Ein Ausflug in die wundersame Welt der Sprachnachrichten
Neulich kommt mein Mann ins Wohnzimmer, sieht mich ins Handy reden und fragt später, mit wem ich telefoniert hätte. Telefoniert? Wer telefoniert denn heute noch? Schließlich leben wir im fantastischen Zeitalter der Sprachnachrichten mit seinen ungeahnten Möglichkeiten.
Einfach auf das kleine Mikrofon drücken oder hochwischen und los geht’s. Und dann reden und reden und reden, ohne unterbrochen zu werden. Herrlich. Mühsames Tippen: Passé! Mein persönlicher Rekord liegt bei circa 25 Minuten. Und da zähle ich noch lange nicht zu den Spitzenreitern.
Die längste Sprachnachricht, die ich mir anhören durfte, lag bei über 30 Minuten! Wunderbar ist auch, dass ich im Gegensatz zum realen Zuhören auf Stopp drücken kann. Weil es mir vielleicht gerade zu viel wird, oder ich über das Gesagte nachdenken oder duschen muss.
Sprachnachrichten sind auch eine Art unterhaltsame Live-Comedy. Da kommen spontane Kommentare über andere Autofahrer – „Oh, jetzt fahr doch endlich!"; Nebengespräche mit dem Ehemann – „Hallo Schatz, nein, ich war noch nicht einkaufen" – „Was? Keine Ahnung, wo der Staubsauger ist!"; ungeplante Kindererziehungsaktionen „Schätzchen, nein, nicht den Hund am Schwanz ziehen!"
Oft darf man auch an spannenden Tätigkeiten teilhaben wie Kochen, Aufräumen, etwas suchen oder Geschirrspülen. Sprachnachrichten sind also kein trockenes Berichterstatten, weit gefehlt! Sie sind auditive Potpourris! Würde man das planen wollen – es würde nicht gelingen.
Sprachnachrichten haben auch ihre Tücken. Da will man dringend eine von der Freundin abhören, weil man weiß, dass sie etwas sehr Spannendes zu erzählen hat oder auf eine brenzlige Frage antwortet, aber man ist gerade irgendwo, wo jedermann mithören kann. Zum Beispiel im Zug. Oder im Büro. Oder im Kaufhaus. Es ist nämlich so, dass man genau dann seine Kopfhörer nicht dabei hat. Das ist ein Naturgesetz. Dann starrt man auf sein Handy, sieht die 18.30 Minuten, und fühlt Panik aufsteigen. Ein Albtraum.
Einfach Handy ans Ohr halten und abhören kann einen auch echt nervös machen. Hören die Leute um mich herum auch wirklich nichts? Lautstärke runterfahren kann dazu führen, dass man selbst auch kaum mehr was versteht. Hallo, muss der Typ in der Bäckerei-Schlange vor mir gerade so lautstark seine Brötchen bestellen?
Den Gedanken, der Freundin zu schreiben, sie möge doch bitte alles nochmal eintippen, sollte man verwerfen, wenn einem an der Freundschaft etwas liegt.
Endlich ist man dann zu Hause, schnell Tür zu und auf Play drücken. Ein weiteres Naturgesetz ist, dass genau in dem Moment der Mann nach Hause kommt und die Frage nach dem Abendessen besprechen möchte. Ich weiß nicht, ob es eine Statistik dazu gibt, aber bestimmt ist diese Situation für die meisten Ehekräche verantwortlich.
Logistisch schwierig kann es werden, wenn man mit mehreren Freunden über Sprachnachrichten in Kontakt ist. Neulich hätte ich mir fast einen Tag Urlaub nehmen müssen, weil ich mit dem Abhören nicht mehr nachkam. Was für mich auch eine Herausforderung darstellt, ist mein schlechtes Gedächtnis.
Neulich erzählt eine Freundin von einem dringenden Problem, zwischendurch beschreibt sie noch ihren frisch gebackenen Kuchen und wie es ihrer Mutter geht und dass der Hund gekotzt hat. Dann klingelt während der Aufnahme noch der Paketfahrer bei ihr an der Tür. Nach den 23 Minuten und 17 Sekunden kann ich nicht gleich antworten, weil mein Mann auch mal mit mir reden will. Davon aus der Sprachnachrichten-Spur gebracht, fülle ich noch schnell eine Waschmaschine, gieße die Blumen und nehme noch ein echtes Telefonat entgegen.
Und so tappe ich dann in die schlimmste aller Sprachnachrichten-Fallen: Zwei Stunden später hab ich die Hälfte von dem vergessen, was meine Freundin erzählt hatte. Und schlimmer: was sie mich irgendwo in den 23 Minuten und 17 Sekunden noch wichtiges gefragt hatte! Ich kann die Nachricht aber nicht noch mal ganz hören, denn gerade kommt die nächste von ihr an, zum Glück nur 13 Minuten und 32 Sekunden. Und in einem anderen Chat ploppt auch gerade eine Sprachnachricht auf, 18 Minuten und 22 Sekunden.
Es soll ja Leute geben, die Sprachnachrichten nicht mögen. Ich hab jetzt aber keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Gerade kam eine neue Sprachnachricht an.