Engpässe bei Computer-Chips werden die russische Wirtschaft treffen
Wirtschaftssanktionen sind selten ein Mittel, um Regierungen in die Knie zu zwingen. Schon gar nicht kurzfristig. Das jahrzehntelange Embargo der Amerikaner gegen den Tropen-Kommunismus auf Kuba hat nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Auch die westlichen Strafmaßnahmen gegen die steinzeitsozialistische Hochburg Nordkorea mit ihren Atomwaffen-Ambitionen laufen bislang ins Leere. Die ökonomische Abriegelung des Irans hat die Mullahs bis dato ebenso wenig zur Aufgabe ihres Nuklearprogramms gebracht.
Und wie sieht es im Fall von Russland aus? Der „ökonomische Blitzkrieg des Westens ist gescheitert", behauptet Kremlchef Wladimir Putin vollmundig. „Es ist jetzt klar, dass der Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht mal ansatzweise so gut funktioniert, wie die Leute dachten", schreibt der CNN-Moderator Fareed Zakaria.
Richtig ist, dass der schnelle Zusammenbruch der russischen Volkswirtschaft ausgeblieben ist. Die Staatseinnahmen aus Energie-Exporten sind sogar gestiegen. So hat Russland zwischen Januar und Mai 2022 rund 68 Milliarden Euro an den Ausfuhren von Öl, Gas und Kohle in EU-Länder verdient. Im Vorjahreszeitraum waren es 32,5 Milliarden Euro – also knapp die Hälfte davon.
Putin hat sich durch die Verknappung der Gas-Lieferungen Richtung EU höhere Einnahmen beschert: Nach den Gesetzen des Marktes treibt eine Reduzierung des Angebots die Preise. Hinzu kommt, dass sich Moskau zusätzliche Abnehmer beim Öl gesichert hat. Die Rückgänge der russischen Rohöl-Exporte nach Europa wurden kompensiert durch den Anstieg der Öltanker-Ausfuhren nach China oder Indien. Indien importierte bis Juli rund achtmal so viel Öl aus Russland wie vor dem Ukraine-Krieg.
Allerdings kann Putin nicht mehr ganz so aus dem Vollen schöpfen wie noch vor Monaten. Die Ölverkäufe, die wichtigste Einnahmequelle des russischen Staates, werfen weniger ab. Betrug der Preis für ein Fass der Nordseesorte Brent am 3. Januar noch 78 Dollar, schoss er am 8. März – knapp zwei Wochen nach der Ukraine-Invasion – auf 127 Dollar. Am vergangenen Dienstag musste nur noch rund 93 Dollar für ein Fass bezahlt werden.
Seit dem 10. Juni hat eine Talfahrt der Preise eingesetzt. Das liegt zum einen an der Ankündigung der EU, das Ölembargo gegen Russland erst Ende des Jahres umzusetzen. Die Märkte werteten dies als Signal für eine Stabilisierung, da in den nächsten Monaten das „schwarze Gold" noch reichlich vorhanden ist. Darüber hinaus hat die Weltwirtschaft mit rezessiven Tendenzen zu kämpfen, was den Energiehunger bremst und die Preise dämpft.
Während die westlichen Strafmaßnahmen Russland bei den Rohstoff-Ausfuhren bislang kaum zusetzen, ist die Lage im Hightech-Sektor völlig anders. „Die Sanktionen wirken vor allem bei Hightech-Produkten wie Computer-Chips, ohne die moderne Waffen nicht funktionieren. Aber auch Ersatzteile, zum Beispiel für Airbus- und Boeing-Flugzeuge oder komplexe Maschinenanlagen aus Deutschland spielen hier eine Rolle", betont Gabriel Felbermayr vom Institut für Wirtschaftsforschung in Wien. „Die Engpässe, die die Produktionskapazitäten ernsthaft einschränken, erwarte ich erst für Spätherbst oder Winter."
Eine im Juli veröffentlichte Studie der amerikanischen Yale-Universität kommt zu dem Schluss: „Der Rückzug von mehr als 1.000 Unternehmen aus Russland sowie die Sanktionen haben die russische Wirtschaft katastrophal gelähmt." Die ausländischen Firmen hätten etwa 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen.
Auch der Moskauer Wirtschaftswissenschaftler Andrej Jakowlew unterstreicht: „Die Wirkung der Sanktionen wird im Herbst deutlich. Das wird Industriesektoren betreffen, die stark von importierter Technologie abhängig sind." Die Autobranche falle ebenso darunter wie die Ölförderung oder die Landwirtschaft.
Kann das für Putin zu einem existenziellen Problem werden? Jakowlew sagt ja und nein. „Heute gibt es in Russland keine Gewinner mehr, das wird zu Spannungen in der Elite führen." Andererseits: „Was von ausländischen Beobachtern zu wenig gesehen wird, ist Russlands enorme Fähigkeit zur Anpassung." Viele Betriebe hätten hohe Lagerbestände für schlechte Zeiten. Die westlichen Strafmaßnehmen setzen den Kremlchef in jedem Fall unter Druck. Ob sie seine Macht gefährden, ist offen.