Der Herbst rückt näher und damit auch die Notwendigkeit, Klarheit über Maßnahmen gegen eine befürchtete weitere Corona-Welle zu haben. Gestritten wird über altbekannte Themen wie Maskenpflicht. Einiges wird sich aber vom letzten Pandemie-Herbst unterscheiden.
Wieder einmal muss die Maske als Symbol herhalten. Eigentlich sollte man meinen, dass nach zweieinhalb Jahren Pandemie-Erfahrungen die Lehren gezogen und klare Regelungen möglich sind. Stattdessen wird einmal mehr munter um eine Maskenpflicht gestritten, oder genauer: Um die Vorlage eines neuen Impfschutzgesetzes, das eine Maskenpflicht vorsieht – aber mit Ausnahmen.
Nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Corona-Virus und seinen Varianten sollte eigentlich klar sein, dass es einige Maßnahmen gibt, die zwar Infektionen nicht völlig verhindern, aber die Ausbreitung und die Verläufe deutlich reduzieren: Maske, Abstand, Hygiene – und Impfen. Das findet sich auch in der neuen Vorlage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP). Ausgangspunkt für den neuerlichen Streit ist einmal mehr die Maske. Der Gesetzesentwurf sieht eine Maskenpflicht im Fern- und Flugverkehr, in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen vor und gibt den Ländern die Möglichkeit, Maskenpflicht in Innenräumen anzuordnen. Ausgenommen davon sollen etwa frisch Geimpfte sein.
Klare Kriterien und Regeln gefordert
Wie bei jeder Regelung führen eingeräumte Ausnahmen naturgemäß zu heftigen Debatten. Erstens geht es um die Abgrenzungen, zweitens die Frage: Wie und wer soll das kontrollieren? So läuft die Debatte auch nach dem Muster, wie es der Chef der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, zusammenfasst: Grundsätzlich wird die Möglichkeit zur Maskenpflicht für sinnvoll gehalten, aber mit den Ausnahmen seien die neuen Regeln schlicht „nicht umsetzbar".
Tatsächlich lehrt die Erfahrung, übrigens auch gestützt durch etliche begleitende Untersuchungen: Je klarer, eindeutiger und allgemeinverbindlicher eine Regelung, umso größer die Chance, dass sie akzeptiert und umgesetzt wird. Wenn es zudem einen klaren und transparenten Kriterienkatalog gibt, der festlegt, ab wann welche Maßnahme greift, gibt es eine Orientierung, an der sich jeder festhalten kann.
Was ohne diese Vorgaben passiert, hat gerade die Sommerwelle gezeigt. Exorbitant steigende Inzidenzzahlen mit einer geschätzt hohen Dunkelziffer haben kaum noch jemanden in Aufregung versetzt. Das mag damit zu tun haben, dass die Verläufe in der Regel eher milder waren und sicher auch damit, dass der Aussagewert von Inzidenzzahlen zunehmend geringer geworden ist. Vor allem aber dürfte es auch eine Rolle gespielt haben, dass mit der Entwicklung keinerlei Maßnahmen verbunden waren, was für viele wohl signalisiert hat: Alles nur halb so dramatisch.
Inzwischen sind die hohen Inzidenzzahlen wieder deutlich zurückgegangen, wobei unklar ist, welche Auswirkungen dabei das Ende der kostenlosen Bürgertests gehabt hat.
Die Forderung nach verbindlichen Kriterien für künftige Maßnahmen ist vor allem aus den Ländern zu hören. Das bayerische Gesundheitsministerium fordert beispielsweise in Richtung Bund: „Wir brauchen klare Indikatoren und Schwellenwerte, um festzulegen, wann welche Maßnahme greifen soll." Es ist das bekannte Spiel zwischen Bund und Ländern – und zwischen den Ländern untereinander. Inhaltlich ist das Ansinnen völlig berechtigt. Nur welche Kriterien herangezogen werden sollten, sagen auch die Kritiker nicht.
Die Inzidenzzahlen haben ihre Aussagekraft etwas eingebüßt. Die Belastung der Krankenhäuser durch viele Patienten (Hospitalisierung) war zuletzt nicht das Hauptproblem. Das Gesundheitswesen war eher gefährdet durch den Ausfall von Personal. Das macht klar, dass es nicht nur an klassischen Bund-Länder-Zwistigkeiten liegt, dass es bislang keinen neuen Kriterienkatalog gibt. Es ist auch eine fachliche Frage, welche Kriterien gelten sollen, die sich durch den Verlauf der Pandemie inzwischen neu stellt.
Das gilt auch für die andere große Baustelle: Impfen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach und die meisten Verantwortlichen in den Ländern haben zur Vorbereitung auf den Herbst neue Impfkampagnen angekündigt. Das ist angesichts der bescheidenen Impfquote in Deutschland auch nötig, bringt aber im Vergleich zum letzten Jahr ganz neue Herausforderungen mit sich.
Das fängt bei der Frage des Impfstoffs an. Schon früh hatte die Politik für den Herbst neue, an Omikron-Varianten angepasste Impfstoffe in Aussicht gestellt. Die gibt es längst, aber sie warten noch auf ihre offizielle Zulassung. Diese könnte im September kommen. Selbst wenn das günstigerweise Anfang und nicht erst Ende September der Fall wäre, wären am Tag darauf nicht alle Lager voll. Durch die frühzeitige Ankündigung des angepassten Impfstoffs gibt es aber inzwischen bei Impfwilligen eine gewisse Erwartungshaltung – und einen Zwiespalt. Denn warten, bis der neue Impfstoff da ist, hieße, Zeit verstreichen zu lassen.
Also lautet die Empfehlung: Impfung mit den vorhandenen Impfstoffen. Was nach Ansicht von Experten durchaus weiterhin sinnvoll und empfehlenswert ist. Nach allem, was bislang bekannt ist, ist deren Schutzwirkung hinsichtlich schwerer Verläufe auch bei den neuen Omikron-Varianten (BA.4 und BA.5) genauso wirksam. Der Unterschied könnte darin bestehen, dass die Weiterentwicklungen auch etwas besser vor Infektion schützen.
Diskussionen stiften weiter Verwirrung
Was die Planung von Impfkampagnen zusätzlich erschwert, aber zugleich in gewissem Maß erleichtert: Im Gegensatz zu den ersten Impfkampagnen müssten diesmal nicht alle mehr oder minder gleichzeitig geimpft werden. Der Zeitpunkt für Booster-Impfungen ist individuell, je nachdem, wie lange die letzte Impfung zurückliegt. Mit einem konzentriert großen Ansturm auf die verbliebenen Impfzentren ist deshalb nicht zu rechnen. Es wird damit aber auch schwieriger, die Menschen für den passenden Zeitpunkt zu erreichen.
So wird sich die Impfkampagne zur Vorbereitung auf diesen Herbst im Vergleich zum letzten Jahr verändern. Impfzentren werden nicht mehr die zentrale Rolle spielen. Im Saarland sind derzeit zwei von ehemals drei großen Impfzentren weiter in Betrieb und sollen es auch nach Angaben von Gesundheitsminister Magnus Jung bis Jahresende bleiben. Eine Lehre aus dem letzten Jahr. Hausärzte werden eine deutlich wichtigere Rolle spielen. Das tun sie bereits jetzt. Im Übrigen auch bei einer Frage, die offiziell noch in der Diskussion ist. Nämlich eine vierte Impfung für Menschen unter 70. Dafür steht noch eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission aus, weshalb sich die Politik zurückhält. Dort wird allerdings der Gruppe der U70-Jährigen empfohlen, sich mit dem Hausarzt über eine zweite Booster-Impfung zu beraten. Denn eine fehlende Stiko-Empfehlung bedeutet kein Verbot.
In Sachen vierte Impfung musste sich Gesundheitsminister Lauterbach im Zusammenhang mit dem Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz auch gegen die Unterstellung wehren, diese sozusagen durch die Hintertür erzwingen zu wollen. Anlass für diesen Verdacht waren die vorgesehenen Ausnahmeregelungen bei der Maskenpflicht für frisch Geimpfte, also Menschen, deren letzte Impfung nicht älter als drei Monate ist. Das, so die Unterstellung, sei eine indirekte Aufforderung, sich alle drei Monate neu impfen zu lassen. „Quatsch", heißt es auch von jenen, die Lauterbachs Vorschläge unterstützen. Der Minister selbst formuliert etwas zurückhaltender, nennt die Vorwürfe abwegig und „medizinisch unsinnig". Zu häufige und in zu kurzen Abständen wiederholte Impfungen würden eher zur gegenteiligen als zur gewünschten Wirkung führen. Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass auch dem dritten Corona-Herbst weiter viel Aufklärung und Überzeugungsarbeit in der nach wie vor aufgeheizten Diskussion um jede Maßnahme, die zur Eindämmung des Virus beitragen soll, nötig ist.