendig und erfrischend, es gibt tolle Aussprachen.
Transparenz und Bürgerbeteiligung
Wichtige Themen für Ihren Vorgänger waren auch grenzüberschreitendes Zusammenarbeiten des Parlaments und Erinnerungskultur. Werden Sie da eigene Akzente setzen?
Da werde ich mich aktiv und mit Herzblut einbringen. Wir leben ja die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Interregionalen Parlamentarierrat IPR. In den Kommissionen sind wichtige gemeinsame Themen vorangebracht worden, Klimaschutz, Verkehrspolitik, Grenzpendler und vieles andere. Ich bin mir bewusst, dass wir einen einfacheren Weg haben als die französischen Nachbarn, die einen längeren Weg über Paris gehen müssen. Aber da ist auch einiges in Bewegung. Erinnerungskultur ist ebenso eine Herzensangelegenheit. In der Umsetzung sind verschiedene Wege möglich. Ich stehe im engen Austausch mit der Synagogengemeinde, es wird gemeinsame Veranstaltungen geben. Ich habe angestoßen, beim Thema Erinnerungskultur den Fokus 2022 und 2023 auf Zwangsarbeit zu legen. Hier im Landtag findet gegen Ende des Jahres eine Sonderausstellung zu dem Thema statt und die Zwangsarbeit wird auch Thema der Holocaust-Gedenkveranstaltung im Januar 2023 sein.
Mir ist wichtig, bei Erinnerungskultur den Blick nicht nur in die Vergangenheit zu richten, sondern auch in die Zukunft, und die Demokratie mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu stärken.
Zum Stichwort Demokratie und Zustand der Gesellschaft. Wir sehen gegenläufige Entwicklungen: Von großer solidarischer Hilfsbereitschaft bis zu grundlegender Ablehnung. Der Bundeskanzler hat mit Blick auf die Folgen des Krieges vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt. Wie ordnen Sie die Entwicklungen ein?
Schon in der Pandemie wurde vieles kontrovers diskutiert, und es war ein geändertes Verhalten feststellbar. Im Wahlkampf habe ich erlebt, dass ganz viele Menschen das Gespräch gesucht haben. Sie waren froh, dass Politiker vor Ort waren und vor allem ein Ohr hatten für die Ängste der Menschen. Ein Großteil ist sehr sachlich mit den Themen umgegangen. Es gibt auch Menschen, die sich stark von demokratischen Grundwerten entfernen. Auch ihnen muss man zuhören, es gibt ja Gründe dafür. Wichtig ist, den Zusammenhalt zu stärken und immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir das große Plus haben, in einer Demokratie zu leben.
Politik vor Ort mit offenem Ohr
Es gibt auch das Phänomen unter dem Stichwort „Cancel Culture", eine Haltung, die nicht gerade von großem Respekt gegenüber anderen geprägt ist. Diese Unerbittlichkeit scheint härter zu werden. Womit müssen wir uns dabei auseinandersetzen?
Diese „Diskussionsform", die Sie ansprechen beobachte ich vor allem auf Social Media. Eine öffentliche Diskussion ist wichtig, sie muss aber fair bleiben. Es ist eine Herausforderung, Menschen zur Diskussion zu ermutigen, aber in einem Rahmen, der nicht gesetzeswidrig wird. Ein Thema ist sicherlich auch, wie stark Politiker, Berufspolitiker im Landtag oder Ehrenamtliche Hass und Hetze ausgesetzt sind. Das muss man aktiv bekämpfen, so etwas darf es in unserer Gesellschaft nicht geben. Andererseits erleben wir im ganzen Land, wie hart gegnerische Haltungen in Bürgerbeteiligungsverfahren aufeinanderprallen. Da muss man immer abwägen. Denn Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, da muss man auch einiges aushalten.
Politik sucht oft den Ausgleich von Interessen. Kompromiss ist allerdings stark in Verruf geraten. Dahinter steht die Frage: Wie gehen wir als Gesellschaft miteinander um? Welche Rolle kann dabei das Parlament spielen?
Es ist eine der Hauptaufgaben des Parlaments, Kompromisse zu finden. Es geht aber auch darum, für Kompromisse gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Das heißt für uns Politiker, mit einem offenen Ohr bei den Menschen vor Ort zu sein und Entscheidungen zu erklären.